Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert. Das sagt der Volksmund, um zu betonen, dass selbst kleinste Beträge wertgeschätzt werden sollten. Und „Haben kommt von Behalten“, sagte der Gründer eines großen deutschen Lebensmittelkonzerns, der es bis zum Milliardär gebracht hat.
Wenn bei uns im Bestattungshaus Angehörige zum Beratungsgespräch zu Gast waren, wurden immer Getränke angeboten. Manchmal gab es auch ein paar Kekse, je nachdem, was so da war.
In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle wollten die Leute gerne eine Tasse Kaffee, beliebt war aber auch das Glas Wasser.
Die Bürodamen hatten mir schon lange die Betreuung des Kaffeeautomaten abgenommen. Sie waren der Meinung, ich hätte den Apparat so programmiert, dass der Kaffee nicht so stark und nicht ganz so brühend heiß sei. Stimmt. Seitdem gab es Bitterbrühe, die noch in der Tasse brodelte, was mich zum Einsatz eines Kännchens mit kaltem Wasser veranlasste, um das Filtrat auf Trinkstärke und angenehme Trinktemperatur zu bringen. Alle anderen fanden den nun starken und heißen Kaffee viel besser.
Eine der Angestellten kam dann immer nach einer gewissen Beratungszeit in das Besprechungszimmer und fragte die Anwesenden nach ihren Wünschen.
Eines Tages war es Antonia, die das übernahm. Nun habe ich die liebe Antonia ja nun schon zur Genüge hier im Bestatterweblog beschrieben. Aber es kommen ja immer wieder neue Leserinnen und Leser hinzu.
Antonia war recht üppig, um das mal so zu sagen. Ich persönlich fand sie immer ganz goldig, aber die Männer, die Antonia anhimmelte, fanden in den meisten Fällen keinen Gefallen an ihr. Und Antonia himmelte alles an, was männlich war, zwei Beine hatte und über eine tiefe Stimme verfügte.
Manchmal gab sich die Frau auch sehr begriffsstutzig. Dumm war sie nicht, nein, ganz und gar nicht. Aber hin und wieder, so schien es, baute sie ihre Gedanken aus Legosteinen im Kopf zusammen und benötigte dafür eine geraume Zeit.
Was auch noch dazu beitrug, dass Antonia keinen großen Erfolg beim Anhimmeln hatte, war ihr Kleidungsstil. Ich erinnere mich an ein Gespräch zwischen ihr und der flotten Deutsch-Amerikanerin Sandy. Sandy fragte sie, ob Antonia im Ü-60-Laden einkaufen gehe, und bot ihr an, mal mit ihr shoppen zu gehen.
Mir war das alles egal. Wie gesagt, ich fand die junge Frau weder unansehnlich, noch störte mich ihr Gewicht. Außerdem war sie eine sehr freundliche, anderen Menschen immer positiv zugewandte und sehr zuverlässige Mitarbeiterin.
Also, an diesem Tag war die Familie Brandenburger bei uns, um die Bestattung eines Onkels zu besprechen. Antonia kam herein und fragte nach den Getränkewünschen. Kaffee und Wasser.
Als sie das Zimmer wieder verlassen hatte, wandte sich der alte, verwitwete Herr Brandenburger mit einem schmalzigen Grinsen an mich: „Was für ein flotter Käfer!“
Ich nickte nur und fuhr in meinem Beratungsgespräch fort.
Doch Opa Brandenburger war mit seinen Gedanken immer noch bei Antonia. „Wenn ich noch jünger wäre, würde ich die gleich hier an Ort und Stelle…“
„Opa!!!“, unterbrach ihn vielstimmig der Rest der Familie. Der Alte zuckte etwas zusammen und das, was er noch hatte sagen wollen, blieb ungesagt. Vorerst.
Nach einer Weile kam Antonia dann mit dem Gewünschten abermals herein und stellte das Tablett auf einem Sideboard ab. „Rammeln!“, rief der Opa. „Fräulein, ich würde sie rammeln wie ein Karnickelbock!“
Antonia war gerade dabei, die Tassen und Gläser zu verteilen. Sie zuckte zusammen und die Familie Brandenburger rief durcheinander und tat alles, damit der Opa auf seinem Stuhl sitzenblieb. Doch der kramte in seiner Jackentasche und holte etwas Kleingeld heraus, sprang auf und drückte es Antonia als Trinkgeld in die Hand.
Ich glaube bis heute, dass der alte Herr Antonia auf den Hintern klopfen wollte, doch Antonia war mit einem kurzen Dank blitzschnell aus dem Zimmer verschwunden.
Hinter Opas Rücken wandte sich seine Schwiegertochter mit Zeichensprache an mich und machte mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung an ihrer Schläfe. Ihr Mann formte tonlos das Wort Demenz mit seinen Lippen.
„Was für ein Käfer, nein, was für ein Käferlein!“, freute sich der Senile und setzte sich, um an seinem Kaffee zu schlürfen.
„Unser Opa kann seit 20 Jahren schon nicht mehr“, sagte seine Schwiegertochter und versorgte mich damit mit mehr Details, als ich eigentlich haben wollte.
„Aber er will noch“, fügte ihr Mann hinzu. „Der kriegt schon Tabletten, aber was glauben Sie, was ich für einen Zirkus habe. Einmal musste er schon das Heim wechseln.“
Diese Episode ist an sich ja schon erzählenswert, führt aber nicht zur Überschrift dieser Geschichte. Zu der kommt es deswegen:
Das Beratungsgespräch ist nach einer knappen Stunde vorbei. Alles ist besprochen, alles ist ausgesucht. Ohne weitere Vorfälle geht die Familie und es herrscht wieder ruhige Betriebsamkeit in unserem Bestattungshaus.
Es vergehen zweieinhalb Stunden, in denen wir auch alle noch einmal über den „geilen Opa“ sprechen. Antonia nimmt es ihm nicht krumm, sondern sieht sein Verhalten eher als Kompliment.
Dann ist Feierabend und alle gehen nach Hause. Nur ich bleibe noch eine Weile. Das Telefon klingelt und am Apparat ist der junge Herr Brandenburger. Es sei ihm so, als habe er etwas klimpern gehört, als sein Vater das Trinkgeld aus der Tasche gezogen habe. Ich soll doch mal eben nachschauen, ob da nicht Geld heruntergefallen sei.
Er hat was klimpern gehört. Das könnte im ungünstigsten ein Fünfmarkstück gewesen sein. Okay, was macht man nicht alles.
Ich gehe eben ins Beratungszimmer, suche etwas, und tatsächlich, da liegt eine Mark auf dem Boden. Das sage ich dem Mann am Telefon. „Ich hebe die Mark auf und gebe sie Ihnen bei nächster Gelegenheit“, füge ich noch hinzu, rechne aber damit, dass er sagt: „Ach was, werfen Sie das in die Kaffeekasse“, oder so.
Er sagt nur: „Alles klar, vielen Dank.“
Eine Stunde später, ich habe gerade die Schreibtischlampe ausgeknipst, klingelt es an der Vordertür.
Ich öffne und vor mir steht völlig atemlos der junge Herr Brandenburger. Ich muss hinzufügen, dass ich nur deshalb der ‚junge Herr‘ schreibe, weil er deutlich jünger ist als der Opa. Tatsächlich wird er um die 60 gewesen sein.
„Ich wollte eben die Mark abholen.“
„Wie bitte?“
„Ja, die Mark die uns gehört. Die soll doch nicht in falsche Hände geraten, am Ende vergessen wir das alle und dann fehlt uns ja das Geld. Wir geben dem Opa immer etwas Kleingeld und die Abrechnung muss ja schließlich stimmen.“
Ich gebe ihm das Markstück und der Mann atmet hörbar erleichtert tief durch: „Gott sei Dank!“
Der Herr ist 30 Kilometer zu uns gefahren, somit also 60 Kilometer hin und zurück. Und das alles nur wegen einer D-Mark. Konsequent ist er, dass muss man sagen.
- mark: Peter Wilhelm KI
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: Pfennigfuchser
Erinnert mich an eine Reportag über eine „Supertankstelle“ in Luxemburg, wo sogar Leute aus DE hinfuhren, weil der Sprit da so günstig sei und man im dortigen Supermarkt ja auch gleich günstig einkaufen könne.
Ich glaube ja, die Deutschen hatten zu hause dann wieder ähnlich viel Benzin im Tank wie bei der Abfahrt…
Kommt drauf an!
Also zunächst mal Zustimmung. Nachbar Walter fuhr früher 30 km nach Neustadt, wenn dort die Butter 10 Cent billiger war. Er hätte irgendwie eine halbe Tonne kaufen müssen, um den Sprit wieder rauszubekommen.
Ich erinnere mich aber gut an meine Kindheit. Ich komme aus dem Ruhrgebiet und da ist Holland nicht weit.
Meine Eltern planten das strategisch: Mit fast leerem Tank dort ankommen, Zigaretten stangenweise zum halben Preis, Kaffee ebenfalls kiloweise sehr günstig und viele Süßigkeiten, die es bei uns nicht gab.
Meine Mutter rechnete Haushaltsausgaben immer akribisch nach und ich weiß noch, dass sie immer auf rund 100 bis 150 D-Mark gekommen ist, die man, nach Abzug der Spritkosten, gespart hatte.
In den 50er und 60er Jahren gab es regelrechte Schmugglerbanden, die sich auf Zigaretten und Kaffee spezialisiert hatten.
Schweizer machen das im Grenzgebiet ebenfalls: Sie fahren nach Deutschland zum Einkaufen, weil es so viel günstiger ist.
Naja, „sogar Leute aus DE“ ist ja relativ. Von Trier nach Wasserbillig (da wird die „Supertankstelle“ gewesen sein – wobei da eher eine Tankstellenmeile ist) sind es keine 20 km. Da lohnt (bzw. lohnte, zur Zeit ist die Differenz beim Spritpreis nicht mehr so riesig) es sich rein finanziell schon. Wobei ich schon immer gesagt habe, wenn man nur zum Tanken extra hin fährt, darf einem die eigene Zeit halt nichts wert sein.
Wenn man allerdings als Raucher noch einiges an Tabak mitnimmt und vielleicht Kaffee und Sekt, dann rechente es sich durchaus.