Geschichten

Die Kuckucksuhr -III-

Die Birnbaumer-Nüsselschweif war gründlich. Sie hat nicht nur die Kleidung des Verstorbenen bei dessen Witwe abgeholt, sondern sie hat der alten Dame auch noch die Kuckucksuhr abgeschwatzt. Ein heller Fleck an der Wand des Flurs kündet davon, daß der Kuckuck mitsamt Uhr ausgeflogen ist. Ich nehme ja mal an, daß die Uhr jetzt das nüsselschweifige Wohnzimmer ziert.

„Die ist ja sooo nett, die Frau Birnschweifer, sooo nett und lieb, was die alles für mich tun will, das glaubt man ja gar nicht“, schwärmt die Witwe und ich erkundige mich vorsichtig, was denn genau die Birnbaumer-Nüsselschweif zu tun gedenkt.

Man weiß ja, daß der Bestatter sich um die Erledigung der Formalitäten kümmert. Dazu gehört die Meldung an die Rentenstelle, das Beantragen von Versicherungen und das Ab- oder Ummelden von Verträgen und Mitgliedschaften.
Manche älteren Leute nutzen das weidlich aus und finden immer wieder irgendeine Unterlage, die es erforderlich macht, zum wiederholten Mal beim Bestatter aufzutauchen oder ihn zu sich zu bestellen.
Das bringt etwas Abwechslung und jemanden zum Reden.

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Frau Mandel trauert schon um ihren Schorsch, aber auf der anderen Seite findet sie es ganz gut, daß er tot ist, denn er habe ihr in letzter Zeit doch recht viel Arbeit gemacht „und es ist doch besser wenn die sterben, so lange sie noch krabbeln können, bevor sie nur noch im Bett liegen und ihr Essen durch einen Schlauch bekommen, oder?“

Aber was will die Nüsselschweif für Frau Mandel alles tun? Kochen, waschen, putzen?

„Nein, die Frau Birnschweifer war seit dem Tod meines Mannes jeden Tag hier. Die kommt auch noch zu Ihnen.“

„Zu uns? Was will die denn da?“

„Na, Sie haben doch gesagt, daß Sie die Kleidung meines Mannes nicht mitbeerdigen können, die will sie abholen.“

„Moment mal, ich habe bei der Beratung gesagt, daß bei einer Feuerbestattung die Kleidung nur dann mitverbrannt werden kann, wenn sie aus Naturfasern besteht und daß wir sie ansonsten wieder ausziehen müssen. Bei einer Beerdigung spielt die Kleidung keine Rolle, ihr Mann hat seinen Anzug noch an.“

„Ach, dann bin ich ja beruhigt, die Frau Birnschweifer meinte, man müsse das vor der Habgier retten und noch holen.“

„Da kommt die bei mir gerade an den Richtigen!“

Während wir über den Unterlagen sitzen und ausbaldowern, welche Verträge gekündigt werden können und welche wir auf den Namen der Witwe umschreiben lassen, stoßen wir auch auf die Autoversicherung. Was denn mit dem Wagen geschehen solle, erkundige ich mich und da Frau Mandel keinen Führerschein besitzt und mit ihren 82 Jahren wohl auch keinen mehr machen wird, schwebt mir vor, den Fall Herrn Schmitt zu übertragen.
Herr Schmitt hat sowas schon ganz oft für mich bzw. für Hinterbliebene gemacht. Er hat einen Zulassungsdienst und übernimmt die Fahrzeugabwicklung komplett. Das bedeutet, daß er das Auto holt, bei einer Schätzungsstelle den Wert ermitteln lässt, dann das Auto abmeldet und den Hinterbliebenen einen Betrag nahe des Schätzpreises überbringt. Meistens holt er sogar noch mehr heraus, was seiner Zusammenarbeit mit einem türkischen Gebrauchtwagenhändler zu verdanken ist. Bislang waren alle Hinterbliebenen, vor allem wenn es sich um Frauen handelte, sehr mit seinen Diensten zufrieden. Herr Schmitt nimmt ihnen einfach eine große Last ab.

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine Frau Friedeberg, die wir zwölf Jahre nach dem Tod ihres Gatten beerdigt haben. Bei der anschließenden Haushaltsauflösung fanden die erben in der Garage einen seit wenigstens zwanzig Jahren nicht mehr gefahrenen Opel-Kadett vor, angemeldet, versichert und nur einmal jährlich von einer Werkstatt abgeholt, durchgeschaut und ab und zu zum TÜV gefahren.
Manchmal sehe ich einen Neffen der Familie, der das neuwagenglänzende Schmuckstück heute noch mit einem H-Kennzeichen hin und wieder fährt.
Frau Friedeberg war das Abmelden des Autos einfach zuviel gewesen.

„Och, das ist aber eine gute Idee“, findet auch Frau Mandel und sagt noch: „Ich will ja gar nicht viel für den Wagen, wollen’se den mal sehen?“

In der Garage bestaune ich einen doch noch recht neuen Mercedes. Vielleicht nicht das neueste Modell, aber auch kein Oldie und vor allem steht der Wagen da, als sei er gerade aus der Fabrik gekommen. Ein Blick auf den Kilometerzähler verrät schlappe 32.500 km Laufleistung.

„Als er noch jünger war, da hatte der so einen Faible für große, schnelle Limousinen, aber ich sagte ja schon, die letzten Jahre konnte der gar nicht mehr…“

„Ich sage Herrn Schmitt Bescheid und Sie werden sehen, Frau Mandel, für das Auto bekommen Sie noch genug und vor allem nimmt ihnen die Firma Schmitt die ganzen Laufereien ab.“

Wieder in der Wohnung entdecken wir noch so einige Mitgliedschaften, die der Verblichene schon jahrelang nicht mehr genutzt und benötigt hat und jetzt wohl auch nicht mehr nutzen können wird, ich nehme die Unterlagen mit. Die Damen im Büro werden überall Formschreiben mit einer Kopie der Sterbeurkunde hinschicken und Frau Mandel wird so manchen Euro sparen.

Es ist an diesem Tag schon nach 19 Uhr, nur noch Sandy brütet über irgendwelchen Unterlagen und ich kämpfe mich durch einen mich ankotzenden Berg vom Steuerberater. Da klingelt es vorne an der Tür und Sandy und ich sind fast gleichzeitig in der Halle, also öffnen wir gemeinsam; und wer steht da?

Na klar, die Birnbaumer-Nüsselschweif in voller Lebensgröße und in Technicolor.

Die Kleidung des Verstorbenen will sie haben, die könne man ja gut nochmal reinigen lassen und einem armen, alten Menschen geben…

Ich bete mit bewußt gelangweilter Stimme meinen Spruch herunter, daß nur bei Feuerbestattungen die Kleidung wieder ausgezogen wird und daß der gute Herr Mandel in seinem Anzug begraben worden ist.
„Wenn Sie den Anzug noch haben wollen, wir hätten hinten im Schuppen eine Schaufel“, sage ich, nicht ohne mir meiner Spitze bewußt zu sein.
Ich will der Birnbaumer die Tür vor der Nase zumachen, doch die Dicke stellt einfach einen Fuß dazwischen und ruft: „Halt! So nicht! Mit mir nicht! Sie wollen wohl die Kirche bescheißen, was?“

Wie bitte? Das interessiert mich dann doch und ich will wissen, wie und warum ich jetzt die Kirche bescheißen soll, deshalb mache ich die Tür wieder ein bißchen weiter auf, was die Birnbaumer-Nüsselschweif als Einladung zum Eintreten versteht und binnen Sekunden ist sie drin, walzt durch die Halle, daß ihr mantelartiger Umhang hinter ihr her weht und flatscht ihren dicken Hintern auf die Ledercouch im Eingangsbereich. „So! Ich geh‘ hier nicht eher weg, bis ich die Schuhe habe!“

„Was denn für Schuhe?“ will Sandy wissen und ich erkläre ihr, daß Frau Mandel anläßlich der Abschiednahme von ihrem Mann ein Paar braune Wildlederschuhe mitgebracht hatte. Die stehen immer noch im Regal im Keller, denn erstens haben die Schuhe farblich nicht zum Anzug gepasst, was Frau Mandel selbst festgestellt hatte und zweitens hatte es sich die Witwe dann doch anders überlegt und gesagt, man solle den guten Schorsch lieber in Socken begraben. „Der hat doch schon den Anzug an, den er nie wollte und die Schuhe waren ihm auch immer zu eng, da wollen wir ihn nicht noch mehr quälen.“

„Und genau die will ich jetzt, die stehen mir, äh, der Kirche zu!“

„Die können Sie gerne haben. Verraten Sie mir auch, was Sie damit machen?“

„Das können Sie gerne wissen, ich verkaufe die Sachen bei Ebay. Jaja, ich sehe schon an ihrem Gesicht, daß Sie jetzt denken, ich würd‘ mich da bereichern, aber das können Sie von mir aus denken, das ist mir ganz egal. Ich und mein Mann, ich tu ja soviel für die Kirche, für die Armen und für die Afrikaner, da brauche ich jeden Euro. Was meinen Sie, was das alles kostet. Persönlich für mich nehme ich nie was!“

„Außer Kuckucksuhren.“

„Die? Die war geschenkt! Das war ein ganz persönliches Geschenk! Kommen Sie mir bloß nicht so!“

Die Birnbaumer-Nüsselschweif ist aufgebracht, ihr Kopf ist rot und am Hals tritt eine Ader dick hervor, an der Schläfe pocht ebenfalls eine Ader und ihre Oberlippe zittert, wie bei einer Stute die das Besteigen durch den Deckhengst nicht erwarten kann.

Sandy gähnt ostentativ und meint: „Ich geh‘ dann mal die Schuhe holen.“

„Das ist eine Unverschämtheit“, entrüstet sich die Birnbaumer weiter und ich drehe mich einfach um und lasse die da sitzen. Ein paar Minuten später höre ich den Aufzug summen, Sandy kommt mit den Schuhen von unten wieder hoch und ich gehe zu den beiden Frauen in die Halle. Im Büro habe ich handschriftlich eine Quittung vorbereitet und lasse mir von der nun noch mehr wutschnaubenden Kirchentante unterschreiben, daß sie ein Paar Herren-Wildlederschuhe, Marke Phönix, Größe 41 (inkl. Schnürsenkel) dankend erhalten habe.

„Komm, wir winken der blöden Kuh noch hinterher“, raunt mir Sandy zu und so stehen wir da an der Eingangstür, während die Birnbaumer-Nüsselschweif, die Schuhe in der linken Hand, die rechte Hand nach vorne streckt. Es macht Zipp-Zapp und Piep und die Innenbeleuchtung ihres Wagens geht an. Und siehe da, die Birnbaumer steigt in eben jenen, sehr gut erhaltenen Mercedes ein, den ich noch am Nachmittag in der Garage der Frau Mandel gesehen habe.

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