Geschichten

Die Fee der Nacht -22-

Eine halbe Stunde nachdem Petermann telefonisch erfahren hatte, daß Nathalie Brockhagen die Schwester des Getöteten war, stand der Kriminalhauptkommissar im Büro des leitenden Oberstaatsanwaltes.
Eine ganze Weile war Petermann aufgeregt vor dem Oberstaatsanwalt hin und her gelaufen und hatte sich bemühen müssen, nicht laut zu werden. Jetzt saß der Leitende, wie Petermann ihn nannte, da und studierte die Unterlagen, die Petermann ihm vorgelegt hatte.
Petermann stand mit hinter dem Rücken verschränkten Händen am Fenster und schaute hinaus. Unbewegt und die Ruhe selbst, hätte man meinen können, doch seine Finger tanzten hinter seinem Rücken einen nervösen, ungeduldigen Tanz.

Mit einem Klackern ließ der Leitende seine Lesebrille auf die Platte seines Schreibtisches fallen und Petermann drehte sich erwartungsvoll um.

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„Und?“ fragte er.

„Und?“ sagte der Leitende, seufzte und beugte sich weit nach vorne, schaute Petermann von unten mit einem Dackelblick an und stützte dann sein Kinn in beide Hände.
„Tja, Petermann, ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Äh, doch, zuerst einmal fällt mir auf, daß Sie mir hier einen Haufen nichtssagendes Papier vorlegen, weil Sie mal wieder keine einzige Zeile aufgeschrieben haben. Wo sind Ihre Berichte? Wo sind Ihre Aufzeichnungen?“

Petermann tippte sich an die Stirn und sagte: „Da drin werden die Fälle gelöst, nicht mit der Pistole und nicht mit dem Kugelschreiber.“

„Alles gut und schön, mein Lieber, aber wie soll ich mir denn ein Bild machen, bei einer so dünnen Beweis und Aktenlage?“

„Aber ich habe Ihnen doch alles haarklein berichtet“, protestierte der Kriminalhauptkommissar.

„Wenn das alles stimmt, dann haben wir es mit einem ganz dicken Filz zu tun. Dieser Minister a.D. Brockhagen kennt den zuständigen Staatsanwalt und ist mit dem dicke befreundet oder hat den sonstwie in der Hand. Kriminaloberrat Klotzhaug kratzbuckelt vor dem Staatsanwalt, das müssen Sie mir nicht sagen, das weiß ich.
Mensch, Mensch! Wenn ich mir das alles so betrachte, muß das ja aussehen, als arbeiteten hier nur Unfähige, Korrupte und Vollidioten! Pah, wahrscheinlich steckt da auch noch Brockhagens Partei mit drin. Da wird der ganze Klüngel her kommen.
Ich hasse so etwas! Ich will eine saubere Behörde, eine saubere Polizei und ordentliche Ermittlungen. Ermittlungen, die alles umfassen, was einen Täter belasten kann, was ihn entlasten kann und das gerecht gegen jedermann. Das kann doch so schwer nicht sein, verdammt noch mal!
Also, in der Folge kommen Sie bei Ihren Ermittlungen nicht weiter und bleiben aber trotzdem hartnäckig.
Dann entdecken Sie im Keller der Tatortvilla ein Verlies mit sechs Gefängniszellen und einem Gemach. Gell, Sie sagten doch Gemach, oder?“

„Genau.“

„So, und in dem Haus ist ein Mann erschossen worden und Sie verdächtigen diese, na, wie heißt Sie gleich… diese Nathalie Brockhagen, die Sie für die Frau des Getöteten halten, die Mörderin zu sein. Sie mutmaßen jetzt, daß die Frau, die ein zwanghaftes, marionettenhaftes Verhalten an den Tag legt, über einen längeren Zeitraum in diesem Gemach oder Verlies eingesperrt war. Eingesperrt von diesem Roland Brockhagen.
Und eines Tages gelingt es ihr, ihren Peiniger zu erschießen. Ist es das, was Sie glauben?“

„So in etwa.“

„Und dann läuft diese Natascha…“

„Nathalie!“

„Ja, dann eben meinetwegen diese Nathalie. Dann läuft diese Nathalie nicht weg, sondern wartet brav neben der Leiche, ruft in Verwirrung einen Bestatter, der ruft die Polizei und die ganze Zeit steht Nathalie Brockhagen da herum, bleibt auch hinterher in der Villa und wird von geheimnisvollen Leuten bewacht. Richtig?“

„Ja!“

„Der Minister a.D. Brockhagen setzt alles daran, daß es so aussieht wie ein Suizid, auch Nathalie behauptet das. Aber Sie, lieber Petermann, Sie glauben das nicht.
So, und jetzt stellt sich heraus, daß alle gelogen haben, daß Nathalie gar nicht die Ehefrau, sondern die Schwester des Getöteten ist?“

„Ja, so ist es.“

„Wissen Sie was?“

„Was denn?“

„Das ist die verrückteste, abgedrehteste und lassen Sie es mich ruhig so sagen, die dämlichste Geschichte, die mir ein Ermittler in den letzten 15 Jahren erzählt hat.“

„Aber genau so ist das alles.“

„Eben. Und weil diese Geschichte so verrückt und verdreht ist, kann sie nur wahr sein.“

„Das heißt, Sie glauben mir?“

„Ich weiß nicht was ich glauben soll. Das mit dem Glauben ist so eine Sache. Sehen Sie einen steifen weißen Kragen an meinem Hals? Bin ich Theologe? Wächst mir Gras aus den Taschen oder kann ich übers Wasser laufen? Ich glaube gar nichts. Aber ich weiß, daß dieser Minister dem Staatsanwalt eingeheizt hat, das wird noch Gegenstand interner Untersuchungen sein, und daß Sie offenbar im Moment der Einzige sind, der überhaupt wenigstens den Antrieb hat, da etwas Licht in das Dunkel zu bringen.
Sie behalten den Fall, Sie ermitteln weiter und Sie haben meine Rückendeckung. Aber verrennen Sie sich nicht!“

„Danke“, war alles was Petermann stammeln konnte, so verblüfft war er. Eigentlich hatte er mehr damit gerechnet, jetzt ganz ins Abseits gestellt zu werden.

„Was werden Ihre nächsten Schritte sein?“

„Ich muß Nathalie Brockhagen finden…“

„Wo ist die jetzt überhaupt?“

„Die wurde im Ludwigskrankenhaus abgeholt.“

„Ja ist denn das so ohne weiteres möglich? Ich meine, jeder verantwortungsvolle Arzt würde sich da doch sperren und die Patientin nicht einfach so ziehen lassen.“

„Wenn ich das alles richtig zusammenaddiere, sieht es so aus, als sei die nicht unvermögende Frau Brockhagen, also die Frau des Ministers, im Aufsichts- oder Verwaltungsrat genau jener Stiftung, die das Krankenhaus betreibt. Wenn es dann heißt, die Patientin müsse auf dringenden Wunsch der Familie sofort in eine Spezialklinik verlegt werden und der Krankentransportwagen steht quasi chon mit laufendem Motor bereit…“

„Die haben überall ihre Finger drin, diese Brockhagens, was?“

„Keine Ahnung, wo die was drin haben, aber Sie sehen ja, was die für’n Einfluß haben.“

„Und dann?“

„Also Nathalie Brockhagen finden und dann muß ich mal den altehrwürdigen Herrn Minister fragen, was diese ganze Nummer mit Schwiegertochter und so soll…“

„Meinen Sie, da spielt Inzest eine Rolle? Es wäre ja nicht das erste Mal, das Brüderlein und Schwesterlein… Sie wissen schon, was ich meine.“

Petermann hob die Achseln und schüttelte den Kopf: „Ich weiß es auch nicht. Entweder ist diese Eheleute-Nummer eine Tarnung für einen von den Eltern geduldeten Inzest oder für irgendeine schräge Sexnummer. Ehrlich, ich kann nicht sagen, was das alles soll. Deshalb muß ich den Herrn Minister dringend sprechen.“

„Nehmen Sie ihn fest! Ihn und seine Frau! Und finden Sie Nathalie Brockhagen!“

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