Geschichten

Die Fee der Nacht -11-

Das Wetter an diesem Tag sollte schön werden und das ganze Radio-Pompadur-Land habe gute Laune…
Weiter kam der übertrieben fröhliche Sprecher nicht, da hatte Klaus Petermann das Radio in seinem Dienstwagen schon wieder abgeschaltet. Wenn er etwas haßte, dann waren es die Gute-Laune-Typen, die ihm erklärtermaßen seinen Morgen verschönern wollten.
Petermann war kein Morgenmuffel, im Gegenteil, er war eher ein Frühaufsteher, aber er startete eigentlich jeden Morgen etwas missmutig in den Tag, was sich erst legte, wenn er mindestens eine halbe Kanne Kaffee und so wenigstens vier Zigaretten konsumiert hatte.

Auch dann gehörte er nicht zu den Menschen, die immer mit einem fröhlichen Grinsen im Gesicht herum liefen, aber dann wich wenigstens der insgeheime Wunsch, jeden, der ihn ansprach, auf der Stelle umzubringen.
Die Definition, was ein Morgenmuffel ist, ist letztlich also immer auch eine Sache der Perspektive.

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In seinem Büro im Präsidium ging der Kriminalhauptkommissar nochmals alle Akten im Fall Brockhagen durch und schaute sich auch alle Beweisstücke noch einmal sorgfältig an, die auf einem Tisch sauber nebeneinander aufgereiht waren.
Ausdrucke von Fingerabdrücken, das Gewehr, der Popelinemantel von Nathalie Brockhagen, ein paar Teppichfasern, eine Probe des Blutes, viel mehr gab es da nicht.
Das Gewehr trug ausschließlich die Fingerabdrücke des Ehepaars Brockhagen, also die des Getöteten und die seiner Ehefrau Nathalie. An ihren Händen waren keine Schmauchspuren festgestellt worden, an den Händen des Verstorbenen auch nicht.

Das machte Petermann aber kein großes Kopfzerbrechen, er wußte, daß diese Art von Schrotflinte sowieso keine so starken Spuren erzeugte, wie andere Waffen.
Schmauchspuren entstehen durch die Verbrennungs- und Pulverrückstände, die beim Zünden der Patrone in der Waffe entstehen. Der Hauptteil der Pulverladung dient dazu, das Projektil nach vorne aus dem Lauf zu treiben, aber ein kleiner Rest vermag es auch nach hinten ins Gesicht, auf die Kleidung und an die Hände des Schützen zu gelangen.
Nun werden aber die meisten Taten, bei den Schusswaffen eine Rolle spielen mit Revolvern oder automatischen Pistolen durchgeführt.
Der Revolver ist zwischen Lauf und Trommel sowieso ziemlich offen gebaut, sodaß man hier stets ausreichend Schmauchspuren an der Schusshand findet. Auch bei automatischen Waffen, die einen Teil der Schussenergie dazu verwenden, den Schlitten nach hinten zu drücken um die verbrauchte Patrone auszuwerfen und eine neue aus dem Magazin in den Lauf einzuführen, war das so.
Aber bei einer solchen einfachen Schrotflinte, bei der man die recht dicht sitzende Patrone in den aufgeklappten Lauf einschiebt und die Waffe dann zuklappt und verriegelt, dringt so gut wie nichts nach außen.
Petermann erinnerte sich an einen Fall, bei dem beim Täter zunächst ebenfalls keine Pulver- und Verbrennungsrückstände nachgewiesen werden konnten, wo aber wenigstens zehn Personen gesehen hatten, wie er die Schrotflinte abgefeuert hatte.
Aber daß man so überhaupt nichts gefunden hatte, wunderte Petermann schon, denn wenn es sich so verhält, dann muß man genauer nachsuchen, sorgfältiger arbeiten und noch mehr Proben nehmen und diese eben noch viel kleinlicher im Labor prüfen lassen. Ein bißchen lässt sich nämlich auch dann finden. Aber das hatte man hier nicht gemacht.

Daß diese Waffe die Tatwaffe war, das stand hingegen außer Zweifel, es befanden sich genügend Blut- und Gewebepartikel des Getöteten am und im Lauf. Das bleibt nicht aus, wenn man so eine Waffe aus nächster Nähe auf einen Menschen abfeuert.

Auch die beiden Bestatter hatten seine Kollegen ins Visier genommen, aber das war für Petermann eine klare Sache. Wenn die in die Sache verwickelt gewesen wären, dann hätten sie nicht neben der Leiche gewartet und die Polizei gerufen. Ihm war bewußt, daß die Bestatter, wenn sie es nur gewollt und geschickt genug angestellt hätten, ein leichtes Spiel gehabt hätten, den Toten zu entsorgen oder ganz herkömmlich zu bestatten.

Es klopfte an der Tür und sein Vorgesetzter Kriminaloberrat Klotzhaug betrat Petermanns Büro.
Wie weit er denn sei im Fall Brockhagen und daß es doch gar nicht nötig sei, daß er sich da selbst drum kümmere, das könnten die Kollegen vorne doch auch und er sei an raschen Ergebnissen interessiert, das sei ja wohl eindeutig ein Selbstmord und der Staatsanwalt habe die Leiche jetzt zur Bestattung freigegeben. Also, dann sei ja alles klar, Selbstmord, nicht wahr, das sehen Sie ja auch so, lieber Petermann, dann klappen wir den Deckel zu. Also, von der Akte und vom Sarg, ha ha ha…
Petermann hörte sich den Wortschwall des Dicken an, klopfte ihm dann auf die Schulter und sagte:
„Sie haben Recht. Ich bezweifle auch, daß das ein Selbstmord war, ich ermittele weiter.“

„Petermann!“ rief ihm Klotzhaug hinterher, doch er sah nur noch den Zipfel der unvermeidlichen Lederjacke, als Petermann schon um die Ecke gebogen war.

Auf der Fahrt zu Nathalie Brockhagen ärgerte sich Petermann über diese direkt vorgetragene Dreistigkeit und Eile, mit der man diese Tat so gerne als Selbsttötung abgestempelt und abgeheftet hätte.
Die tatsächlich oder angeblich nicht vorhandenen Schmauchspuren, das sofortige Ermitteln in Richtung der Bestatter, was ja völlig witzlos war und nur von der eigentlichen Fährte ablenken sollte, die insgesamt einseitig und oberflächlich geführten Ermittlungen und die Einflussnahme von oben, das waren alles Faktoren, die in dem Kriminalhauptkommissar den Terrier weckten.

An der Villa Brockhagen hielt er nur seinen Dienstausweis vor die Kamera und stand wenig später Frau von der Tratow gegenüber, die den ihr vorgehaltenen Dienstausweis völlig ignorierte und ihm unumwunden erklärte, Frau Brockhagen könne jetzt nicht mit ihm sprechen, der Arzt sei gerade erst da gewesen und sie habe sich wieder hingelegt, das alles habe die junge Witwe sehr mitgenommen.

„Das macht nichts“, sagte Petermann, hielt der Frau weiterhin seinen Ausweis direkt vor die Augen und schob sich einfach an ihr vorbei ins Haus. „Ich will ja sowieso nur den Tatort inspizieren, da brauchen wir Frau Brockhagen ja nicht dafür.“

Frau von der Tratow wollte protestieren, sah dann aber ein, daß es vielleicht besser wäre, den Beamten kurz gewähren zu lassen um ihn dann schnell wieder los zu sein.

„So, hier ist das also alles passiert?“ fragte Petermann im Wohnzimmer und provozierte die ältere Frau absichtlich, indem er unterstellend fragte: „Und Sie haben das hier alles sauber gemacht, nicht wahr? Sie sind doch hier die Putzfrau, oder? War das viel Arbeit? Nicht wahr, das war viel Blut?“

Das ansonsten versteinerte Gesicht der Alten verzog sich zu einer zornigen Grimasse, als sie auf den Ermittler einschimpfte: „Was fällt Ihnen ein, Sie impertinente Person? Ich bin doch hier nicht die Putzfrau! Ich bin eine gute Freundin der Familie und soll mich um Frau Brockhagen kümmern.“

„Eine Freundin welcher Familie?“

„Der Familie Brockhagen.“

„Der jungen Brockhagens oder der alten?“

„Herr Minister Brockhagen und ich sind seit Jahrzehnten befreundet.“

„Also sind sie eine Freundin der Schwiegereltern von Nathalie Brockhagen?“

„So ist es.“

„Und wenn Sie sagen, sie ’sollen‘ sich um Nathalie kümmern, dann hat Ihnen der alte Herr Minister Brockhagen das aufgetragen?“

„Auch das ist richtig.“

„Und was genau sind Ihre Aufgaben? Sollen Sie es der jungen Frau Brockhagen bequem machen und sie in dieser schweren Zeit stützen? Oder sind Sie hier der Zerberus an der Tür und der Rausschmeißer?“

„Ich bitte Sie, was nehmen Sie sich heraus?“

„Haben Sie Kekse?“

„Wie bitte?“

„Ob Sie Kekse haben!“

„Was wollen Sie?“

„Kekse!“

„Wozu das denn? Brauchen Sie das für Ihre Untersuchungen?“ Frau von der Tratow war von der unvermittelten Frage nach den Keksen nun vollends aus dem Konzept gebracht, doch Petermann winkte nur ab: „Hätte ja sein können, daß Sie mir ein paar Kekse zum Kaffee reichen wollen.“

„Was für einen Kaffee?“

„Ach, Kaffee haben Sie auch nicht?“

Petermann war auf die Knie gegangen und schaute sich die Stelle an, von der er von den Tatortfotos wußte, daß da der Tote gelegen hatte.
Auch ihm war sofort aufgefallen, daß noch der Geruch nach frischer Farbe und nach neuem Teppichboden im Raum lag, hier war jemand sehr gründlich gewesen und hatte es sehr eilig gehabt.
Schneller als man es ihm zugetraut hätte stand Petermann wieder auf den Beinen und sagte zu Frau von der Tratow, die immer noch an der Frage nach Kaffee und Keksen zu knabbern hatte und das gar nicht einordnen konnte: „Warum kümmern sich die alten Brockhagens nicht persönlich um ihre Schwiegertochter?“

„Der Herr Minister und seine Frau betreten dieses Haus nicht.“

„Ach was? Gibt es dafür einen Grund?“

„Das weiß ich nicht, das geht mich nichts an, da mische ich mich nicht ein.“

Während die von der Tratow das gesagt hatte, war Petermann zur Wohnzimmertür gegangen und wandte sich in Richtung Treppe. Mit etwas tippelnden Schritten überholte ihn die Adelige aber sofort und stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor die unterste Stufe: „Also, jetzt ist Schluss! Keinen Schritt weiter!“

„Ach kommen Sie, das ist doch lächerlich! Ich wiege doppelt so viel wie Sie, bin zwei Köpfe größer, Polizist und neige vor allem morgens dazu, adelige Frauen zu frühstücken. Sie wollen mir doch nicht ernsthaft den Weg verstellen?“

„Ich nicht“, sagte Frau von der Tratow entschieden und rief: „Ignaz!“ woraufhin oben an der Treppe ein etwa zwei Meter großer, breitschultriger Mann erschien, der dümmlich zu Petermann herab grinste.

Petermann winkte dem Grinsenden zu und auf einmal lächelte der Kommissar sogar und rief: „Hallo Ignaz! Wissen Sie, wo es hier Kaffee gibt? Und schauen Sie auch mal, ob Sie Kekse finden!“

Dem Kleiderschrank im dunklen Anzug entgleiste das Gesicht vollends. Irgendwie hatte er mit einer völlig anderen Reaktion des Mannes unten an der Treppe gerechnet und dann waren das auch ein paar Informationen und Fragen zu viel auf einmal gewesen.

„Raus jetzt!“ kommandierte Frau von der Tratow. „Sie müssen jetzt gehen. Frau Brockhagen geht es nicht gut. Sie braucht jetzt Ruhe.“

„Und ich brauche Antworten.“

Petermann ließ es aber dabei bewenden, winkte Ignaz nochmals freundlich zu und rief: „Lassen Sie es mal gut sein, aber vielen Dank für die Einladung, wir essen dann nächstes Mal Kekse zusammen.“

Kopfschüttelnd warf Frau von der Tratow wenige Sekunden später die Haustür der Villa Brockhagen ins Schloss.
Als Petermann den halben Weg zum Tor des Anwesens gegangen war, drehte er sich noch einmal um und sah an einem der Fenster die bleiche Gestalt einer jungen Frau, von der er annahm, daß es Nathalie Brockhagen sein mußte. Er wollte noch kurz zum Gruß nicken, aber da war die Frau auch schon wieder verschwunden.

„Da liegt aber jemandem viel daran, daß wir nicht weiterkommen“, sagte er zu sich selbst und steckte sich eine Zigarette an.

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(©si)