Manchmal ist es die Auswirkung einer psychosozialen Störung, manchmal ist es Einsamkeit und manchmal ist es eine besondere Form der Veranlagung, daß Menschen in ihrem eigenen Müll versinken und dennoch immer weiter sammeln.
Ein Modewort hat sich in den letzten Jahren auch gefunden, man nennt diese Leute Messies und schert damit kurzerhand alle Betroffenen über einen Kamm. Dabei gibt es von dem, was flugs auch Messiesyndrom (schöne Grüße ans Sissisyndrom) genannt wurde, zahlreiche Spielarten und Ausprägungen.
Einen Fall mit sehr schlimmer Ausprägung hatten wir jetzt. Frau Klingenrath war früher einmal Lehrerin und an sich überall sehr hoch angesehen. An ihrem Äußeren hätte man nicht ablesen können, daß ihre Wohnung im Müll versinkt.
Im Laufe der Jahre hatte Frau Klingenrath wenigstens 400 leere Flaschen und mindestens ebenso viele Eierschachteln, Pizzakartons und Konservendosen angesammelt. Ganz zu schweigen von den unglaublichen Stapeln Zeitungen und Zeitschriften.
Nachdem ihre Nachbarin die alte Lehrerin mehr als drei Tage nicht gesehen hatte, wurde gestern die Polizei verständigt. Nachdem die Feuerwehr die Tür geöffnet hatte, fanden die Beamten die alte Frau tot im hinteren Bereich der Wohnung auf dem Fußboden.
Der Abtransport gestaltete sich in diesem Fall leichter als es sonst bei zugemüllten Wohnungen der Fall ist, es gab einen genügend breiten Laufgang zwischen den Zeitungsstapeln und die alte Dame war nicht besonders unhandlich.
Nachdem sie weggebracht worden war, blieb ich noch eine Weile bei den Beamten. Man wollte noch abwarten, bis durch die weit geöffneten Fenster ein ordentlicher Luftaustausch stattgefunden hatte und während dieser Zeit trugen die Männer von der Feuerwehr einige faulige Säcke mit Hausmüll runter.
Ermittlungen? Nein, die Beamten konnten nichts feststellen, was auf eine Straftat hindeutete, der herbeigerufene Arzt aus der Nachbarschaft hatte Herztod infolge der heißen Witterung notiert.
Während wir uns unterhielten, versuchten wir herauszufinden, welcher Raum in der Wohnung welche Funktion gehabt haben könnte.
Gut, Küche und Bad waren rasch identifiziert, aber die anderen drei Räume waren nur mit Mühe als Wohnzimmer, Schlafzimmer und Esszimmer zu erkennen. Überall das gleiche Bild, der gleiche Müll, nur schmale Gänge, gerade breit genug, daß ein Mensch durchpasst, ansonsten alles so hoch gestapelt, wie Frau Klingenrath in die Höhe gereicht hatte.
Doch wo mag sie geschlafen haben? Das Bett war offensichtlich schon vor Jahren komplett mit alter Kleidung zugebaggert worden, etwa anderthalb Meter dick war die Schicht aus Klamotten.
Schließlich entdeckten wir in der Küche auf der Eckbank eine Art Schlafstätte. Vielleicht 40-50 cm breit und kaum einen guten Meter, vielleicht anderthalb, in der Länge. Doch, wenn man es sich recht betrachtete, dann muß die alte Dame halb sitzend, halb liegend, auf diesem schmalen Streifen Eckbank seit vielen Jahren geschlafen haben…
Nicht schön.
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Es ist unglaublich traurig und ein Armutszeugnis unserer Gesellschaft, dass solche Sachen immer wieder vor den Augen der Nachbarn geschehen.
Ich sehe es förmlich vor mir: vermutlich kannte jeder diese Frau vom Sehen, sie galt vermutlich als „verschroben“, die Nachbarkinder haben sie entweder ignoriert oder geärgert.
Und erst dann, wenn sie aus der Wohnung getragen wird, ist das ganze Elend und die Vereinsamung dieser Frau offengelegt. Und dann hat natürlich niemand etwas davon gewusst ….
Aber Hauptsache, wir spenden regelmässig zu Weihnachten etwas an „Brot für die Welt“. Es ist nämlich einfacher, Geld für irgendeine Organisation zu spenden, die angeblich Hilfen für GanzWeitWeg organisiert, als dass wir mal gucken, wie es eigentlich dem Nachbarn direkt nebenan so geht. Denn wenn wir womöglich erst einmal sehen, wie schlecht es ihm geht, dann müssen wir vielleicht sogar moralische Verantwortung für den Nachbarn übernehmen.
Und das geht ja gar nicht.
@ Siggi,
hier sagt man immer „Man kann den Leuten nur vor dem Kopf schauen und nicht dahinter“. Es gibt viele Gründe warum so etwas passiert bei uns. Die Anonymität einer Großstadt, wo selbst der Nachbar den Nachbar nicht einmal mit Namen kennt. Oder auch das offensichtliche Gefühl „Was soll ich machen? Es geht ja schließlich nicht um mich.“
Ich kann getrost sagen das meine beiden Nachbarn voll Normal in dieser hinsicht sind und keinerlei Messi veranlagungen haben.
Hm, ich finde das ziemlich einfach gedacht. Man muss sich bloß um den Menschen ein bisserls kümmern und schon ist die Sache geritzt. Meine Mutter scheint auch in dieser Hinsicht ein Problem zu haben. Keiner würde es bei ihr ahnen, sie ist eigentlich sehr pingelig und genau. Ich versuche auch immer vergleiche zu anderen zu finden die man gleich in die „Messischachtel“ steckt. Aber ich finde eben auch, dass man die Menschen nicht über einen Kamm scheren kann. Die Wohnungen mögen zwar fast alle gleich ausschauen, aber das Problem, die Ursache, der Grund der dahinter steht, ist doch jedesmal ein anderer. Meine Mutter ist sicherlich nicht vereinsamt. Sie besucht uns oft und geht auch unter Leute. Auch weiß ich sehrwohl wie es aussieht bei ihr, oder kann es zumindest erahnen, da sie mittlerweile selbst mich nicht mehr bei sich hinein lässt. Aber egal was ich mir überlege ich sehe mich nicht im Stande ihr zu Helfen. Sie war immer ein Mensch der sich voll und ganz um die anderen gekümmert hat aber selber niemals Hilfe… Weiterlesen »
@ Siggi: die Sache ist nicht so einfach.
Selbst wenn die ganze Nachbarschaft das wüßte, solange man nicht sich selbst und andere gefährdet, darf man in seinem Müll leben. Die „Gesellschaft“ kann nix machen. Ich weiß das, war 30 jahre mit so jemanden zusammen und hab den kampf verloren geben müssen.
Es ist sicher nicht das verkehrteste, wenn man sich etwas mehr umeinander kümmern würde, aber ob das wirklich bei dem Problem hilft? Es gibt durchaus „Messies“ die eben nicht vereinsamt sind.
Da Siggi außerhalb der Gesellschaft steht, klingelt er sicherlich 1x die Woche bei sämtlichen Nachbarn und bittet um Einlass, um die Wohnung zu inspizieren. Wird etwas gefunden, was nicht seiner Norm entspricht, werden die zuständigen Behörden umgehend informiert und ggf. erwirkt Siggi selbst eine Einweisung in eine psychiatrische Anstalt. Oder wie verstehe ich das?
@Matthias: falsch. Siggi hat schon recht damit, daß man auch mehr auf seine unmittelbare Umgebung Acht geben sollte. Das heißt aber nicht gleich, daß er alle kontrollieren wollte.
Man kann Menschen nicht gegen ihren Willen helfen. Manchmal geht das per Ordnungsamt, wenn sie andere gefährden (Gesundheitsgefährdung durch Keime etc). Aber darüber hinaus darf jeder „nach seiner Fasson selig werden“.
Auch, wenn’s manchmal traurig ist.
Salat
Gerade das Messi-Syndrom ist nicht so einfach „zu heilen“. Wenn es denn eine Heilung gibt. Warum horten die Leute Müll – selbst Müll, der wirklich Müll ist (= verfaulende Essensreste; Dosen mit Schimmelpilzkulturen etc.)?
Ist sicherlich schön und einfach, wenn wir Außenstehenden sagen: Das ist Müll – schmeiß das weg! Und so schwer kann es doch nicht sein, die eigenen 4 Wände sauber zu halten, oder?
Falsch. Funktioniert nicht so einfach bei Messis.
Ich laufe hier auch immer an einem Reihenhäuschen vorbei, wo gut sichtbar von außen alle Fenster bis fast oben zugestapelt sind. Mit allem möglichen. Jedes Mal denke ich wieder: Was könntest du tun? Was sollte ich tun?
Hat jemand eine Antwort hier?
@Siggi: Unser Nachbar wohnt seit dem Tod seiner Frau allein. Immer mehr hat er sich ausgesperrt von der Gemeinschaft, sehr bewusst, er will einfach mit niemandem über seine Wehwehchen reden. Kürzlich dann haben wir es erstmals gehört. Ein „Hallo… Hallo….“ rufen in er Nacht. Früh, kurz vor vier Uhr. Der Sache sind wir natürlich nachgegangen, sind vor dem Fenster des Nachbar zu stehen gekommen. Dieses war verschlossen, er stand drin und rief eben dieses „Hallo“. Während er ein Kreuzworträtsel löste. Ab und zu kam auch ein „Aaaaahhh…!“, was irgendwie gruselig war. So ging es ab da mehrere Wochen, wir hatten uns schon daran gewöhnt, aber auch immer darauf geachtet, dass wir Lebenszeichen von ihm bekommen. Dann war es soweit, es war in unserer Gegend in der Nacht um die 25° warm. Die Fenster offen, der Nachbar brüllte wieder sein „aaaahhh…“ und „jaaaaa…“ und „neiiiiin“… Zwischenzeitlich haben wir von ihm in Erfahrung gebracht, dass er wohl beim Ausatmen Probleme hat und es bei der Artikulierung von Lauten einfacher geht. Zum Arzt will er aber nicht. Zwei… Weiterlesen »
@ 3 und 9:
Aus euren Beiträgen lese ich einen großen Unterschied heraus. In beiden Fällen beschreibt ihr, daß die betreffende Person eben nicht ganz und gar einsam ist und daß ihr euch immerhin Gedanken um sie macht. Das finde ich sehr tröstlich.
Allerdings klingt auch in beiden Beiträgen die Hilflosigkeit heraus, die man nun mal leider in solch einer Situation hat.
Natürlich ist es mir vollkommen klar, daß niemand hier eine Überwachung haben oder durchführen will. @ 6: Die Zeit der Blockwarte ist gottseidank lange vorbei.
Aber wenn man wie DerSilberneLoeffel zumindest schon mal ein wenig auf seinen Nachbarn achtet, ungewöhnliche Umstände wahrnimmt und diese toleriert, dann ist das immerhin schon mal ein Anfang.
Menschen mit Messisyndrom bin ich beruflich begegnet. Genau genommen sollte ich versuchen ihnen zu helfen. Täglich vorbeischauen, und vielleicht, wenn sie es denn zulassen, ein wenig von dem Müll entsorgen. Hauptsächlich aber, Gespräche….Wertschätzung vermitteln, Hilfe anbieten und zeigen „ich halte dich aus, du bist nicht allein“
Es ist eine Energiezehrende Arbeit. Erfolgsaussicht unwahrscheinlich bis minimal. Die eigene Frustrationstoleranz sollte recht hoch sein….
ich mache es heute nicht mehr. Ich weiß warum.
Selbstverständlich gibt es verschiedene Ausprägungen aber bei praktisch allen gibt es auch große Übereinstimmungen, und daher ist es durchaus gerechtfertigt, vom Messisyndrom zu reden, und das ist keineswegs ein „alles über eine Kamm scheren“. Genauso wie bei vielen anderen Zwängen bei denen sich eine an sich sinnvolle Handlung verselbstständigt und irgendwann den gesamten Alltag der Betroffenen bestimmt, ist die Prognose eine endgültigen Überwindung um so schlechter, je weiter der Zwang fortgeschritten ist und je stärker er das Leben bestimmt. Leider fällt es besonders bei Messies erst relativ spät auf, dass sie davon beherrscht werden, entsprechend gering sind die Erfolgsaussichten, wenn man ihnen helfen will. Ich kenne sowohl das Messisyndrom als auch den Waschzwang aus meiner Umgebung und kann den Frust von „auchnochda“ gut nachvollziehen. Ohne echte Einsicht des Betroffenen in seine Situation und seinen eigenen entschlossenen Einsatz ist eine Hilfe praktisch unmöglich und auch mit diesen Vorraussetzungen äußerst schwierig.
Dann bitte nicht immer alles auf die Gesellschaft schieben, denn das ist auch wiederum so ein Schutzreflex nach dem Motto, die anonyme Masse sei für jeden Niedergang verantwortlich. Im Übrigen eine recht neue Denke wage ich zu vermuten, früher war der „Mann“ noch „selbst“, heute soll alles die Gesellschaft richten oder aber der Staat. Dabei haben wir nicht mal eine, sondern viele Gesellschaften, und ich meine jetzt nicht nur die deutsche, türkische etc. sondern auch die ländliche, städtische. Eine Freundin von mir beklagt die soziale Kontrolle in ihrem kleinen Dorf, andererseits merkt man dann vielleicht eher, was los ist. Ob der Garten des Nachbarn gepflegt ist oder nicht erkennt man schnell und kann sich dann fragen, ob er vielleicht seit letzter Woche auf dem TV-Sessel verwest, aber hinter die Fenster der Großstadthäuser? Andererseits hat es meiner Freundin auch nicht geholfen, wenn ihre Mutter alle paar Tage besoffen im Haus randalierte. Und wenn ich lese, wie oft Leute etwas melden und dann doch nur vertröstet werden, wie oft sich Nachbarn einmischen, wenn der Brutalo seine Freundin… Weiterlesen »
@13: Ohne zu sehr vom Thema abkommen zu wollen: Deine Wahrnehmung ist statistisch irrelevant. Von den vielen Fällen, in denen Zivilcourage oder sozial orientiertes, deeskalierendes Handeln teilweise auch ohne Eigenfahren schon im Ansatz Schlimmeres verhütet hat, hört man in den Medien eher selten. Abgesehen davon heisst es nicht umsonst „ZivilCOURAGE“ – Mut gehört dazu, wenn man etwas zum Besseren hin verändern möchte.
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Ist es eigentlich generell oder in bestimmten Situationen moralisch richtig, jemandem seine Hilfe aufzuzwingen? Bis zu welcher Grenze darf man denn „gestört“ und trotzdem frei von Fremdbestimmung sein? Die Frau in TOMs Artikel machte ja beispielsweise offenbar nach außen hin einen normalen Eindruck …
Nem Messi zu helfen bedeutet ja nun zuerst einmal ihm zu erklären das einige seiner Besitztümer zu nichts mehr nütze sind. Allein das ist schon schwierig.
2. nen Mesi zu erkennen ist mehr als nur schwer.
3. Nachbarn zu haben die nach nur 3!!!!!!!!! Tagen nachfragen wo mr. / misses ist ? das ist klasse, so sollt es ja eigentlich sein.
und @ sigi:
in der großstadt berlin hab ich meine Nachbarn besser gekannt als jetzt hier im Harz in nem kleinem Ort.
Kennt jemand das Buch „Schloss aus Glass“?
Es geht hier zwar nicht um Messis, aber um Menschen die anders Leben wie der Standard.
Die anders leben wollen!
Wenn ich alleine Leben würde, hätte ich vermutlich auch ein kleines Messi Problem.
Aber ich würde mich mit allen Mitteln dagegen wehren, das mir jemand „helfen“ will.
http://www.perlentaucher.de/buch/20470.html