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Die Brücke -Erinnerung-

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

„Die Brücke“, so hieß ein zweiteiliger Text, der vor geraumer Zeit hier erschienen ist und heute sehe ich, daß der dritte und letzte Teil immer noch unveröffentlicht auf der Festplatte schlummert.
Bevor also nachher dieser letzte Teil erscheint, stelle ich hier die gesamte bisherige Geschichte zu Erinnerung noch einmal online:

Manni kommt an meiner offenen Bürotür vorbei, ich sehe, daß er sich im Laufen seine Krawatte anzieht und weiß, daß er sich jetzt im Büro die letzten Instruktionen für einen bevorstehenden Einsatz holt. Auch Sandy hat sich in Schale geschmissen, im Grunde trägt sie dasselbe wie Manni, nur statt der Krawatte hat sie schwarzes Bäffchen an.

Sie kommt zu mir ins Büro und sagt nur diese zwei Worte, die uns immer einen Schauer über den Rücken jagen: „Die Talbrücke.“

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Bei der Brücke handelt es sich um eine Autobahnbrücke die an der höchsten Stelle weit mehr als 50 Meter über Grund spannt und die immer wieder Menschen anzieht, die sich das Leben nehmen wollen. Selbst eine Erhöhung des Geländers vor einigen Jahren hat nur wenig gebracht, etwa drei bis fünf Mal im Jahr muß irgendein Bestatter in die kleine Ortschaft unterhalb der Brücke, um einen Körper dort aufzulesen.

Es gibt sogar einen Bestatter in dieser Ortschaft, aber der weigert sich seit über 40 Jahren, diese Opfer zu bergen und so fällt diese traurige Arbeit neben den Rettungskräften immer dem Bestatter anheim, der gerade turnusmäßig Polizeidienst hat. Uns erwischt es etwa alle zwei Jahre, meistens haben wir Glück…
…heute aber nicht.

Ich will es dem geneigten Leser ersparen, näher darauf einzugehen, was unsere Leute an solchen Einsatzorten erwartet. Jedenfalls hat es mit der friedlich eingeschlafenen Großmutter, die mit einem Lächeln auf den Lippen ihrem Schöpfer gegenübertritt, nicht das Geringste zu tun.
Nach solchen Einsätzen kommt es immer mal wieder vor, daß selbst hartgesottene Bestattungshelfer einen freien Tag benötigen und ich habe auch schon von Kollegen gehört, daß Männer wortlos ihre Sachen packten und nie wiederkamen.

Als Sandy und Manni gut zweieinhalb Stunden später zurückkommen, sind sie einsilbig und tun beide so, als wären sie ganze Kerle. Das gehört wohl dazu, man will wenigstens nach außen hin nicht schwächlich erscheinen und, das muß ich auch noch erzählen, manchmal retten sich die Bestattungshelfer auch in Scherze und ein Vokabular, das Angehörige besser nicht zu Ohren kommen sollte.
Ich will nicht sagen, daß meine Leute da ganz anders sind, aber zumindest habe ich so ein Verhalten in meinem Stall noch nicht beobachtet. Allerdings brauchen die Erlebnisse halt doch irgendwo ein Ventil…

Manni legt mir den Ausweis des Verstorbenen auf den Tisch, ich muß schlucken, es ist ein junger Mann, geboren 1990. Sandy tippt auf das Foto und sagt: „So sieht der aber nicht mehr aus.“ Dann schauen sich Manni und Sandy an, ich mache die Schreibtischschublade auf, schieben jedem einen Fünfziger über den Tisch und wir wechseln kein weiteres Wort darüber.

Manni ist das Geld wichtiger als Sandy, er will seinem Sohn ein Fahrrad kaufen, Sandy schiebt mir das Geld wieder rüber, bedankt sich und meint, ich solle es bis Freitag aufheben, dann wolle sie mit Freunden nach Holland, Pilze kaufen.
Ich bin ja so doof. Man glaube mir bitte, daß ich ernsthaft glaubte, das blöde Teufelsweib kaufe wirklich Champignons oder sowas – ich glaube ich werde langsam zu alt für diese Welt…

„Wo ist der Verstorbene jetzt?“ will ich wissen, Manni sagt: „Unten bei Huber, die Freigabe können wir heute wohl noch holen, die sagen, der hätte einen Abschiedsbrief hinterlassen und ein Brummifahrer hat gesehen, daß der ohne fremde Hilfe den Abgang gemacht hat.“
Als Manni sieht, wie ich ihn über meine Brille hinweg ansehe, verbessert er sich und sagt: „…wie der Mann in die Tiefe gesprungen ist.“

Jetzt können wir warten, ob sich jemand von den Angehörigen bei uns meldet oder ob die einen anderen Bestatter beauftragen, der dann den Verstorbenen bei uns wieder abholt. Ich jedenfalls rufe jetzt nicht bei den Angehörigen an, es kann nämlich durchaus sein, daß sich die Behörden, wie schon einmal, sehr üppig Zeit lassen und viele Stunden vergehen, bis da jemand bei der Familie vorbeigeht, um denen zu sagen, was passiert ist.
Ich erinnere mich da an einen Fall, daß ich nach fast vier Stunden wegen eine dringenden Frage bei einer Familie anrief und sofort merkte, daß die noch gar nicht Bescheid wußten. Glücklicherweise hatte ich mich nur mit meinem Nachnamen und nicht mit der Firmenbezeichnung gemeldet. Damals tat ich so, als habe ich mich geirrt und habe dann viel später nochmals angerufen.

Einer jungen, vielleicht auch etwas unerfahrenen, Kollegin ist es aber so passiert, daß sie im Auftrag der Polizei einen Verstorbenen abholen mußte und man ihr sagte, daß man jetzt sogleich zu der Familie fahre und es wegen der Umstände am Besten wäre, wenn sie kurz darauf direkt zu denen hinfahre. Das hat sie dann auch gemacht und stand dann da, mit ihrem Beratungskoffer bei der Mutter der Familie vor der Tür und stellt sich als Bestatterin vor, die wegen der Beerdigung ihres Mannes und Vaters der Familie hergekommen sei. Leider wußte die Frau noch gar nicht, daß sie Witwe war und es ergab sich eine äußerst peinliche Situation.

Jetzt ist es natürlich nicht üblich oder die Regel, daß die Bestatter sich sofort mit den Angehörigen einer „Polizeileiche“ in Verbindung setzen. Selbstverständlich wartet man normalerweise darauf, daß sich die Familie dann nach einigen Stunden meldet. Aber manchmal sind die Beamten, die die Todesnachricht überbringen, sagen wir es mal vorsichtig, etwas überfordert. Man darf nicht vergessen, daß sie oft kurz zuvor noch die teils dramatischen Bilder an der Unfallstelle sehen mußten und nun vor Menschen stehen, die mit nichts Bösem rechnen. Die Situation ist für alle nicht sehr einfach. Ja und da kann es eben vorkommen, daß die einen falschen Bestatter nennen oder vergessen, den Bestatter zu nennen oder sonstwas schief läuft. Wir haben dann einen Verstorbenen in der Kühlung und die Angehörigen haben keinen blassen Schimmer wo der ist.
Wenn sich also so überhaupt gar keiner bei uns meldet, dann müssen wir die Leute irgendwann mal anrufen und fragen, was denn jetzt ist.

In diesem Fall hier habe ich aber überhaupt keine Lust, bei den Leuten anzurufen. Ich hoffe einfach nur, daß die sich bei uns melden, das ist für mich wesentlich einfacher.

—-

Jens heißt der junge Mann, der von der Brücke gesprungen ist und seine Eltern heißen Dieter und Carola. Wir brauchten gar nicht bei denen anrufen, sie kamen gegen Abend von selbst vorbei, brachten eine Mappe voller Dokumente mit und saßen einfach nur fassungslos da.

Muß ich sagen, daß Dieter und Carola unisono berichteten, es gäbe auch nicht den geringsten Anlaß für Jens‘ Todessprung?

„Wir sind doch eine ganz normale Familie, sowas hat es bei uns noch nie gegeben“, sagte Vater Dieter und Mutter Carola schüttelte nur immer wieder den Kopf, wischt sich ihre Tränen ab und beteuert: „Wir haben doch alles für ihn getan.“

Einmal mehr zeigt sich, daß man niemanden so wirklich kennt, niemanden, manchmal nichtmal sich selbst…

Dieter und Carola Eisner sind leer. Welche Eltern machen sich schon Gedanken darüber, was mal sein wird, wenn sie eines ihrer Kinder beerdigen müssen? Es gibt genügend ältere Menschen, die sich keine Gedanken über ihr Ableben machen und sie hinterlassen oft Angehörige die hilflos beim Bestatter sitzen und noch nicht einmal wissen, ob der Verstorbene verbrannt werden wollte oder nicht.
Bei Älteren denke ich dann manchmal, daß die sich ja nun wirklich schon mal mit dem Thema hätten beschäftigen können, schließlich sehen sie, daß um sie herum der Bekannten- und Verwandtenkreis sich immer mehr ausdünnt.

Zunächst einmal kann ich den Eisners nur helfen, indem ich sie durch die Vorbereitungen der Trauerfeier leite und sie berate. Ich frage also nach der Bestattungsart und Frau Eisner und Herr Eisner antworten gleichzeitig, sie sagt: „Jens soll verbrannt werden“ und er sagt: „Auf keinen Fall einäschern“.

Das Ehepaar schaut sich an, er faßt ihre Hand, sie zuckt mit den Achseln. Ich versuche zu beraten, weise auf die Laufzeiten der Gräber und die Ruhezeiten hin, erkläre den Ablauf der Trauerfeier und zeige die Unterschiede zwischen einer Erd- und einer Feuerbestattung auf. Vielleicht ergibt sich daraus eine Entscheidungshilfe für die Eisners.
Sie sind immer noch unschlüssig, diskutieren miteinander und jeder von ihnen erinnert sich daran, daß ihr Sohn bei irgendwelchen Gelegenheiten mal das eine, mal das andere gesagt haben soll.

„Was für ein Grab soll es denn sein?“ erkundige ich mich.

Herr Eisner sagt: „So ein großes, für die ganze Familie.“

Ich rechne ihnen vor, was so ein Familiengrab kostet, weise auf ihr junges Alter hin und zeige ihnen auf, daß sie dreißig Jahre oder länger ein großes Familiengrab bezahlen und pflegen müßten, obwohl da nur ein Verstorbener bestattet wäre.

„Das wäre ja auch Quatsch oder was meinst du“, fragt Herr Eisner seine Frau, doch die zuckt wieder nur mit den Achseln und schüttelt den Kopf.

„Wer soll denn noch alles in das Grab?“ frage ich nochmals nach und Herr Eisner sagt: „Na, der Opa, also der Vater meiner Frau. Die Oma ist ja schon vor zehn Jahren gestorben und ihre Urne ist in so einem kleinen Minigrab, sowas wollen wir auf keinen Fall.“

„Wenn das so ist, dann könnte man doch ein Familiengrab nehmen. Ich wußte ja nicht, daß es da noch Eltern gibt. Also würde man jetzt Jens dort beisetzen, dann den Großvater, wenn man mal von der normalerweise zu erwartenden Reihenfolge ausgeht und wenn sie das so wollen, können wir in ein paar Jahren auch die Urne der Oma noch dort mit hineingeben.“

Frau Eisner faßt sich etwas, nickt heftig und sagt: „Das wäre schön, so habe ich mir das eigentlich immer gewünscht.“

„Ja dann…“, sagt Herr Eisner, bricht ab und schaut seine Frau an, während er ihre Hände hält. Sie sagt mit fragendem Ton: „Kevin?“ und er nickt. Dann wendet er sich an mich: „Es ist nämlich so, daß wir vor 23 Jahren schon einmal ein Kind hatten. Kevin ist mit vier Monaten gestorben, das Grab ist auch noch da.“

„Hmm, 23 Jahre ist aber an der Grenze, normalerweise sind Kindergräber da schon abgelaufen.“

„Das wissen wir. Das ganze Feld ist schon vor ein paar Jahren abgelaufen, aber es sind da noch ein paar Gräber am Rand, die laufen noch bis nächstes Jahr und dann wir das ganze Feld plattgemacht. Offiziell sind die anderen Gräber schon abgelaufen, aber wir können das Grab noch pflegen bis es dann soweit ist.
Meine Frau würde das Grab am Liebsten gar nicht hergeben, aber da die Ruhezeit für Kinder so kurz ist, sagen die von der Verwaltung, daß da jetzt alles vorbei ist.“

„Ich bezweifle auch, daß da noch wirklich viel in der Erde ist. Ob man da überhaupt an eine Umbettung denken sollte… Man müßte mal mit der Verwaltung sprechen. Was aber auf jeden Fall geht und machbar ist, wir können dann entweder auf den Grabstein am neuen Familiengrab Kevin mit aufführen oder noch einen kleineren Gedenkstein auf das Grab legen.“

Frau Eisner macht große Augen, tippt mit dem Finger auf meinen Notizblock und sagt: „Schreiben sie das bitte so auf! Ich will nicht, daß da was ausgegraben wird, aber wenn wir schon ein Grab für die ganze Familie bekommen, dann soll der Kevin wenigstens mit auf dem Stein stehen.“

So diskutieren wir fast eine halbe Stunde über Gräber, Grablaufzeiten, Ruhefristen und unten im Keller liegt ein junger Mann in der Kühlung, der von einer Brücke gesprungen ist. Über ihn verlieren die Eisners kaum ein Wort, sagen nur das Notwendigste. Offenbar hilft es ihnen momentan, sich mit dem anderen Drumherum zu beschäftigen, dann müssen sie nicht an diesen Fall denken.

Es führt aber kein Weg daran vorbei, auch für Jens müssen jetzt Entscheidungen getroffen werden.
Ich lege unser Formular wieder zuoberst auf meinen Stapel und fordere die beiden nochmals auf: „So, jetzt müssen wir aber entscheiden, ob Jens eingeäschert wird oder nicht.“

Herr Eisner ergreift das Wort: „Sie haben da vorhin so was gesagt, daß man auch eine Urnentrauerfeier machen kann. Wie war das nochmal ganz genau, ich glaube das wäre genau das Richtige für uns. Dann käme doch eine Feuerbestattung in Frage.“

„Nun, bei einer normalen Beerdigung steht ja der Sarg in der Trauerhalle, alle Trauergäste nehmen dort an der Trauerfeier teil und anschließend begleiten sie den Sarg zum Grab, wo dann die Beerdigung stattfindet. Ein gemeinsamer Gang, ein Weg. Bei einer Feuerbestattung sieht das in den meisten Fällen anders aus. Da steht auch der Sarg in der Halle, es gibt ebenfalls eine Trauerfeier, aber dann ist alles ziemlich abgeschnitten. Die Trauerfeier endet, der Sarg bleibt stehen und wird später ins Krematorium gebracht. Eine oder zwei Wochen später ist dann erst die Beisetzung der Urne. Man muß wieder auf den Friedhof, geht zum Grab, hat also zwei schwere Gänge auf den Friedhof.
Besser finde ich persönlich die Urnentrauerfeier. Wir würden Jens, wenn sie sich dann für eine Feuerbestattung entscheiden würden, schon sehr bald ins Krematorium bringen und dafür sorgen, daß die Urne recht zügig zur Verfügung steht. In etwa acht bis zehn Tagen könnte dann auf dem Friedhof eine Trauerfeier stattfinden. Vorne steht dann statt des Sarges die Urne, alle Trauergäste nehmen an der Trauerfeier teil und begleiten dann die Urne zum Grab und nehmen an der Beisetzung teil.
Das hat mehrere Vorteile. Zum einen braucht man für die Einäscherung keinen besonderen Sarg nehmen, das einfachste Modell genügt, denn den Sarg sieht ja niemand. Zum anderen hat man nur einen schweren Gang auf den Friedhof, weil alles zusammen passiert, diese einsame Urnenbeisetzung entfällt.“

„So machen wir das!“ sagt Frau Eisner, blickt ihren Mann an und sagt: „Dieter, ich will da vorne keinen Sarg stehen haben, ich könnte den Gedanken nicht ertragen, daß da Jens drinliegt. Bei einer Urne ist das irgendwie was anderes.“

Er nickt und ich mache das Kreuz bei ‚Feuer‘.

„Ich muß dann jetzt auch keinen Sarg raussuchen, oder?“ will Frau Eisner wissen und ich schüttele den Kopf: „Nein, müssen sie nicht. Vielleicht die Urne…“

„Jens liebte alles was silbern und golden ist, haben sie sowas?“ fragt Jens‘ Vater und ich schlage im Katalog die Seite mit der glänzenden Messingurne auf. Die beiden schauen sich an, nicken sich zu und Herr Eisner sagt: „Exakt, genau die ist es.“

Ich finde die Messingurne auch sehr schön, aber leider wollen die wenigsten Kunden sie kaufen. Wegen ihrer glänzenden Oberfläche sagen die Leute im Ausstellungsraum immer, sie sähe aus wie ein Sportpokal. Und bevor die Eisners hinterher dann enttäuscht sind, gehe ich nach nebenan und hole die Urne, um sie ihnen zu zeigen.

Da steht sie nun auf dem Sideboard, die Eisners betrachten sie und sind beide der Meinung, daß es genau die richtige Urne für ihren Sohn ist. Herr Eisner sagt: „Daß da ein ganzer Mensch reinpasst…“
Seine Frau weint und fügt hinzu: „…ein ganzes Leben.“

„Wir haben keine Ahnung, warum Jens das gemacht hat“, sagt er und das ist alles was er über Jens sagen will. Er wischt die Gedanken an ihn mit einem Ruck, der durch seinen Körper geht, einfach fort und fragt: „Was ist denn jetzt an Formalitäten zu erledigen?“

Ich erkläre ihnen alles, wir besprechen den Termin, das mit dem Pfarrer und den Blumenschmuck. Eine Anzeige wollen die Eisners auf gar keinen Fall in der Zeitung haben, da würde bestimmt ab morgen genug in der Zeitung stehen und sie wollen keinen Wirbel. „Die paar Leute, die das was angeht, die ruf ich selber an“, bestimmt Herr Eisner.

Mein Formular ist noch halbleer und ich frage die einzelnen Positionen ab. Schließlich komme ich an die Stelle, an der ich eintrage, welchen Beruf der Verstorbene hatte und das ist die entscheidende Stelle.

„Warum müssen sie das denn wissen?“ fragt Dieter Eisner und klingt aufgebracht.

„Also, wir wollen auf keinen Fall, daß da von der Arbeit jemand kommt“, sagt seine Frau und ich merke, daß es da etwas gibt, was die beiden sehr aufregt.

Ich versuche sie zu beruhigen und erkläre ihnen, daß ich diese Angabe für das Standesamt benötige und sie sich keine Gedanken zu machen brauchen.

„Jens war gerade dabei, sich auf die Verwaltungsprüfung vorzubereiten. Er wäre Verwaltungsfachangestellter bei der Stadtverwaltung geworden. Aber bitte, von der Arbeit soll keiner kommen.“ Herr Eisner macht eine abwehrende Handbewegung und pocht mit dem Finger dann auf den Tisch.

„Warum soll denn da keiner kommen?“

Frau Eisner sagt nur: „Weil er sich da nicht wohlgefühlt hat.“
Mehr nicht. Das ist alles.

Ich will sie auch nicht quälen oder ausfragen, stattdessen erkläre ich ihnen, wie es weitergeht, daß sie jetzt zum Friedhof gehen sollten, um ein passenden Grab herauszusuchen. Ein paar Sachen sind noch zu besprechen, das machen wir und dann lasse ich mir noch die Unterlagen unterschreiben und wir vereinbaren, daß die Eisners am nächsten Tag wiederkommen, um mir ein Foto von Jens zu bringen, das wir vergrößern und bei der Trauerfeier vor der Urne aufstellen können.

Herr Eisner zückt die Brieftasche und will alles gleich bezahlen, ich winke ab und weise ihn darauf hin, daß wir die Endsumme erst wissen, wenn das Grab ausgesucht wurde. Er besteht aber darauf, wenigstens schon mal 1.000 Euro dazulassen und ich schreibe ihm eine Quittung. Dann gehen sie.


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Lesezeit ca.: 21 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 24. Juli 2009 | Revision: 28. Mai 2012

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Micha der Eupheminator
15 Jahre zuvor

Komisch, immer wenn ich irgendwo höre oder lese „Wir sind doch ganz normal, bei uns passiert sowas nicht“ werd ich skeptisch.

Aber schon traurig, das ganze.

Trixi
15 Jahre zuvor

Er wurde sicher gemobbt auf der Arbeit! Da sollten sich die Hirnis, die andere nieder machen um selber größer da zu stehen mal Gedanken drum machen.
Das mir die Eltern furchtbar leid tun muß ich wohl nicht erwähnen. Das geht wohl jedem so der das liest. Schlimm find ich, daß die ihren Sohn sicher nicht noch mal sehen können. Das wäre wohl nicht ratsam,oder? Das find ich noch am schlimmsten,das der dann einfach so „weg“ ist,ohne ihn nochmal zu sehen.

Heute unkreativ
15 Jahre zuvor

Oha. Abzüglich der Brücke selbst klingt die Geschichte unliebsam bekannt.
Aber worauf ich eigentlich hinaus wollte: Ich fand es einigermaßen erstaunlich, dass Du, Tom, mit einer Selbstverständlichkeit schreibst, Menschen würden/sollten sich Gedanken um ihre Beerdigung machen. Vielleicht bin ich nun die Ausnahme, aber ich stehe fest auf dem Standpunkt, dass Beerdigungen für Hinterbliebene sind und sonst für niemanden. Meinetwegen könnte man mich eines Tages auch irgendwo auf einem x-beliebigen Acker verbuddeln. Was an „Drumherum“ gewünscht ist können die Hinterbliebenen schön selbst entscheiden. Ich bekomme es sowieso nicht mehr mit.

Manuela
15 Jahre zuvor

Ein entfernter Verwandter (auch geographisch) von mir ist auch von einer Brücke gesprungen, er war 29. Ich erinnere mich noch an ihn, wie er ein Kleinkind war, ca. 1 1/2 Jahre, mit süßen Locken. Seine Eltern wissen auch nicht, warum er es tat. Er hat vorher alles in Ordnung gebracht, seine Arbeit erledigt, alles aufgeräumt etc. Später habe ich mit seinem Onkel (einem Cousin von mir) gesprochen, er hat die Stelle besucht, wo der junge Mann in den Tod sprang. Im Gras war noch der Abdruck des Körpers zu sehen. Der Gedanke, ein Kind zu verlieren, ist einfach furchtbar. Aber noch schrecklicher ist es, wenn sich das Kind selber das Leben nimmt.

15 Jahre zuvor

Mit „da wird morgen noch genug in der Zeitung stehen“ wird er wohl ziemlich falsch gelegen haben – oder die Zeitung des Ortes hält sich nicht an den Pressecodex.

Petra
15 Jahre zuvor

Das ist doch eine 1:1-Kopie von früher?? Sämtliche Dinge hast du doch schon mal geschrieben…

Oder ich kann hellsehen, was ich jetzt eher weniger glaube.

Claudia
15 Jahre zuvor

lol Petra
nix da mit hellsehen

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Bevor also nachher dieser letzte Teil erscheint, stelle ich hier die gesamte bisherige Geschichte zu Erinnerung noch einmal online:
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15 Jahre zuvor

Schluck… mein Geburtsjahr. Vermutlich geändert, aber ist ja egal, kommt trotzdem vor. Das erinnert mich an Geschichten von Freunden, die Freunde verloren haben. Immer wieder gut zu wissen, dass man sich den eigenen Tod nicht herbei wünschen „muss“ und dass man anderen eine Hilfe dabei sein kann, eine Alternative zu finden…

MacKaber
15 Jahre zuvor

An der Arbeitsstelle werden sie es ohnehin erfahren, dass er tot ist. Unabhängig davon ob er im selben Hause wie das Standesamt gearbeitet hat oder nicht. Etwas sickert immer durch. Also müssen sie auch erfahren, dass niemand kommen soll, denn sonst taucht doch noch automatisch jemand z.B. vom Personalrat auf, um seine Rede zu halten. Soll jetzt der Vater den Personalrat informieren, dass niemand erwünscht ist, oder kann das Tom gleich praktischerweise im Auftrag des Vaters im Vorbeigehen erledigen?
– Obwohl – wenn der eine oder andere privat kommen würde, so würde das zeigen, dass dann genau diese Person keiner der Mobber war, und ihm Jens als Mensch etwas bedeutet hat.

Neuling
15 Jahre zuvor

Alter Bergmannswitz (wohl auch ein Beruf, der das Makabere fördert):

Steiger: „Sind sie die die Witwe Grabowsky?“
Frau Grabowsky: „Nein, ich bin Frau Grabowsky!“
Steiger: „Nein, sie sind die Witwe Grabowsky …“




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