Frag doch den Undertaker

Ein Gedicht bei der Trauerfeier

Hallo Tom,

Du hast Dich ja (vermutlich oft zu Recht) bei Deiner Beschreibung von MacKabers Trauerfeier ein wenig despektierlich so geäußert:

„Nein, mir stockt der Atem etwas, als drei der vier Kinder, zwei Söhne eine Tochter nach vorne gehen.
Gedichte von Angehörigen haben manchmal etwas Peinliches.
Doch da kommen keine Gedichte.“

Werbung

Gab es bei Dir da auch „positive Gegenbeispiele“?

Ich nehme an, Du hattest es richtig verstanden und nur Deine Formulierung klingt für mich etwas missverständlich. Natürlich habe ich mich nicht über die Vorträge auf MacKabers Trauerfeier negativ geäußert, sondern über Gedichte und Vorträge auf Trauerfeiern allgemein.

Ich kann so Formulierungen nicht mehr hören: „Herr Blabla diente unserem Unternehmen 30 Jahre lang. Nach seinem Eintritt in unser Haus als Maschinenführer im Jahre 1965… blabla…“
Das zeigt mir eher, daß der Vortragende den Verstorbenen gar nicht gekannt hat oder sich beim Nachruf nicht viel Mühe gegeben hat.
Viel interessanter wäre es gewesen, wenn nicht der abgehobene Geschäftsführer oder Personalchef nach Aktenlage vorgetragen hätte, sondern wenn der Kollege, der 40 Jahre mit Herrn Blabla an der Maschine gestanden hat, mit einem Zettelchen in der Hand erzählt hätte, wie der Blabla ihm mal den Arsch gerettet hat und daß der Blabla bei der Urlaubsanmeldung ihm wegen der Kinder immer den Vortritt gelassen hat. Das Menschliche zählt!

Der Leser schreibt weiter:

Als selbst empfundenes Gegenbeispiel möchte ich meine kleine Geschichte zur Beerdigung von meinem Großvater, der vor etwa einem Jahr nach langer Demenz mit 94 gestorben ist erzählen. Nun habe ich schon häufiger Gedicht(chen) für uns oder unsere Familie geschrieben (oft auch sehr zur Freude unserer Großeltern), so dass meine Schwestern mich baten, auch diesmal etwas beizutragen . Als wir den Wunsch beim Bestatter äußerten, ernteten wir Stirnrunzeln, der Pfarrer war aber gleich begeistert, und hat sich vor seiner Predigt (nach 2 Stunden Trauergespräch mit meiner Oma) auch ein bisschen mit mir unterhalten.

Bei der Beerdigung selbst habe ich das Gedicht dann vorgetragen. Soweit ich das sehen konnte, waren alle sehr berührt und die halbe Familie hat geweint und auch mir standen Tränen in den Augen. Der Pfarrer band meine Worte wunderbar in seine eigene Predigt ein und so war das Bild, das der Pfarrer von unserem Opa zeichnete, als oft knurrigen und manchmal sturen, aber dafür umso liebevolleren, hilfsbereiten fleissigen Mann noch ein bisschen runder und persönlicher.

Wir konnten jedenfalls auf diese Art und Weise befreit Abschied nehmen, und selbst die Nachbarn meinten die Beerdigung hätte durch das Gedicht in Kombination mit dem sehr guten Pfarrer etwas Besonderes, Persönliches erhalten.
Natürlich ist das vielleicht die Brille des persönlich Betroffenen und Autor, aber ich glaube schon,dass es möglich ist mit einem Gedicht viel auszudrücken. (mal von üblichen „reim dich oder ich fress Dich-Peinlichkeiten abgesehen).

Wie hättest Du denn als Bestatter in dem Konkreten Fall reagiert? Hättest Du hier auch ein Gefühl der Peinlichkeit gehabt, oder hättest Du es hier auch(wie meine Familie es mich zumindest glauben lässt 😉 )als stimmig empfunden?

Auf Dein „Urteil“ bin ich gespannt.

Lieben Gruss,
B.

Ganz allgemein:
Ich finde 08/15 Trauerfeiern haben genauso ihre Berechtigung, wie sehr individuell gestaltete. Beides kann fürchterlich sein, beides kann aber auch sehr schön sein. Mir ist fast die Standardtrauerfeier nach Schema F lieber als eine bemüht individuell gestaltete. Ich habe es erst neulich wieder erlebt, daß eine der Töchter quasi das Trauerfeiern neu erfinden wollte und vom Kerzenaufstellen durch die ganze Trauergesellschaft, bis zum gemeinsamen Absingen von Liedern und dem Verteilen bunter Schleifen die Trauergesellschaft fast 45 Minuten lang wie auf einem Kindergeburtstag beschäftigt hat. Da bleibt keine Zeit für Ruhe, keine Zeit zum Abschiednehmen und kein Raum für Trauer.

Aber wenn es einem gelingt, in den ritualisierten Aufbau -der ja durchaus gewollt ist und seine Berechtigung hat!- eine persönliche Note einzubringen und wenn es so ist, daß hinterher die Leute sagen, es sei schön gewesen, dann ist es gut.

So kann ein persönliches Gedicht durchaus einfach Scheiße sein, um es mal ganz hart und glasklar zu sagen, aber es ist deshalb toll und gut, weil es von einem Angehörigen vorgetragen wird und er dadurch ein Ventil für seine Gefühle findet.
Andersherum: Es kann ein ganz tolles Gedicht eines begnadeten Lyrikers sein und weil es stocksteif, mit zu viel Pathos und ohne eigenes Gefühl vorgelesen wird, geht die Sache in die Hose und wird nur als peinlich empfunden.

Es kommt immer auf das Menschliche an! Ich will etwas erleben, ich will spüren wie der Verstorbene war, will spüren, wie die Angehörigen trauern und will Raum und Zeit für meine eigenen Gefühle haben können.


Hier das Gedicht, das der Leser vorgetragen und eingesandt hat:

Du warst uns soviel…

Du warst uns soviel…
strenger Erzieher und Mühlespielpartner,
geduldiger Radfahrlehrer und Spielplatzaufpasser,
Ratgeber und treuer Freund.

Durch Deine Geduld, Deine Sturheit, Deine Strenge.
Durch Deine Zähigkeit, Deine Güte, Deine Treue, Deine Liebe.

Du warst uns soviel…
nur noch durch Gesten,
durch Blicke,
durch Händedrücke,
durch Dein herzliches Lachen,
durch Dein gütiges Lächeln,
bliebst Du uns treuer Freund und Ratgeber.

Durch Deine Geduld, Deine Sturheit, Deine Strenge.
Durch Deine Zähigkeit, Deine Güte, Deine Treue, Deine Liebe.

Du bleibst uns soviel…
in unserer Erinnerung,
in unseren Herzen,
in unseren Blicken,
in unseren Gesten,
in unserem Handeln…

durch Deine Geduld, Deine Sturheit, Deine Strenge.
Durch Deine Zähigkeit, Deine Güte, Deine Treue, Deine Liebe.

Du willst dazu mein Urteil?
Wie ich oben schon schrieb: Wenn es in Dir und in den anderen nichts bewegt, dann war es nur ein Vortrag, im besten Fall einer von vielen, der eher unbemerkt bleibt; im ungünstigsten Fall einer der als peinlich und überflüssig empfunden wird.

Bewegt der Vortrag aber das kleine Glöckchen im Herzen, das Dich und andere zum Weinen bringt und nachdenklich macht, dann hast Du alles richtig gemacht.
So gesehen also: Prima! Gut gemacht!

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Revision:


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)