Jeder Fall geht irgendwann einmal zu Ende. Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Polizei den Deckel zu klappt und die Akte weglegt. Kriminalhauptkommissar Petermann war für gewöhnlich derjenige im Dezernat, der sich solche zugeklappten Akten auf seinen Schreibtisch holte und ohne Computer, Hundertschaft und Waffe diese Fälle allein in seinem Kopf löste.
Aber im Fall Brockhagen war es so, daß es jetzt Petermann war, der am liebsten den Aktendeckel zugeklappt hätte. Es gab so viele Ungereimtheiten und nach jedem kleinen scheinbaren Ermittlungserfolg folgte die absolute Kehrtwende und alles war wieder ganz anders als er es geglaubt hatte.
Eins war Petermann inzwischen klar geworden. Da lief eine Sache, die viel größer war, als er es ursprünglich angenommen hatte. Aus einem Selbstmord war eindeutig ein Mord geworden und aus Kindern ein vermeintliches Ehepaar und dann waren es doch keine Kinder…
Es schien sich alles um dieses Paar Nathalie und Roland zu drehen. Aber was lief denn da, verdammt noch mal, eigentlich ab?
Was bringt einen angesehenen Minister und seine vermögende Frau dazu, von der Bildfläche zu verschwinden?
In Petermanns Kopf schwirrten die Gedanken durcheinander und er bekam die vielen Details nicht mehr zusammen.
Und immer wenn Petermann an diesem Punkt angekommen war, dann konnte ihm nur Dreierlei, was ihm helfen konnte.
Kriminalhauptkommissar Petermann schnappte sich den inzwischen ganz ansehnlich dick gewordenen Ordner des Falles Brockhagen und ließ sich von Kollege Heiko Böde nach Hause fahren.
„Machen Sie schon Feierabend, Chef?“ fragte der, als er Petermann eine Querstraße von dessen Wohnung entfernt absetzte.
„Nein“, antwortete dieser, „jetzt fange ich erst richtig an.“
Einen kurzen Moment schaute er dem davonfahrenden VW-Passat der Kripo nach, dann wandte er sich nach rechts und ging in einen Garagenhof. Vor Garage Nummer 23 blieb er stehen, öffnete das Tor, das quietschend nach oben glitt und zog mit einer Handbewegung ein beigefarbenes Tuch von dem Auto, das in dieser Garage seit Wochen schlummerte.
Es war ein grüner 59er Chevrolet Bel Air. Petermann warf die Akte Brockhagen auf den Rücksitz, drehte am Zündschlüssel und schloß die Augen. Etwas trocken und rauh drehte sich der Anlasser, einmal, zweimal und beim dritten Mal sprang der 5,7 Liter V8-Motor kraftvoll an und Petermann genoß den durch den Widerhall in der Garage noch verstärkten Klang des hubraumstarken Motors.
Eine leicht bläuliche Abgaswolke hinter sich her ziehend fuhr Petermann vom Hof und reihte das elendlich lange Fahrzeug in den fließenden Verkehr ein.
Nummer eins seiner Denkhilfen hatte der Kommissar aktiviert.
Auch Nummer zwei war leicht zu bekommen. Petermann drückte den Knopf am Radio und im nächsten Moment war der Innenraum des Fahrzeuges von Frank Sinatra und „Fly me to the moon“ erfüllt.
Es gab für den knorrigen Ermittler nichts Besseres um seine Gedanken zu sortieren als den alten Sinatra.
Für die Nummer drei mußte Petermann gute 80 Kilometer Landstraße hinter sich bringen.
Die Nummer drei war nämlich weder ein Auto, noch eine Musik, sondern ein Mensch. Und dieser Mensch hielt sich, das wußte Petermann, in dieser Woche in seinem Wochenendhaus im nahe gelegenen Mittelgebirge auf.
Eine gute Stunde später war Petermann am Rande des Waldstücks angekommen, in dem der Mann, den er aufsuchen wollte, seine Blockhütte hatte. Die restlichen 300 Meter mußte der Kriminalbeamte zu Fuß gehen und motzte leise vor sich hin, als der Waldweg etwas steiler wurde. „Wer weiter geht, als sein Auto lang ist, der ist ein Jogger. Puh, verdammt, wie weit ist das noch. War das letztes Mal auch schon so weit?“
In dieser Art schimpfte er den ganzen Weg lang vor sich hin, bis er endlich an der Blockhütte, die mal eine Schutzhütte für Waldarbeiter gewesen ist, angekommen war.
„Ho, ho, ho!“ rief er schon von Weitem, als die Blockhütte vor seinen Augen auftauchte und kurz darauf erschien ein Mann in der Tür der Hütte und rief zu ihm herüber: „Na, wenn das nicht der Weihnachtsmann ist!“
„Und der hat Geschenke mitgebracht“, rief Petermann beim Näherkommen und hielt die Akte Brockhagen hoch.
Vor der Hütte umarmten sich die Männer und dann trat Petermann einen Schritt zurück. „Mensch, Jojo, Du hast abgenommen! Fang bloß nicht auch noch an Bio-Zeugs zu futtern!“
Der Angesprochene versetzte Petermann einen gespielten Hieb in die Magengrube und die beiden Männer gingen in die Waldhütte.
In der Hütte sah es aus, wie in der Behausung eines Goldgräbers aus dem Wilden Westen. Kochgeschirr hing an einer Schnur aufgereiht über dem Holzofen und das Mobiliar war aus rohen Stämmen grob zusammengehauen.
Der mit Jojo angesprochene Mann schenkte für Petermann Kaffee aus einer rußgeschwärzten Blechkanne in eine weißblau emaillierte Tasse und stellte sie vor ihm auf den Tisch: „Vorsicht, heiß!“
Jojo hieß eigentlich Joachim Joswig, nannte sich selbst nur Achim und wurde von Petermann und einigen wenigen anderen guten Freunden Jojo genannt. Diesen Spitznamen hatte er logischerweise von den Anfangsbuchstaben seiner Namen, aber sie waren auch sein Kürzel, mit denen der Reporter seine Artikel in Zeitungen und Magazinen unterzeichnete.
Jojo war für ein großes Nachrichtenmagazin und zwei Agenturen tätig, übernahm aber auch Aufträge von lokalen Tageszeitungen. „Wir Reporter können ja nicht jeden Tag die Hitler-Tagebücher finden, manchmal müssen wir auch über den Kaninchenzüchterverein schreiben, irgendwo muß die Butter auf dem Brot ja her kommen“, hatte er einmal zu Petermann gesagt.
Die beiden kannten sich schon viele Jahre und pflegten eine echte Männerfreundschaft. Eine Freundschaft geprägt von unendlichem Vertrauen, in der man sich blind auf einander verlassen konnte und die im Zweifelsfall nicht vieler Worte bedurfte.
„Ärger?“ fragte Jojo und Petermann schob ihm wortlos die Akte über den Holztisch.
Der Journalist nahm sie hoch, legte sie sich auf die Handfläche der ausgestreckten rechten Hand und wog das Gewicht, dann ließ er sie auf die Tischplatte fallen und schob sie wieder zu Petermann zurück.
„Nix da, viel zu faul, erzähle mir lieber was da drin steht!“
Petermann wollte einen kräftigen Schluck aus der Tasse nehmen, hatte die Warnung seines Freunde schon vergessen und verbrühte sich den Mund, was er mit lautem Fluchen und Schimpfen quittierte.
Jojo lachte nur und blätterte, während der Kriminalbeamte laut prustend zur Abkühlung Luft in den Mund sog, doch etwas in der Akte. Doch als Petermann sich wieder beruhigt hatte, lehnte Jojo sich entspannt zurück und sah Petermann erwartungsvoll an.
Der Polizist klopfte sich eine krumme Zigarette aus der zerdrückten Marlboroschachtel und steckte sie sich an. Dann begann er zu erzählen, ausführlich, umfangreich und sehr genau.
Das dauerte insgesamt zwei Stunden und als er geendet hatte, saß der Journalist Joswig mit offenem Mund da und schüttelte wie in Zeitlupe den Kopf.
„Was ist das denn für eine durchgeknallte Story? Komm, gib zu, Du hast Dir das alles ausgedacht!“
„Ja, wenn es nur so wäre, dann wüßte ich ja auch das Ende der Story.“
Joswig stand auf, ging zu einem Verschlag an der rückwärtigen Wand des einzigen großen Raumes, der Schlafraum, Küche und Arbeitszimmer in einem war, und holte einen Holzknüppel heraus.
„Da“, sagte er und reichte den Knüppel Petermann.“
„Und? Was soll ich damit?“
„Damit gehst Du jetzt mal eine halbe Stunde raus.“
„Soll ich uns ein Reh damit erschlagen?“ fragte der Kriminalbeamte verdutzt und wog den Knüppel in seiner Hand.
„Quatsch mit Soße. Damit gehst Du jetzt schön hinters Haus, da ist eine Pumpe, da passt der Stock oben in die Öse und dann pumpst Du uns mal Wasser aus dem Bach in den Tank.“
„Du hast hier kein fließendes Wasser?“
„Nein, das ist eine ehemalige Schutzhütte für Waldarbeiter. Hier gibt es keinen Strom, kein Festnetztelefon und kein fließendes Wasser. Strom habe ich von den paar Solarzellen auf dem Dach, aber wenn die Kiefer da hinten noch größer wird, ist es bald auch damit Essig. Wasser staue ich da hinten am Bach, ist zwar auch nicht erlaubt, aber wo kein Kläger… Du kennst das ja. Man muß es nur in den Tank hoch pumpen, dann haben wir Wasser zum Kochen und um uns zu waschen.“
Petermann brummte sein berühmtes allsagendes Brummen und Joswig sagte nur: „Hört auf zu brummen, Klaus, das hilft Dir jetzt auch nichts. Du gehst pumpen und ich lese hier doch mal ein Stück.“
Dabei klopfte er mit der Hand auf die Akte.
Eine Stunde später war es dunkel geworden und die beiden Männer saßen mit Wolldecken um die Schultern auf der kleinen Veranda der Hütte und genossen die Stille des Waldes.
Nach einer langen Zeit des Schweigens sagte Jojo: „Okay, Petermann, ich bin dabei. Ich hab drinnen noch eine halbe Flasche Cognac, die machen wir jetzt leer und morgen früh fahren wir in die Stadt und heizen denen mal richtig ein. Wäre doch gelacht, wenn wir nicht hinter das Geheimnis kommen würden. Wir haben schließlich schon ganz andere Dinger zusammen gedreht.“
„Und was meinst Du zu der ganzen Sache?“
„Ich meine, daß die Schlüsselfigur zum Ganzen der angeblich so ehrenwerte Herr Minister ist.
Weißt Du, wenn Nathalie nur eine psychisch labile Person wäre, dann hätte der Minister sie in ein Schweizer Sanatorium schaffen lassen. Nein, nein, es scheint sich zwar alles um Nathalie zu drehen, aber in meinen Augen ist sie nur eine Schachfigur in einem Spiel, das Minister Brockhagen steuert.“
„Du, das sind auch meine Gedanken“, sagte Petermann nachdenklich. „Als ich vor der Villa Brockhagen stand, da ist mir durch den Kopf gegangen, wie alt dieses Haus schon ist und wie umfangreich diese Anlagen im Keller sind. Das haben nicht die jungen Leute da einbauen lassen, das hat nicht Roland Brockhagen da einbauen lassen, um Nathalie gefangen zu halten.
Als ich dann erfahren habe, daß das ja auch eigentlich die Villa des Ministers ist, da war mir klar, daß er dort der Herr des Verfahrens, sozusagen der Chef im Ring ist.“
„Genau, Klaus, und wenn wir an den nicht ran kommen, dann schnappen wir uns doch mal diese alte Adelige, wie hieß die doch gleich noch?“
„Von der Tratow.“
„Von der Tratow, von der Tratow, Mensch, irgendwas klingelt da bei mir, da war doch mal was. Ich komm‘ jetzt nicht drauf, was da war, aber im Zusammenhang mit dem Minister und dem Namen von der Tratow gab es da schon einmal eine Geschichte. Ist schon ein paar Jahre her, aber laß mich morgen mal in die Redaktion fahren und im Archiv wühlen. Da war irgendwas und es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn es da nicht irgendeinen Zusammenhang gäbe.“
Jojo konnte nicht ahnen, wie Recht er mit diesem Satz hatte!
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Keine Schlagwörter vorhanden
Jemand, der sich WebSurfer nennt, schaufelte sich sein eigenes Grab und schrieb am 27.05.12 um 21:22 Uhr folgendes: Juhhuuuu, Endlich ^^ Mal lesen Danke Tom! 2 Jemand, der sich comicfreak nennt, schaufelte sich sein eigenes Grab und schrieb am 27.05.12 um 21:25 Uhr folgendes: „Kommentar wurde nicht hinzugefügt, da Kommentare für diesen Eintrag entweder deaktiviert sind, Sie ungültige Eingaben gemacht haben oder Anti-Spam-Maßnahmen angewendet wurden.“ ..ich sagte doch nur: *nägelbeiß* 3 Jemand, der sich BusDriver nennt, schaufelte sich sein eigenes Grab und schrieb am 27.05.12 um 21:28 Uhr folgendes: Sehr schoen, bin mal gespannt was da noch alles ueber den `Herrn Minister‘ ausgegraben wird. 4 Jemand, der sich turtle of doom nennt, schaufelte sich sein eigenes Grab und schrieb am 27.05.12 um 21:39 Uhr folgendes: Das Leben an dieser Klippe geht weiter… Abgründe, Abgründe, Abgründe! 5 Jemand, der sich Christians Ex nennt, schaufelte sich sein eigenes Grab und schrieb am 27.05.12 um 22:04 Uhr folgendes: *Uff* danke für den Schuss,Tom, so halt ichs bis morgen aus… 6 Jemand, der sich lieber nicht nennt, schaufelte sich… Weiterlesen »