Menschen

Der Patentmann -4-

Die abermals erwartete Wendung mitsamt des ominösen Herrn Schade blieb aus. Er kam schlicht und ergreifend nicht und Frau Büser hatte ihr unnachahmliches Hab-ich-doch-gleich-gesagt-Lächeln aufgesetzt und die kurz nach dem Besuch von Frau Bauer fertiggemachten Papiere an Manni übergeben. Jetzt konnte alles seinen Gang gehen und die Feuerbestattung durchgeführt werden.
Der Tag ging zu Ende, ohne daß Herr Schade aus Südafrika bei uns erschienen war.

Am nächsten Morgen brachte den Verstorbenen gleich als Erstes vom Krankenhaus ins Krematorium.

Der Tag verlief ganz normal, eine alte Frau betrauerte in unseren Aufbahrungsräumen ihren Otto und hielt uns der Reihe nach alle von der Arbeit ab, weil sie jedem ein kleines Plastikalbum mit Bildern aus alten Zeiten zeigen wollte.

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Nachdem ich Nachmittags einen Puddingkrapfen von Antonia angenommen und gegessen hatte, überkam mich große Müdigkeit und weil es ohnehin im Betrieb ruhig und auftragslos war, was ja bei Bestattern durchaus vorkommen kann, wollte ich gerade Frau Büser, ihre Kolleginnen und die Männer im Keller etwas früher nach Hause schicken.

Ich wollte…

…doch dann kam er überraschend doch noch, der Hungerleider, Habenichts und ehemalige Fremdenlegionär aus Südafrika.

Und was? Da kam kein abgerissener, sonnengebräunter Mann im Tropenanzug, dem an seinem verschlagenen Gesichtsausdruck schon anzusehen war, daß er ein Erbschleicher und Betrüger ist, sondern da kam ein feiner, an die 70 Jahre alter Herr im Maßanzug.
Der etwa 1,80 m große Mann wirkte überaus gepflegt, sprach ein akzentfreies Deutsch und wirkte etwas abgehetzt. In Paris habe es Probleme gegeben und die Anschlußmaschine sei erst heute gegangen.

„Kommen Sie bitte!“ sagte ich und führte ihn ins Kaminzimmer. Kein anderer Raum hätte besser gepaßt.

Herr Schade fragte sofort nach dem Verstorbenen und ich erzählte ihm, daß die beiden Damen die Feuerbestattung angeordnet hätten. Der Mann wurde kurz blaß, faßte sich aber sofort wieder, bat um einen Kaffee mit viel Zucker und begann zu erzählen.
Er stamme von einfachen Leuten ab, Herr und Frau Schade seien einfache Menschen gewesen und damals waren sie auch noch nicht verheiratet. „Also in der Zeit wo meine Geschichte spielt, ja? Da war das so, daß mein Vater, also der Herr Schade noch in Kriegsgefangenschaft war und meine Mutter, also die Frau Schade, gar nicht wußte daß der noch lebt. Überall um sie herum gab es nur Frauen, deren Verlobte, Freunde, Männer und Söhne nicht mehr aus der Gefangenschaft zurückgekommen sind. Die wenigen, die damals kamen, haben immer von Dutzenden von Männern zu berichten gewußt, die alle in den Straflagern umgekommen waren.
So nahm meine Mutter an, der Schade sei auch tot und sie gab dem Werben des Herrn Vockenroth nach und so wurde sie mit mir schwanger.“

„Und dann?“ fragte ich gespannt.

„Ja und dann als sie mit mir schwanger war, hat der Vockenroth ihr 200 Mark gegeben und gesagt, er wolle damit nichts zu tun haben, er habe andere Pläne für seine Zukunft.“

„Und?“

„Und dann kam Herr Schade aus der Gefangenschaft zurück. Mit zwei Kameraden war er fortgelaufen und über weite Umwege bis in die Heimat gelangt. Meine Mutter hat ihm alles gebeichtet und er hat gesagt, daß es ihm egal sei. Das Kind müsse auf die Welt kommen und sie haben dann sofort geheiratet. Gleich nach meiner Geburt ist er dann aufs Standesamt und so wurde ich auf dem Papier ganz einwandfrei sein Sohn.
Ich habe davon aber natürlich nichts gewußt, keiner hat da etwas von gewußt, außer den Großeltern, die haben aber nie was gesagt und die sind ja auch schon ewig tot.
Ende achtziger Jahre ist mein Vater dann gestorben, da lebte ich schon in Südafrika.“

„Was machen Sie da eigentlich?“

„Ich? Ich habe eine Firma für Kraftwerkskomponenten, Turbinen, Pumpen, Gasmotoren. Mir geht es finanziell sehr gut, ich bin selbst vermögend und gehöre sicherlich in der Kapregion zu den reichsten Geschäftsleuten. Um Geld geht es mir bei der Vockenroth-Sache nicht…“ und nach einer kurzen Sekunde des Überlegens fügte er hinzu: „Zumindest mal nicht in erster Linie.
Als mein Vater gestorben ist, hat es nicht lange gedauert, da wurde auch meine Mutter krank und damals war sie für drei Monate bei mir und meiner Familie in Südafrika. Da hat sie mir dann alles gebeichtet und mir Dokumente übergeben.“

„Was für Dokumente?“

„Briefe. Briefe vom Vockenroth. Briefe in denen er eindeutig über seine Liebe zu meiner Mutter schreibt und einen Abschiedsbrief in dem er sagt, er wolle mit dem Kind nichts zu tun haben. Das ist doch der Beweis, daß er von mir wußte und daß er wußte, daß ich von ihm abstamme.
Ich habe damals, da war meine Mutter dann schon tot, versucht ganz normal und freundlich Kontakt zu ihm aufzunehmen. Aber Frau Bauer, die hat wie ein Zerberus jeden Kontakt verhindert. Dann bin ich extra nach Deutschland gekommen und habe ihm am Wohltätigkeitsclub eines Abends aufgelauert. Na, sagen wir, ich habe in einem Wagen dort auf ihn gewartet und bin dann ausgestiegen und habe mich vorgestellt.
Glauben Sie mir, der hat sofort gewußt, wer ich bin, außerdem sehe ich dem ja ähnlich, ich bin dem wie aus dem Gesicht geschnitten.
Erst hat er kurz gezögert, dann hat er überlegt und sogar einen Moment gelächelt und es sah so aus, als ob er sich freue, doch dann von einer Sekunde auf die andere war das Lächeln verschwunden und er stieß mich beiseite. ‚Hauen Sie ab! Ich kenne Sie nicht! Ich weiß nicht was Sie von mir wollen! So ein Unsinn, ich habe keine Kinder!‘ hat er gerufen und seinem Chauffeur zugewunken. Weg war er.“

„Ich staune, Herr Schade“, sagte ich.

„Ja, das können Sie auch. Ich bin definitiv der leibliche Sohn des Herrn Vockenroth und kann das anhand von Schriftstücken beweisen.“

„Ob die Briefe da ausreichen?“

„Ha! Ich habe auch noch eine notariell beglaubigte eidesstattliche Versicherung meiner Mutter!“

„Mann, Mann, Mann…“

„Ja und deshalb bin ich als einziger lebender Verwandter auch der Einzige, der sich um die Beerdigung kümmern darf und der das Erbe antreten wird.“

„Und die Damen Bauer und Maternas?“

„Was gehen die mich an? Es greift die gesetzliche Erbfolge und selbst wenn mein leiblicher Vater alles denen vermacht hat, bleibt mir immer noch der Pflichtteil und der dürfte ja, nach allem was man so weiß, nicht ganz unbeträchtlich sein. Es soll da ein Milliardenvermögen geben.“

„Mann o Mann! Aber Sie sagten doch, daß es Ihnen nicht ums Geld geht.“

„Ja, geht es mir auch nicht. Oder sagen wir es so: Ging es mir auch nicht. Ich habe selbst Millionen gemacht, ich bin längst im Ruhestand, habe mit Nichts angefangen und mir ein Vermögen erarbeitet, mit diesen Händen hier! Aber wenn man alt ist und wenn man Zeit hat, dann kann man sich auch solcher unerledigter Sachen annehmen und seine Zeit investieren. Und als Vockenroth mich weggestoßen hat, habe ich hier in Deutschland eine Anwaltskanzlei beauftragt.
Da gingen Dutzende von Briefen, aber was für welche, hin und her. Lange Schriftsätze voller Juristendeutsch. Am Ende stand nur eins fest, daß die Fronten festgefahren und verhärtet waren. Ich kann alles beweisen und die Gegenseite behauptet, das sei alles Humbug und erlogen und erstunken. Aber ich bin ja nicht doof…“

„Wie meinen Sie das?“

Er grinste und sagte: „Ich habe einen Detektiv beauftragt und der hat mir in einem Wellness-Club, wo der Vockenroth immer hingegangen ist, Haare aus der Bürste von Vockenroth besorgt. Das hat mich 5.000 Dollar gekostet.“

Herr Schade klopfte auf seine rechte Brustseite: „Hier habe ich die Locke in einem Plastikbeutelchen. Das ist der schlagende Beweis! Ich kann alles belegen.“

„Und was soll das beweisen?“ fragte ich, schaute auf die Armbanduhr und fuhr fort: „Jetzt müßte Herr Vockenroth schon eingeäschert sein. Wie wollen Sie beweisen, daß die Haare von ihm sind? Was soll da mit was verglichen werden?“

„Dafür habe ich eine ebenfalls beglaubigte Aussage des Detektivs, aber ich habe noch einen Trumpf in der Hinterhand.“

„Und was ist das für ein Trumpf?“

„Es gibt noch die alte Frau Böhne. Die kannte meine Mutter und den Vockenroth und die kann vor Gericht alles bezeugen. Ihr gegenüber hat Vockenroth damals unumwunden zugegeben, daß er mein Vater ist. Aber sie hat natürlich nie etwas dazu gesagt, es war ja von dem Moment an alles in Ordnung, als Herr Schade als mein Vater eingetragen worden ist. Da war dann ja alles in Butter, wie man so sagt. Mein Vater, also jetzt der Herr Schade, der hat ja nie was vom Vockenroth hören wollen und so ist man auch nie an den herangetreten. Es ist sozusagen einfach Gras über die Sache gewachsen und wahrscheinlich hat Vockenroth nie damit gerechnet, daß ich eines Tages vor ihm stehen würde.“

„Und jetzt?“

„Jetzt lassen wir alles so laufen, wie die Bauer und die Maternas das geplant haben. Ich nehme an, daß die alles vom Feinsten wollen und so soll es dann ruhig auch sein. Aber nach der Beerdigung, wenn die sich auf die Testamentseröffnung freuen, dann lasse ich die Bombe platzen!“

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(©si)