Manchmal kommt einem ein erleuchtender Gedanke oder ein sachdienlicher Einfall ja erst im allerletzten Moment. Ich weiß nicht, ob es Dir auch so geht, aber bei mir ist das manchmal so. Da denkst Du, Du hättest alles bedacht, und dann auf einmal fällt Dir was auf oder ein.
So war das auch mit Herrn Woltewicz. Herr Woltewicz war 88 Jahre alt und hatte seine Frau Rosemarie schon achtzehn Jahre überlebt. Kennengelernt hatte ich ihn, als ich vor sechs oder sieben Wochen das erste Mal bei ihm war, um mit ihm über eine Bestattungsvorsorge zu sprechen. „Ich habe zwei Töchter und ich will denen im Alter keine Last sein“, so lautete seine Aussage und damit sagte er in etwas das Gleiche, wie 98 % meiner Vorsorgekunden.
Meine Frau und ich haben auch eine Sterbegeldversicherung abgeschlossen. Den Rest haben wir mit unseren Kindern besprochen. Meine Allerliebste würde ja am liebsten im Neckar verstreut werden, das ist aber bislang nicht so ohne Weiteres möglich.
Vielleicht leben wir lange genug, und eines Tages ändert sich da hinsichtlich der Bestimmungen noch was. Die Zeichen der Zeit stehen ja ganz gut. Ich selbst habe mich mittlerweile mit den gärtnerisch gepflegten Gemeinschaftsurnengräbern angefreundet.
20 Jahre lang hat man dann, gemeinsam mit 50 anderen Leuten einen Platz auf dem Friedhof, irgendwo gibt es ein Namensschildchen und die Friedhofsgärtner halten da alles sauber und bepflanzen es schön. Finde ich besser als die anonyme Wiese.
Dafür reicht eine kleine Sterbegeldversicherung.
Herr Woltewicz hatte aber vor langen Jahren eine hohe Sterbegeldversicherung über 23.000 Euro abgeschlossen und wollte dafür eine üppige Beerdigung haben. Das Familiengrab, in dem schon seine Frau ruhte, müsste nachgekauft und verlängert werden, eine große Trauerfeier möchte er auch, mit Musik und vielen Blumen, und ganz wichtig war ihm das anschließende Kaffeetrinken aller Hinterbliebenen. Vorsichtig wies ich ihn darauf hin, dass Menschen, die auf die 90 zugehen, nicht damit rechnen können, dass noch Heerscharen an ehemaligen Klassenkameraden und Arbeitskollegen zur Beerdigung kommen. Aber der Mann ließ sich nicht davon abbringen, ein großes Kaffeetrinken mit allem Drum und Dran sollte es sein.
Alle seine Wünsche hatte ich notiert, den Vorsorgevertrag ausgearbeitet und war nun auf dem Weg zu ihm, damit er alles unterschreiben konnte.
Froh darüber, einen guten Parkplatz gefunden zu haben, klingelte ich am Tor und wartete. Statt Herrn Woltewicz kam aber eine Dame von etwa 60 Jahren ans Tor: „Und? Sie sind?“
Ich stellte mich vor und sie musterte mich von oben bis unten. „Na, wenn’s denn sein muss“, sagte sie und öffnete.
Gemeinsam gingen wir das kurze Stück bis zur seitlich gelegenen Haustüre, an der Herr Woltewicz schon wartete.
So, und genau in diesem Moment kam mir der eingangs erwähnte erleuchtende Gedanke. Ich muss nämlich erzählen, dass ich an diesem Tag sehr stark erkältet war. Nur mit WICK DayMed konnte ich mich aufrecht halten. Als ich das kleine, klapperige Männlein an der Haustüre stehen sah, kam mir die Erkenntnis, dass es vielleicht keine gute Idee ist, wenn ich ihn möglicherweise anstecke.
In meinem Pflichteifer und weil ich sowieso so gut wie nie wegen Krankheit fehlte, war mir der Gedanke vorher gar nicht gekommen.
Ich hielt an, und sprach die Frau an: „Sie sind doch bestimmt die Tochter von Herrn Woltewicz?“ Sie nickte. Dann erklärte ich ihr, dass ich Bedenken wegen der Ansteckungsgefahr habe und dass mir das jetzt gerade erst siedendheiß eingefallen sei.
Sie trat einen Schritt zurück und fuhr mich an: „Was fällt Ihnen eigentlich ein? Wie kommen Sie sich überhaupt vor? Was meinen Sie denn, wen Sie vor sich haben? Wo etwas ist mir ja in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen! Ich bin extra heute Nachmittag nicht zu meinem Ikebana-Kurs gegangen. Das hätten Sie sich aber auch früher überlegen können! Dann war ja jetzt alles für die Katz‘.“
Ich entschuldigte mich und wandte mich an den etwa sechs Meter entfernten alten Mann: „Mir ist gerade eingefallen, dass ich doch so erkältet bin. Jetzt frage ich mich, ob es eine gute Idee ist, wenn wir uns heute zusammensetzen. Am Ende stecke ich Sie noch an.“
„Bloß nicht!“, rief Herr Woltewicz. „Ich hatte Anfang des Jahres erst einen Husten und den bin ich kaum losgeworden. Kommen Sie ein anderes Mal wieder; ist nicht schlimm!“
Die Tochter machte ein Geräusch, wie ein Pferd, das etwas Schlechtes gerochen hat, drehte sich auf dem Absatz um und brachte mich zum Tor zurück.
Ich entschuldigte mich nochmals und sagte, dass ich anrufen würde, wenn es mir wieder besser geht.
Sie hielt mich am Ärmel meines Anzugs fest und zischte mir zu: „Meinen Sie, ich merke nicht, was hier los ist? Sie wollten meinen Vater doch mal eben locker über den Tisch ziehen. Weiß man doch, wie ihr Brüder das so macht mit alten Leuten. Und dann haben Sie gesehen, dass ich da bin. Drinnen wartet nämlich auch noch meine Schwester. Jetzt trauen Sie sich nicht mehr, Ihre schäbige Nummer abzuziehen, weil wir dabei sind. Kommen Sie, geben Sie’s zu. Sie ziehen jetzt den Schwanz ein.“
Mit einem Ruck löste ich mich von ihr, öffnete meine Aktentasche und drückte ihr die Vorsorgemappe in die Hand: „Da haben Sie alle Unterlagen. Fein säuberlich alles aufgelistet, alles ganz genau so, wie ihr Vater das haben möchte. Sie und Ihre Schwester können das in Ruhe prüfen und mit Ihrem Vater besprechen. Da gibt es keine Geheimnisse und nichts, was nicht in Ordnung wäre. Wenn Sie Fragen haben, hinten steht meine Nummer drauf. Schönen Tag auch noch.“
Ich weiß nicht, wie Du darüber denkst. Aber ich war damals der Überzeugung, genau das Richtige getan zu haben.
Inzwischen sind ja Jahre vergangen und wir haben alle gemeinsam die große Pandemie erlebt. Davon hatten wir damals noch keine Ahnung, und mir war es nur darum gegangen, einen alten, etwas schwächlich wirkenden Mann, nicht krank zu machen. In meiner Vorstellung stecken doch so kleine, dünne, alte Männer eine Erkältung nicht mehr so gut weg.
Gut zwei Wochen waren seitdem vergangen, und ich rief bei Herrn Woltewicz an. Der freute sich. „Na, wieder gesund? Prima! Ich koch‘ uns Kaffee! Dann können Sie mal einen Blick drauf werfen, was meine Töchter für mich gemacht haben.“
Als ich dann zwei Tage später bei dem alten Herrn am Küchentisch saß, legte er mir meine Vorsorgemappe vor. Aber in der Mappe waren nicht mehr meine Vorsorgeunterlagen für ihn, sondern welche vom Konkurrenzunternehmen Pietät Eichenlaub.
„Das hat alles meine Tochter Jutta gemacht. Das ist noch etwas billiger geworden“, freute sich Herr Woltewicz.
„Wo sind denn die Unterlagen, die ich für Sie erarbeitet habe?“, erkundigte ich mich. Herr Woltewicz klatschte in die Hände und freute sich. „Gell, das ist schön, nicht wahr? Meine Töchter haben Ihnen alle Arbeit abgenommen. Die hohe Sterbegeldversicherung ist ja fast komplett bezahlt und da kommt ja ein hübsches Sümmchen bei raus. Jetzt muss ich nur noch sterben und alles läuft wie am Schnürchen.“
Die Unterlagen der Pietät Eichenlaub zeigten ganz klar, dass Herr Woltewicz sich durch seine Unterschrift für eine ganz billige Bestattung entschieden hatte. Einfach Holzkiste, Einäscherung in einem tschechischen Krematorium und Vergraben der Asche an einer Mauer in der Tschechischen Republik. Kein Blümchen, keine Musik, keine Trauerfeier und auch kein gemeinsames Kaffeetrinken.
Die Töchter hatten alles daraufhin „optimiert“, dass am Ende ein erkleckliches Sümmchen aus der Sterbegeldversicherung an die beiden ausgezahlt werden könnte.
Vorsichtshalber erklärte ich Herrn Woltewicz die Tragweite des Ganzen und sagte ihm, dass es sich um eine echte Billigbestattung handelte. Er schaute mich aus kleinen, wasserblauen Augen an und grinste. Als ich fertig warm schaute er sich mit einer gespielten Verschwörermiene um und flüsterte: „So, und wo ist jetzt die versteckte Kamera?“
„Ja, nee, das ist hier nicht ‚Verstehen Sie Spaß‘. Das ist wirklich so.“
„Sie wollen mich verarschen, oder?“
„Nein, wieso denn? Hier steht es alles schwarz auf weiß. Es kostet nur 899 Euro und dafür geht’s an eine tschechische Friedhofsmauer. Tut mir leid, mehr ist das nicht.“
„Jutta hat aber gesagt, dass alles genauso ist, wie bei Ihnen, nur eben wären Sie dreimal so teuer. Ich will doch zu meiner Trude ins Grab!“
In diesem Moment knirschte ein Schlüssel in der Wohnungstür und Sekunden später brach der Himmel über mir zusammen, sozusagen. „Was ist hier denn los? Ich glaube, ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen. Das schlägt ja wohl dem Fass die Krone ins Gesicht! Das glaube ich ja nicht! Hast Du dafür Töne? Ist ja nicht zu fassen! So eine Unverschämtheit, kommt der Typ einfach daher und versucht hinter unserem Rücken den armen alten Mann über den Tisch zu ziehen! Bestattungsverbrecher, Abzocker, Betrüger, Rentnerausbeuter!“
Wie altgermanische Walküren umschwirrten mich nicht gerade leichtfüßig die beiden Töchter des Herrn Woltewicz. Die eine zog mich vom Stuhl hoch, die andere packte einfach meine Tasche zusammen und rund zwölf bis zwölfeinhalb Sekunden später stand ich verdutzt draußen vor der Tür.
Hätte ich keine Erkältung gehabt oder wäre ich nicht so auf die Gesundheit des alten Herrn bedacht gewesen, dann hätte Herr Woltewicz eine letzte Ruhestätte neben seiner Frau gefunden und nicht irgendwo in Tschechien.
Sechs Monate später ist er nämlich gestorben, hab ich zufällig auf dem Standesamt erfahren. Das Grab seiner Frau ist inzwischen verwildert und wird bald aufgelöst.
Ich möchte seinen Töchtern nichts unterstellen, zumindest nicht in dieser Hinsicht, aber als ich von einem Kollegen hörte, dass der alte Mann die Treppe runtergefallen ist und sich das Genick gebrochen hat, kam mir in den Sinn, dass die Sterbegeldversicherung im Falle eines Unfalltodes die doppelte Summe auszahlt. So könnte es sein, das jede von ihnen rund 20.000 Euro bekommen hat, während es bei meiner Vorsorge und einem natürlichen Tod nur knapp 8.000 gewesen wären.
Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
- streit-2: Peter Wilhelm KI
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