Geschichten

Der alte Friedhof

Der Friedhof. Er war da, wir waren Kinder und wir haben dort gespielt. Vor allem die große Trauerweide mit ihren langen, wippenden und herabhängenden Zweigen lud uns zum Schaukeln ein. Große Rhododendron-Büsche waren innen hohl und wir hatten dort drin unser Räuberhauptquartier, wenn wir wieder einmal die anwesenden Kinder in zwei Banden aufteilten, die sich natürlich auf das Heftigste bekämpfen mussten.

Hinter die Grabsteine gekauert verfolgte die Bande der „Buschmanns“ das Treiben der „Rothäute“ und musste ganz besonders auf der Hut sein. Während die Buschmanns nur Plastikrohre als Blasrohre und weichgekaute Knubbel aus Zeitungspapier zum Schießen hatten, waren die Roten schon mit Erbsenpistolen ausgerüstet.

Die Grabsteine besagten, dass Herrmann Stoll 1944 gefallen war, und ein besonders großes Grab der Burmanns genannt Rieder zeugte vom Reichtum dieses Bauerngeschlechts. An den Mauern entlang gab es noch viele Gräber, die auch gepflegt wurden. Manchmal waren alte Frauen da, die Unkraut zupften oder Kerzen anzündeten.
Ohne dass uns das jemand jemals gesagt hätte, waren wir dann immer leise und haben uns verzogen. Ein paar hundert Meter weiter am Rathaus gab es auch Bänke, hinter denen man sich verstecken konnte, und die Rhododendron-Höhle dort war sogar noch größer.

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Viele Gräber, vor allem im Mittelfeld des Friedhofs waren schon etwas eingefallen, die Grabsteine standen schief und krumm und es hatte sich herumgesprochen, dass es keine weiteren Beerdigungen dort mehr geben würde. Längst gab es einen neuen Friedhof an anderer Stelle im Stadtteil.

Und dennoch bin ich als Messdiener bei einigen Beerdigungen auf diesem alten, kleinen Friedhof mit seinen vielleicht 70 Gräbern, dabei gewesen. Nur ausnahmsweise, wenn einer von den ganz Reichen verstorben war, die dort die großen viele Meter breiten Prunkgräber mit lebensgroßen Engelsfiguren besassen, wurde doch noch mal jemand neu beerdigt.

Manchmal im Sommer während der Ferien, in einer Zeit, als die Menschen noch nicht jedes Jahr zwanghaft in Urlaub fahren mussten, verbrachten wir fast den ganzen Sommer auf dem alten Friedhof. Klaus ist sogar einmal in eines der versunkenen Gräber eingebrochen…

Doch nicht wir waren es, über die man sich aufregte. Es war die Zeit der Halbstarken. Halbstarke Jungs trugen Lederjacken, hatten immer einen Stielkamm hinten in der Jeans stecken und hörten Rock ’n Roll aus Kofferradios. Und diese Jungs hatten die Parkbänke unter alten Bäumen dazu auserkoren, um sich dort mit Mädchen zu treffen. Manchmal trafen wir auf zwei Verliebte, die knutschten, wenn wir die Buschmanns oder die Roten jagten.
Mann, was haben wir gestaunt, der saugt die aus!

Einmal wurde auf dem Friedhof randaliert. Nachts hatte jemand Grabsteine umgeworfen, einen steinernen Engel geköpft und dem Jesus am Kreuz einen Arm gebrochen. Wir fanden das schade, als wir das am nächsten Tag sahen. Schlimm für uns war, dass ab diesem Tag ein kriegsversehrter Rentner in Uniform holzbeinern über unseren Friedhof humpelte und jeden verscheuchte, den er antraf.
Das war auch für Paul und Johann schlimm, die beiden Penner, die sich dort immer trafen, tranken und nachts auch oft dort schliefen. Denn nachts wurde der Friedhof jetzt abgeschlossen.

Wenn da nicht Frau Hütefeld gewesen wäre, die resolute Haushälterin des neben dem Friedhof wohnenden Pastors. Die kampferprobte Pastorenbekocherin hatte nämlich den Friedhof als ihre persönliche Abkürzung auserkoren, um zweimal die Woche zum Canastaspielen zu einer Bekannten zu gehen. Sie war es, die dafür sorgte, dass das Humpelbein woanders eingesetzt wurde.

Überhaupt war der Weg über den Friedhof eine willkommene Abkürzung für alle Einwohner des Stadtteils. Später war es unser Weg zum Merkur-Kino, in dem sonntagsmittags Frankensteinfilme aus Japan für Einsfünfzig gezeigt wurden. Was haben wir auf dem Rückweg vom Kino noch die spannendsten Szenen diskutiert.

Heute gibt es nur noch eine Handvoll Ehrengräber dort, der Friedhof ist längst eine Parkanlage. Spielende Kinder sieht man dort eher selten, eigentlich gar nicht.

Aber es hat weder der alten Trauerweide, die heute noch steht, geschadet, dass wir an ihren Schwingen Tarzan gespielt haben, noch hat der inzwischen reparierte Jesus jemals irgendwelche Einwände gegen unser Treiben geäußert. Vielmehr haben wir Kinder doch den dort liegenden und längst vergangenen Verstorbenen etwas Leben in die Bude gebracht und alle Neuigkeiten aus den Monsterfilmen erzählt.

Geschadet hat es keinem. Ich habe übrigens niemals in meinem Leben auf einen Menschen geschossen und bei der Erzählung dieser Geschichte kamen auch keine Indigenen zu Schaden.

Bildquellen:

  • friedhof-1: Apple Maps

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