Geschichten

Der Blonde mit dem irren Blick -16-

Hinnerk van der Grube und Lizzy Miller nannten sich als Duo nun die „Graveyards“ und wurden tatsächlich ein wenig bekannter.
Immer wieder mal kam Heiner Falk, so hieß Hinnerk van der Grube ja mit bürgerlichem Namen, am Freitagnachmittag zu mir und bat mich, ihn am Wochenende vom Bereitschaftsdienst zu befreien, da er und seine Lizzy einen wichtigen Auftritt zu absolvieren hätten.

Ich kam dieser Bitte nach, wies aber beim dritten Male freundlich darauf hin „daß mir das aber jetzt nicht jedes Wochenende vorkommt, denn die anderen Fahrer maulen schon, die wollen auch mal ein freies Wochenende. Ständig geht das nicht, okay?“

Heiner nickte nur und ich merkte schon, daß ihm das nicht schmeckte. Offenbar hatte er sich auf der Basis seines Vadda-Getues eingebildet, er habe eine Sonderstellung oder so etwas.

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Eine Woche später sah ich abends die Regionalschau und war ganz überrascht, dort einen kurzen Beitrag über die „Graveyards“ zu sehen, die in Sonnebergs Mühlenkneipe aufgetreten waren. Im Gepäck hatten sie jetzt nicht nur die Frau-Ruckdäschl-Geschichte, sondern auch noch „Es ist kalt“, den Opa Kleiber und Röschen und Kalli.

Na ja, dachte ich, leben und leben lassen, die brauchen Unterstützung, die sind noch jung.

So gingen die Tage und Wochen dahin, Herr Falk wäre dann eines Samstags auch mal wieder mit der Bereitschaft an der Reihe gewesen und hatte auch nicht versucht, sich davon befreien zu lassen.
Stattdessen rief mich seine Lebensgefährtin an, also nicht Lizzy, sondern die Frau mit der er auch noch zusammenlebte, und entschuldigte ihren Mann, der habe Rücken. Er habe sich bei der schweren Arbeit bei uns dermaßen verhoben, daß er unmöglich Bereitschaft machen könne, diese Schmerzen, er käme ja kaum vom Stuhl hoch und schon beim Händewaschen sei er auf fremde Hilfe angewiesen.

Ach du meine Güte, gute Besserung!

Manni knurrte nur gelangweilt ins Telefon, als ich ihm das sagte und dann schnalzte er noch mit der Zunge und machte „tss, tss, tss“.

„Was ist denn?“ erkundigte ich mich: „ist das jetzt so schlimm, der hat doch die letzten Male immer schön Bereitschaft gemacht.“

„Hatter nich‘!“

„Wie jetzt?“

„Was, wie jetzt?“

„Wie, der hat keine Bereitschaft gemacht?“

„Das kam doch von Ihnen, das müssen Sie doch am Besten wissen.“

„Wer? Ich? Manni, ich bin ratlos! Der war vor vielen Wochen ein paar Mal bei mir und da habe ich ihm schon gesagt, daß das jetzt nicht einreißen darf, weil die anderen schon meckern. Seitdem hat der nie wieder gefragt.“

„Was?“

„Genau so, wie ich sage.“

„Und mir hat der erzählt, das käme von ganz oben, direkt vom Chef, er brauche das jetzt nur noch zu machen, wenn keiner meckert.“

„Na ja, sooo habe ich das nicht gesagt. Ich habe gesagt, das darf nicht einreißen, weil die anderen schon maulen.“

„Ich sach’s ja: Mir hatter das eben so verklickert, daß sie gesagt hätten, er brauche das nicht mehr zu machen, wenn keiner meckert; und dann ist er immer zum Jörg gegangen und hat dem das aufs Auge gedrückt. Der Jörg, der ist ja noch neu und hat Angst, seinen Job zu verlieren und weil der Heiner doch quasi ihr Sohn ist und so.“

„Was ist der? Ich habe zwei Kinder und hätte es durchaus bemerkt, wenn der elfengleiche Korpus meiner Allerliebsten durch eine Schwangerschaft entstellt worden wäre. Nein, der ist nicht mein Sohn, der hat bloß so Anwandlungen, dass er in mir väterliche Gefühle wecken will. Den knöpfe ich mir am Montag vor, heute ist der auf jeden Fall krank, der hat Rücken. Soll halt Jörg nochmal für ihn fahren.“

Manni quittierte das wieder mit einem Knurren und Zungenschnalzen.

Sonntagmorgen. Brötchen um elf, Kaffee heiß, schwarz und frisch, Kinder gut gelaunt, die Allerliebste allerliebst wie immer und aus dem Radio dudelt schöne Musik.
Eigentlich alles ganz schön.

Dann ruft Manni an: „Chef, so geht das nicht! Dreimal waren wir jetzt draußen, einmal heute Nacht und jetzt am Sonntagmorgen auch schon wieder und immer mußte ich mit raus, weil ihr werter Heiner ja aua Rücken hat. Und was sehe ich am Gasthaus Birnental? Häh? Wen sehe ich da? Wer schleppt da riesengroße schwarze Bühnenkisten aus einem alten Kombi ins Lokal? Genau! Den, der sich vor lauter Schmerzen bei uns vor der Arbeit drückt! So geht das nicht!“

„Okay, ich spreche morgen mit ihm.“

Ich schlucke den Ärger runter und verbringe einen schönen Tag mit der Familie.

Montagmorgen. Heiner Falk schleppt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht aufs Firmengelände, jammert bei jedem Schritt und hält sich den Rücken.
Trotzdem schafft er den beschwerlichen Weg in mein Büro, wo ich ihm Vorhaltungen mache.
Er glotzt mich nur mit großen Kuhaugen an, bekommt wieder Tränchen in den Augenwinkeln, weil „Vadda“ mit ihm schimpft und dann geht er wortlos weg an seine Arbeit, ohne zu humpeln, ohne sich den Rücken zu halten, ohne was…

Am nächsten Morgen lag ein Päckchen auf meinem Schreibtisch.
Ich nahm es, ging zu Frau Büser und fragte: „Briefbombe, oder was?“

„Keine Ahnung, Chef, das hat mir Herr Falk für Sie gegeben.“

Im Büro öffne ich das Päckchen und finde darin eine wunderschöne geschnitzte Tabakspfeife. Ja, Herr Falk hatte einmal gesehen, daß ich gemütlich im Sessel in der Ecke meines Büros gesessen und Pfeife geraucht habe. Ab und zu gönne ich mir das und wenn mir ein Kunde eine schöne Zigarre schenkt, was ja heute in den Zeiten der political correctness immer seltener wird, dann rauche ich auch so etwas mal ganz gerne.

Bei der Pfeife liegt ein kleiner Zettel:

„Sorry! Kommt nicht wieder vor!
Dein Hinnerk und Deine Lizzy“

Unter dem Text hatte Lizzy Hiller mit Lippenstift einen Kussmund aufgedrückt.

Konnte ich da noch böse auf einen von den beiden sein?
Wäre ich es nur weiterhin gewesen, wäre mir noch so einiges erspart geblieben!


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 26. Februar 2014

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tobi
10 Jahre zuvor

Was hat Rauchen oder Nichtrauchen mit political correctness zu tun?

Konni
Reply to  tobi
10 Jahre zuvor

Es wird von „den Leuten, die wissen, was gut für dich ist“ nicht gerne gesehen.

http://www.novo-argumente.com/magazin.php/novo_dossiers/rauchverbot/

hat da ein Dossier dazu…

tobi
Reply to  Konni
10 Jahre zuvor

Das mag ja sein. Political correctness ist aber was anderes.

nadar
Reply to  Konni
10 Jahre zuvor

Ob ich Raucher sehe, ist mir wurscht.
Die, die ich riechen kann, stinken mir.
Zigaretten sind die schlimmsten Stinkmorcheln, Pfeifenrauch ist (natürlich tabakabhängig) erträglicher – imo.
(Es gibt übrigens auch Raucher, die nicht stinken, wenn sie nicht rauchen.)

Lochkartenstanzer
Reply to  Konni
10 Jahre zuvor

Die Leute auf Novo-Argumente verkennen, daß es solange gute Gründe für Verbote gibt, solange es noch rücksichtslose Raucher gibt, die ihre Mitmenschen ohne Rücksicht auf andere mit Ihren „Abgasen“ belästigen und schädigen. Diese Raucher sind zwar eine Minderheit, dennoch prägen sie das Bild der Raucher.

Lochkartenstanzer
Reply to  tobi
10 Jahre zuvor

Nichts. Ist nur ein Stilmittel (vermute ich).

melonja
10 Jahre zuvor

Also, ich glaub ich hätte mir hier gern den Sonntag versaut und den armen Schwerkranken zuhause besucht. Und als „Geschenk“ hätte ich gleich noch seine Papiere dabei gehabt. Auf Kosten der Kollegen krankfeiern, sich vergnügen – wahrscheinlich auch noch gegen Gage – und den Chef beschwindeln.
Sowas geht gar nicht!

Ölfinger
10 Jahre zuvor

Ich bin ja dafür bekannt, das Gemüt eines Schaukelpferdes zu haben. Trotzdem wäre mir spätestens an dieser Stelle der *rsch geplatzt.

Salat
10 Jahre zuvor

Kennst du den Ausdruck „dummgut“?

Salat

10 Jahre zuvor

Das geht noch weiter? Ich glaube ich hätte den lieben Heiner bereits gekündigt.

(Bin aber trotzdem gespannt auf weitere Geschichten.)




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