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Geschichten

Das Schwein -III-

Gott sei Dank ist es nicht so, wie Frau Büser gemeint hatte. Frau Hartmann hat „nur“ einen Nervenzusammenbruch erlitten und ist ohnmächtig.
Gleich drei Sachen in einem Satz…
Ich sage nie „Gott sei Dank“, zumindest versuche ich es, Gott nicht in Alltagsfloskeln zu bemühen, wenngleich ich die Formulierung „Grüß Gott“ als sehr tauglich finde, vor allem für Bestatter, denn damit kann man den „Guten Tag“ recht gut umschiffen. Nebenbei bemerkt: Wer heute noch auf den Gruß „Grüß Gott“ mit „Wenn ich ihn seh'“ antwortet, der ist nicht nur doof, sondern ultraplusdoof.
Zweite Sache: Ich weiß gar nicht so genau, was jeweils unter einem Nervenzusammenbruch zu verstehen sein soll. Manche bekommen einen Weinkrampf und sprechen dann davon einen Nervenzusammenbruch erlitten zu haben, andere fallen fast ins Koma.
Und „ohnmächtig“…, ich hatte mal eine Freundin, deren Mutter wurde bei jedem dritten Wort „ohnmächtig“, vor allem wenn es derbe Worte waren. Zuerst war ich ziemlich erschrocken und beeindruckt, wenn sie sich mit verdrehten Augen in ihren Sessel fallen ließ und mit geschlossenen Augen schwer atmete und „ohnmächtig“ war. Jeder, vor allem aber ihr Mann, rannte dann und tat irgendetwas, um die Frau wieder auf die Beine zu bringen, ein Glas Wasser, ein leichtes Tätscheln…

Ich habe das aber sehr schnell durchschaut, waren doch diese Ohnmachtsattacken nichts anderes, als der permanente Versuch, immer im Mittelpunkt zu stehen. Ich habe das dann für meine Zwecke genutzt und immer dann, wenn die Alte mir mal wieder fürchterlich auf den Sack ging, irgendetwas Unflätiges gesagt und sie ins Nirwana geschickt, da hielt sie dann wenigstens die Klappe.

Einmal ist die bösartige Kuh mir so auf den Senkel gegangen und hat mich und meine Freundin wieder so beleidigt und herabgewürdigt, da habe ich sie dann auch „schlafen gelegt“. Ihr Mann, der gerade die Hände voll hatte, rief nur: „Macht doch was, macht doch irgendwas!“
„Ja was denn?“ habe ich gefragt.
„Leicht auf die Wange tätscheln!“ rief er und das habe ich dann auch gemacht. Gut, ich habe ordentlich ausgeholt und es hat auch richtig ordentlich geklatscht, aber es sollte ja auch helfen, oder?
Immerhin hatte sie zwei Tage lang meine Finger im Gesicht abgebildet und ist seitdem in meinem Beisein kein einziges Mal mehr in Ohnmacht gefallen.
Alles ist für irgendwas gut.

Die junge Frau Hartmann ist aber wirklich ohnmächtig und liegt in der Halle zwischen Couch und Tisch in einer so merkwürdig verrenkten Körperhaltung, daß ich es Frau Büser nicht verdenken kann, dass sie sie für tot gehalten hat.
So legt man sich nicht hin, so kann man nur, ohne Kontrolle über seine Gliedmaßen zu haben, hinfallen.
Mit vereinten Kräften gelingt es uns, die Frau aufzurichten und auf die Couch zu legen und dann folgt das, was ich noch von der Beinahe-Schwiegermutter kannte, ein Glas Wasser, leichtes Tätscheln, keine Ohrfeige…
Langsam kommt Frau Hartmann wieder zu sich und fängt sofort wieder an zu weinen, es ist einfach alles zu viel für sie.

Sandy und Antonia kümmern sich um Frau Hartmann und ich halte es für besser, die weiteren notwendigen Dinge mit ihrem Mann zu besprechen. Dem geht es auch nicht besser, nur äußert sich das bei ihm anders. Er agiert wie eine Marionette, sein Blick ist manchmal leer, ich muß ihm manches mehrmals sagen, häufiger mal nachfragen, immer wieder seine Konzentration bündeln.
So wie ihm geht es vielen Hinterbliebenen, wenn vielleicht auch nicht so heftig und so offensichtlich.
Aber das ist der Grund, weshalb gute Bestatter sich der Maxime verschrieben haben, nie etwas zu tun, was diesen Zustand, der fast die freie Willensbildung ausschließt, für schlechte Zwecke auszunutzen.
Und das ist wichtig.
Natürlich kennen wir alle diese Geschichten vom bösen Bestatter, der einem alten Mütterlein einen viel zu teuren Sarg angedreht haben soll und der die Bestattung am Ende hat doppelt so teuer werden lassen, wie es ursprünglich vereinbart war.
Ja, solche Bestatter gibt es. Aber hat von meinen Lesern schon einmal jemand einen Handwerker beauftragt oder sein Auto zur Reparatur gebracht? Ich zumindest habe dort noch nie den vorher genannten Betrag bezahlen müssen, es war immer viel, viel teurer…
Dennoch: Oft sind die Menschen einfach so „durch den Wind“, daß sie gar nicht mehr abschätzen können, was da besprochen wird und was da auf sie zu kommt. Es werden im Beratungsgespräch beim Bestatter so viele Einzelentscheidungen getroffen, daß vielen auch am Ende die Summe der Konsequenzen und Zahlen nicht mehr bewusst ist.
Das große Erwachen kommt erst mit dem großen Erwachen. Das klingt merkwürdig, ist aber so. Das große Erwachen kommt erst mit dem Tag der Beerdigung oder Trauerfeier, wenn der große Trubel vorbei ist und man langsam wieder klar denken kann. Dann kommt auch die Rechnung vom Bestatter und dann sind die Leute oft erstaunt über das, was da alles berechnet wird. Vieles haben sie in der Besprechung gar nicht richtig wahrgenommen und die mitgegebene Auftragsabschrift haben sie zusammengeknickt zu ihren Unterlagen gelegt…

Herr Hartmann würde alles abnicken, was ich ihm vorschlage. Aber ich will mit ihm nur die dringendsten Notwendigkeiten besprechen, damit wir das Kind überführen können und den Rest können wir morgen besprechen.
Einen weißen Sarg will er gar nicht, es soll etwas Besonderes sein, nicht so altdeutsch rustikal.
Gut, ich vertage auch das auf den nächsten Tag.

Antonia läuft noch ein Stück mit den Hartmanns und ich sitze nachdenklich in meinem Büro. Das Bild, das meine Kinder zeigt und das auf meinem Schreibtisch steht, das habe ich flach hingelegt, ich kann das jetzt nicht anschauen.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 30. Mai 2012 | Peter Wilhelm 30. Mai 2012

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5 Kommentare
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12 Jahre zuvor

Holy Shit. Tom, ich bewundere die Arbeit, die du leistest an Tagen wie diesem noch mehr als sonst.

12 Jahre zuvor

Wow das ist echt böse : / Es ist schlimm wenn man sein Kind zu Grabe tragen muss.

Rena
12 Jahre zuvor

Und wie schnell ist da vergessen, dass die Kids einem manchmal den letzten Nerv rauben (können). Der Vater hätte wohl lieber die extrem laute Musik akzeptiert.

hajo
12 Jahre zuvor

„Das Bild, das meine Kinder zeigt und das auf meinem Schreibtisch steht, das habe ich flach hingelegt, ich kann das jetzt nicht anschauen.“
kann ich voll verstehen!

tut nichts zur sache
12 Jahre zuvor

Schlimm ist wenn man sein 8 Tage altes Kind zu grabe trägt , das ist noch schlimmer




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