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Der eingebildete Geizige

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Naja, schon wieder so einer, dachte ich, als ich neben Herrn Krautner im Ausstellungsraum stand und mir seine Wünsche notierte. Zielsicher deutete er auf den preiswertesten Sarg, keine Griffe, keine Deckelschrauben, der „Einfachverbrenner“, wie wir ihn nennen. Bei der Urne folgte er meinem Hinweis, daß man diese Überurnen nicht braucht und auf ein Kissen und eine Decke verzichtete Herr Krauter auch. Na, der ist ja mal geizig, dabei geht es doch um seinen Vater.

Ich habe gar keine Lust, ihm was aufzuschwatzen, weise aber trotzdem darauf hin, daß die von ihm getroffene Auswahl das unterste Level des Möglichen darstellt.
Er nickt und sagt: „Wenn’s noch billiger geht, würde ich das auch machen.“

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In einem Kommentar schrieb jemand: Dem Fisch müsse der Wurm schmecken, nicht dem Angler.
Gut, der Angler bin in diesem Fall ich, aber wer bitteschön ist der Fisch, der Sohn oder der Vater? Hätte es dem Vater so gefallen?
Ich werde es herausbekommen! Möglicherweise ist der Vater ja einer derjenigen, die immer sagen: Wenn ich mal tot bin, dann verscharrt mich einfach auf ’nem Acker. Und der Sohn ist vielleicht einer, der den Wunsch des Vaters innerhalb des Möglichen umsetzt, wer weiß?

Später im Beratungsraum komme ich an die Stelle des Fragebogens des Standesamtes, an der ich im Auftrag der Behörde nach eventuellen Vermögenswerten des Verstorbenen fragen muss.
Da lehnt Herr Krautner sich zurück, schluckt schwer und ich merke, wie sich in ihm Aggressionen aufbauen.

Dann erzählt er mir, warum er seinen Vater nur mit dem Notwendigsten versorgen mag.

Sein Vater hat seine Mutter bereits 1955 mit vier kleinen Kindern sitzengelassen und sich einer anderen Frau zugewandt. Mit der habe er wohl ebenfalls vier Kinder, habe diese Frau aber nie geheiratet und die Kinder tragen den Nachnamen der Mutter. Von Kindern wird hier nur im Sinne der Nachkommenschaft gesprochen, heute sind das alles erwachsene bis sogar ältere Personen.

In seinem neuen Leben hat der Mann gut gelebt, seiner Lebensgefährtin ein Haus gebaut und seinen „neuen“ Söhnen und Töchtern Ausbildungen finanziert und Eigentumswohnungen gekauft. Die Kinder von seiner eigentlichen Frau, die sich nie hat scheiden lassen, wuchsen in Verhältnissen auf, bei denen man, wie Herr Krauter sagt: „…oft nicht das Brot über Nacht…“ hatte.

Als seine Mutter vor sieben Jahren gestorben sei und er vor dem Berg der Bestattungskosten gestanden habe, sei er brieflich an seinen Vater herangetreten und habe ihn gebeten, sich wenigstens an den Beerdigungskosten zu beteiligen. Daraufhin habe der Vater ihm einen 20 D-Mark-Schein in einem Briefumschlag geschickt.

Jetzt sei der Vater krank geworden, hier in der Stadt in ein Krankenhaus gekommen und letztlich auch hier verstorben.

Von den vier Kindern aus der eigentlichen Ehe leben noch drei und die sollen jetzt für die Bestattungskosten des Vaters geradestehen. Die Lebensgefährtin und deren Kinder weisen alles von sich, man habe sich auseinandergelebt und offiziell nichts miteinander zu schaffen.

Deshalb kommt es jetzt für ihn überhaupt nicht in Frage, daß der Vater mehr bekommt, als eine anonyme Feuerbestattung.

Jetzt kann ich ihn verstehen.

Solche Fälle hatte ich schon mehrmals in allen möglichen Variationen. Es ist immer bitter, wenn man für einen nahen Verwandten, den man gar nicht kannte oder der einem Böses angetan hat, auch noch die Bestattung bezahlen muss.

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Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#eingebildete #geizige

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(©si)