Dank Sandys, sicher nicht uneigennützigem Einsatz an der hitzigen Front, gingen Einäscherung und der weitere Verlauf problemlos vonstatten. Herr Casper erscheint noch einmal bei uns, sein Gesichtsausdruck ist müde, er hat eingesehen, daß er verloren hat. Irgendwie tut er mir in diesem Moment fast schon ein bißchen leid. Aber ein schlechtes Gewissen habe ich nicht, denn wir kämpfen immer dafür, daß die Wünsche unserer Vorsorgekunden möglichst genau umgesetzt werden.
Wir weichen auch so schon oft genug davon ab. Warum? Tja, manchmal stellen sich die vor Jahren geäußerten Wünsche einfach zum Zeitpunkt der Bestattung als undurchführbar heraus, manchmal reicht dann leider das Geld, trotz aller unserer Abstriche und Bemühungen, nicht ganz oder wir müssen einfach erkennen, daß die Wünsche der Hinterbliebenen wichtiger und vorrangiger sind.
Nicht selten kommt es vor, daß ein alter Mensch sich in seiner Bestattungsvorsorge eine Grabstelle wünscht, deren Pflege kein Mensch übernehmen will, vielleicht auch noch in einer Stadt, weit entfernt vom Heimatort seiner Familie. Zum Zeitpunkt der Vorsorge hatte er uns diese Wünsche plausibel machen können, nach seinem Tod stellt sich heraus, daß das entweder eine sentimentale Spinnerei war oder aber, daß der Mensch vielleicht doch schon seniler war, als wir es bemerken konnten.
Dann liegt unser Bestreben darin, einen Kompromiß zu finden, der die Wünsche des Verstorbenen eben so gut wie möglich berücksichtigt, und dennoch die Interessen auch der Lebenden wahrt. Sie sind es schließlich, die das Päckchen, daß der alte Mensch ihnen auferlegt hat, nun vielleicht für Jahrzehnte tragen müssen.
Herrn Casper war es aber überhaupt nicht darum gegangen, in irgendeiner Weise etwas für seinen Vater zu tun, sondern er wollte nur den Fortgang der Geschichte verzögern und verhindern, um ein Druckmittel gegen die französische Mademoiselle zu haben. Und dieses Erbschaftsheckmeck, das ging uns als Bestatter nun wirklich nichts an. Da soll er sich mit der Frau auseinandersetzen, sein Vater hat das, was für seine Erbschaft am allernotwendigsten war, getan, nämlich sterben.
„Mein Anwalt meint, ich hätte sowieso schlechte Karten. Frankreich gehört zwar zu EU, aber führen Sie da mal einen Prozeß!“
Ich zucke nur mit den Schultern. „Wozu sollte das notwendig sein? Wohin soll das führen? Ich meine, es gibt ein Testament, Punkt.“
„Eben…“, Herr Casper seufzt. „Aber ich kriege meinen Pflichtteil, das ist ja auch was.“
„Lieber den Spatz in der Hand, als den Käse vor dem Bahnhof!“, sage ich und nicke.
„Wo ist er denn jetzt?“
„Ihr Vater? Nun, der ist im Krematorium und wurde bereits eingeäschert.“
Er nickt langsam und bedächtig. „Und ich dachte, ich könnte das aufhalten. Diese Frau Hitz machte einen sehr zuverlässigen und beleckten Eindruck.“
In dem Moment hüstelt Sandy hinter uns; sie hatte gerade den Raum betreten und den letzten Satz noch mitbekommen. „Ja, das ist sie!“
„Hau ab!“, raune ich ihr zu und Herr Casper weiß nicht, um was es geht.
Ihn frage ich: „Und, wie geht es weiter? Ewige Feindschaft zu der Frau in Frankreich oder was?“
„Ach wissen Sie, wenn ich an das viele Geld denke, daß da möglicherweise zu haben wäre, dann kommt mir als erstes in den Sinn, zornig zu sein und mehr davon haben zu wollen …“
„Wer wollte das nicht?“
„…Eben! Und dann drängt sich mir in den Kopf, daß es ja nur möglicherweise zu haben ist. Was für ein Theater, was für Nerven, was für’n Ärger! Nein, das ist es mir dann doch nicht wert.“
„Viel mehr hätten Sie davon, sich mit der Madame zu treffen, gemeinsam mit ihr die Urne Ihres Vaters auf diesem schönen kleinen französischen Landfriedhof zu bestatten und dann eben in Frankreich jemanden zu haben, der wie Sie Ihren Vater vermißt…“
„Vielleicht haben Sie ja sogar Recht“, meint Herr Casper.
Ich würde ja gerne glauben, daß es auf diese Weise zu einem Happy-End kommt, aber ich kann auf der anderen Seite auch nicht vergessen, wie aggressiv und fordernd Herr Casper noch vor wenigen Tagen aufgetreten war.
Später sitzen wir mal wieder alle zusammen im engsten Raum des Hauses, in der Kaffeeküche. Antonia beschwert sich: „Ich will auch mal geschäftlich mit jemandem vom Amt ausgehen, so wie Sandy.“
Sandy prustet: „Da gehört eine gewisse Opferbereitschaft dazu.“
„Ach komm“, ärgere ich sie: „Da wage ich mal die Frage in den Raum zu stellen, wer da das Opfer war.“
Antonia hat noch einen Vorschlag: „Oder wir fahren alle zusammen nach Südfrankreich und nehmen an der Beerdigung von Monsieur Gerard teil!“
Für einen kurzen Moment sehe ich uns alle auf einem schönen halbdienstlichen Betriebsausflug nach Südfrankreich, doch dann ist dieser Gedanke auch schon wie weggewischt. Im Augenblick ist zuviel zu tun, das geht nicht; auch wenn die Idee sehr reizvoll ist.
Am Ende des Tages ist von dieser Idee nichts als ein winziger Rest geblieben und auch der verblaßt schnell.
Auch die Erinnerung an unseren falschen Franzosen verbleicht im Laufe der Zeit.
Wir werden erst wieder kurz vor Weihnachten daran erinnert, als uns ein Umschlag aus Frankreich erreicht. Er enthält eine mit wenigen Sätzen beschriebene Karte und ein Foto, daß eine Trauerweise vor einer von schwachem Licht beleuchteten Kapelle zeigt. Es ist ein Foto von Monsieur Gerards Landfriedhof in Südfrankeich.
Ob Herr Casper jemals Kontakt zur Mademoiselle aufgenommen hat? Ich weiß es nicht, ich stelle mir aber einfach vor, daß es so gewesen ist.
ENDE
Episodenliste:
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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Ups, danke.
@Glückauf:
Der hängende Franzose hat ein Ende gefunden 🙂
Ich freue mich, dass die Geschichte doch noch so ein „gutes Ende“ hatte.