Geschichten

Das Schwein -IX-

Die Schwägerin Isolde kommt zwei Tage nach der Beerdigung zu uns und möchte den von ihr bestellten Kranz bar bezahlen. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß es günstiger und schöner ist, wenn möglichst viele Angehörige ihre Blumen über eine Gärtnerei bestellen. Dann ist sichergestellt, daß es farblich passt, daß sich Schleifentexte nicht viermal wiederholen und dass alles auch rechtzeitig am richtigen Platz ist.
Der Vorteil für die Kunden liegt unter anderem darin, daß alle auch von der Provision profitieren, die die Gärtnerei uns einräumt.
So hat auch Isolde, die Schwester von Melanies Mutter, einen kleinen Kranz mit Schleife direkt bei uns bestellt.

Sie zählt mir das Geld auf den Cent genau aus einem erschreckend winzigen Portemonnaie auf den Tisch und macht die ganze Zeit einen spitzen Mund, sodass sich oberhalb der Oberlippe viele kleine Fältchen abzeichnen. Auch sonst ist sie sehr einsilbig und schließlich frage ich sie, ob sie etwas habe, ob ich mich falsch verhalten hätte.

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„Na, Sie sind gut! Sie haben sich doch auf die Seite von diesem Dreckskerl gestellt.“

„Ich habe mich auf niemandes Seite gestellt, ich habe einen Auftrag wunschgemäß abgewickelt. Der Rest geht mich nichts an.“

„Ach, Sie würden also auch einen Mörder beerdigen, oder was?“

„Ja sicher, einer muss es doch tun. Das ist unsere Aufgabe. Als Bestatter bin ich nicht die moralische Instanz, die einem auch noch seine letzte Ruhestätte verweigert.“

„Sie haben keine Kinder, oder?“

„Doch.“

„Auch Mädchen?“

„Ja.“

„Und wenn der Klaus ihre Tochter gepimpert hätte, na, was würden Sie dann sagen?“

„Na hören Sie mal…“

„Nix da, na hören Sie mal! Schauen Sie sich mal das hier an“, sagt sie und zieht ein rot-metallisch glänzendes Handy aus der Handtasche. Sie klappt es auf und oben am Handy hängt ein klitzekleiner Teddybär mit Glitzersteinen als Augen.
„Das ist das Handy von Melanie. Ich habe es mir von meiner Schwester erbeten, als Andenken und weil Melanie das Ding so geliebt hat. Ja?“

„Ja?“

„Verstehen Sie?“

„Was soll ich verstehen?“

„Das ist IHR Handy!“

„Ja, ich habe es verstanden, das ist Melanies Handy.“

„Und dann lesen Sie bitte das hier“, sagt Isolde, drückt auf den Tasten herum und nach einigem Gepiepse dreht sie das Mobiltelefon herum und schiebt es mir über den Tisch.“

Ich sehe nur den Ausschnitt eines längeren Textes und da steht: „…kannst Du alles von mir bekommen, wenn Du wieder so lieb zu mir bist wie gestern.“

„Aha“, sage ich und schiebe das Handy wieder zurück.

„Ja, das ist noch nicht alles. Sehen Sie sich mal das hier an!“

Jetzt lese ich: „…dich zu einer richtigen Frau machen. Ich bin ein Mann und Du wirst jetzt langsam zu einer richtigen Frau.“

„Das ist doch pervers“, stößt Isolde aufgebracht hervor und sagt weiter: „Und so’n Dreck findet sich haufenweise hier im Handy und alle Mails sind von meinem Schwager abgeschickt worden. Absender ist immer ‚Paps‘. Der ist doch krank, der hatte doch was mit dem Kind, das ist doch wohl eindeutig.“

„Und was wollen Sie jetzt tun?“

„Jetzt? Jetzt gehe ich mit dem Ding zur Polizei und dann soll der feine Herr denen mal erklären, wie das alles zustande gekommen ist. Ekelhaft sowas! Wenn ich denke, wie der geile Bock das arme Kind gequält, betatscht und angebaggert hat. Mir wird schlecht, wenn ich daran denke!“

Während sie mein Büro verlässt, zitiert Isolde noch eine SMS aus dem Kopf und ruft mir zu: „Deine Lippen sind so feucht, ich möchte immer darin versinken.“

Kaum ist sie verschwunden, kommen Sandy und Antonia herein, die diesen letzten Satz gehört haben und zumindest Sandy hat ein vielsagendes Grinsen im Gesicht, während sie die Stimme von Isolde nachahmt und wiederholt: „Du hast so feuchte Lippen“.

Mir ist nicht nach Lachen zu Mute, ich weiß nicht, was ich von der Sache halten soll.
Klaus Hartmann ist doch ein ganz netter Mann. Aber wer kann schon hinter die Stirn eines anderen blicken?

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(©si)