Geschichten

Die Kuckucksuhr -VII-

Seit heute fährt Frau Birnbaumer-Nüsselschweif wieder mit ihrem schönen, neuen, dicken Mercedes durch unseren Vorort. Der Kioskbesitzer hat sie zuerst gesehen und wenn der wen sieht oder etwas erfährt, dann verbreiten sich solche Neuigkeiten wie ein Lauffeuer die ganze Hauptstraße rauf und runter. Das kommt vor allem daher, daß der Kiosk an einer sehr zentralen Stelle aufgebaut ist, dort wo sich zwei Straßenbahnlinien und zwei Buslinien zusammenfinden und wo die katholische Kirche, mit dem großen Vorplatz mit seinen rentnerbestückten Bänken direkt gegenüber liegt und der Vinzenzbrunnen mit einer pittoresken Mischung arbeitsscheuer Hopfenfreunde auch nicht weit entfernt ist.

Was der Kioskbesitzer erfährt, das erfährt die ganze Gemeinde und zwar genau in der Färbung, die der Bier- und Zeitschriftenverkäufer für richtig hält.

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Heute hält er es für eine besonders spannungsträchtige Version, es so zu erzählen, als sei die Birnbaumer-Nüsselschweif besonders gut gelaunt gewesen, man habe sie trotz geschlossener Fenster in ihrem Mercedes fröhlich pfeifen hören. „Datt muß ein‘ doch verdächtig machen, also mich macht datt verdächtig, datt sach ich Sie!“
Er meint damit: „Das muß einem doch verdächtig vorkommen, also mir kommt das verdächtig vor, das sage ich Ihnen!“
Das Vorhandensein der Kasus ist ihm unbekannt und Flexionen verwendet er nach Tagesform.
Aber egal was er sagt und wie er es sagt, bevor er sich durch das Fensterchen beugt, durch das er Bonbons in Tütchen, Bier, Soleier und Zeitschriften sowie Tabakwaren verkauft, schaut er sich immer mehrfach nach links und rechts hinten um, so als ob er sicherstellen wolle, daß ja kein Unbefugter lauscht und grölt er seine „Geheimnisse“ und „Vertraulichkeiten“ mit tabakheiserer Stimme nach draußen. Nie vergisst er, anschließend den Zeigefinger vor die gespitzten Lippen zu legen und dann hinzuzufügen: „Von mich haben Sie datt aber nich‘!“
Und dann pustet er immer bierschwere Atemluft aus seinem Oberkörper und sagt noch im Brustton der Überzeugung „So ist datt, so wahr wie ich hier stehen tu.“
Dann macht er mit dem Zeigefinger eine Art Kreuzzeichen auf seiner Brust, zieht ein kleines goldenes Kreuz, das an einer Kette um seinen Hals hängt, aus den Tiefen seiner üppigen Brusthaare und küsst es.

Nun, was so ein frommer Mann so überzeugend vorträgt und dann auch noch durch eine so heilige Geste besiegelt, ja das muß ja einfach nur wahr sein.

Ich schiebe ihm sein Geld durch das Fensterchen, nehme meine Zeitschrift und mache ein fragendes Gesicht.
Ich weiß, daß da noch was kommt, aber ich weiß auch, daß er ein wenig gebeten werden will.
„Und weiter?“ frage ich und er reibt sich die Hände an seiner Latzhose ab, leckt sich die Lippen, guckt sich wieder um, beugt sich durchs Fensterchen und heisert mich an: „Datt is doch sonnenklar, weggefahren sind die zu zweit, wiedergekommen isse alleine, so und gezz kommen Sie!“

Frau Neugebauer gesellt sich dazu. Frau Neugebauer ist die semiprofessionelle laufende Version der BILD-Zeitung, die weiß sogar Sachen, die sind noch gar nicht passiert und es gibt absolut nichts Neues, was man ihr erzählen kann, denn sie winkt grundsätzlich immer ab und sagt: „Weiß ich schon.“
Ich habe das mal auf die Probe gestellt und in ihrem Beisein beiläufig erwähnt, Bill Gates habe schon vor Jahren heimlich den Mars gekauft und würde ihn in kleine Stücke geschnitten als Schokoriegel verkaufen.
„Ja klar“, hatte die Neugebauer gesagt: „Das weiß ich doch schon lang.“

Jetzt weiß sie zum Beispiel aus einer „absolut zuverlässigen Quelle, ich darf aber nicht sagen wer“ daß die Birnbaumer-Nüsselschweif mit Frau Mandel in die Schweiz gefahren sei und ohne sie wiedergekommen ist.
„Das stinkt doch zum Himmel, die arme Frau Mandel!“

Sie rollt vielsagend mit den Augen, seufzt und nickt dann noch viel vielsagender.
„Aber ich will ja nichts gesagt haben.“

Ich grinse in mich hinein, denn das kann ja gar nicht sein. Vermutlich sitzt Frau Mandel gesund und munter zu Hause in ihrer Wohnung und guckt „Sturm der Herzen“ oder so was.

Den beiden Tratschen freundlich zunickend und mich jeden Kommentars enthaltend gehe ich meines Weges.
Vom Büro aus rufe ich mal bei Frau Mandel an, es klingelt dreimal, viermal und beim fünften Mal hebt jemand ab und eine Frauenstimme sagt: „Hallo“.
Ich erkenne diese Stimme sofort, würde sie unter hundert Stimmen heraushören können, es ist die Stimme von Frau Birnbaumer-Nüsselschweif.

Vor Schreck hätte ich beinahe aufgelegt, denn mit ihr hatte ich am anderen Ende der Leitung nicht gerechnet.
Doch in letzter Sekunde besinne ich mich, räuspere mich kurz und nenne meinen Namen, dann erkundige ich mich: „Ich wollte mal hören, wie’s Frau Mandel geht, kann ich die mal sprechen?“

„Nein, können Sie nicht, die ist verreist.“

„Wo ist sie denn, wann kommt sie wieder?“

„Die is‘ noch in der Schweiz und wann die wieder kommt, das steht noch in den Sternen.“

„Und was machen Sie in ihrer Wohnung?“

„Das geht Sie ja mal überhaupt nichts an, aber ich sag’s Ihnen trotzdem. Ich mach hier sauber und gieß‘ die Blumen.“

Dann legt sie auf und hinterlässt mich ratlos.

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