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Frau Schädel: Das Ende

Fehler durch Lektorin Alexandra bereinigt.

Es hat lange gedauert, bis die ominöse Frau van den Braa endlich doch bei uns auftauchte. Sie hatte ihr Kommen ja noch für die Zeit vor der Beerdigung von Frau Schädel angekündigt und wir hatten uns einiges an Aufklärung in dem ganzen Durcheinander der vielen Wahrheiten versprochen, doch dann war sie doch nicht gekommen und wir verblieben in unaufgeräumter Unwissenheit.

Fast schon hatten wir Frau Schädel, Danuta und die Irrlichs vergessen, da steht Frau van den Braa dann doch tatsächlich und unübersehbar leibhaftig in unserer Halle, strahlt lebensfrohe gute Laune aus und will ein Sechswochenamt bestellen.

Wie war denn das mit Frau Schädel? Wir erinnern uns:

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Frau Schädel war verstorben und hatte zuvor im Hause ihrer Kinder, des Ehepaares Irrlich gelebt. Die Pflege hatte die Polin Danuta übernommen und als Frau Schädel dann das Zeitliche gesegnet hatte, beschuldigten sich Danuta und die Irrlichs gegenseitig, man habe aus lauter Raffgier zumindest leichtfertig das Ableben der alten Frau in Kauf genommen, wenn nicht sogar ein wenig dazu beigetragen.

Also, wir haben das Ehepaar Irrlich: Die beiden haben sich offenbar einen feuchten Kehricht um ihre kranke Mutter gekümmert und waren hinter dem Erbe der Alten her wie der Teufel hinter einer armen Seele.

Dann haben wir noch Danuta aus Polen, die von den Irrlichs angeheuert worden war, um die Mutter zu pflegen. Danuta bekam von der dementen alten Dame alles Mögliche versprochen, unter anderem auch ein üppiges Erbe.
Ob nun tatsächlich so geschehen: Danuta behauptete, die Irrlichs hätten die Pflege der Mutter sabotiert, wohl mit dem Ziel, das Ableben der Alten zu beschleunigen, um schneller in den Genuß des Erbes zu kommen.

Dem tritt Schwiegersohn Irrlich mit dem Argument entgegen, man habe ja viel mehr von der Rente und vom Pflegegeld profitiert und könne deshalb gar kein vitales Interesse am nichtvitalen Zustand der Schwiegermutter haben.

Danuta seilt sich Richtung polnischer Heimat ab und hinterlässt einen Scherbenhaufen aus Gerüchten, Unterstellungen und schlechten Gefühlen.

Frau Irrlichs Bruder, der Sohn der verblichenen Frau Schädel, also ein Herr Schädel, bestätigt den Eindruck den auch wir von den Irrlichs haben. Sie sind kalt, scharf aufs Geld und möglich wäre alles. Jedoch liefert er einen durchaus plausiblen Grund für die kalte Ablehnung, mit der Frau Irrlich ihrer Mutter entgegengetreten ist. Ein Mißbrauch durch den Vater, das Wegsehen und Dulden durch die Mutter, das sind Gründe genug, seine Mutter mehr zu hassen, als zu lieben.

Nun ist es aber so, daß die Verstorbene schon alt war, dement war und ihr Tod absehbar war. Ein Fall, bei dem der Hausarzt, schon wegen der langen Krankengeschichte fast schon automatisch sein Kreuz bei „natürlicher Tod“ macht.

Was wirklich passiert war, das hätte uns schon interessiert. Auch wenn ich immer viel erfahre, weil die Leute mir gerne was erzählen, so ist es doch so, daß wir die allermeisten Sterbefälle abwickeln, ohne daß wir nur irgendetwas über die genaueren Umstände erfahren; es sind dies die Fälle der Kategorie: alt – krank – tot.
Aber wenn dann so ein Schicksal sozusagen in epischer Breite vor uns aufgerollt wird, dann sind wir Mensch genug, um neugierig zu sein, um wissen zu wollen, wie es denn war. Genau deshalb waren wir so gespannt auf Frau van den Braa, von der wir uns erheblich mehr Aufschluß versprachen, als von Danuta und den Irrlichs. Frau van den Braa aus Flensburg, eine Nichte, wollte dann die Verstorbene noch einmal sehen, dann doch wieder nicht, irgendwas hatte sie davon abgehalten; so fand die Beerdigung statt, ohne daß wir Frau van den Braa gesehen hatten und ohne daß wir irgendetwas erfahren hatten.

So ist das manchmal.

Jetzt steht sie aber da und möchte ein Sechswochenamt. Das kennt man bei uns gar nicht, im Rheinland ist das üblicher und von da scheint Frau van den Braa es auch zu kennen und ist ganz erstaunt, daß in unserer Gegend so etwas kaum gemacht wird.
Ziemlich genau sechs Wochen nach der Beerdigung versammelt sich noch einmal ein Großteil der Trauergäste, nimmt an einem Gedenkgottesdienst für den jeweiligen Verstorbenen teil und geht dann gemeinsam zum Grab. Manchmal schließt sich noch einmal ein gemütliches Beisammensein, zumeist in der Wohnung eines Hinterbliebenen, an. Am Fehlen des einen oder anderen kann man dann gut erkennen, wie weit die Verteilung des Erbes schon gediehen ist.

Ich telefoniere mit dem Pfarrer und der hat gar nichts dagegen, an dem gewissen Tag in den normalen Frühgottesdienst besondere Fürbitten für Frau Schädel mit aufzunehmen und ist sogar, sofern man das wünscht, gerne bereit, kurz mit auf den Friedhof zu gehen. Er kenne das, es sei zwar hier unüblich, aber durchaus machbar.

Frau van den Braa ist unkompliziert, groß, rothaarig, etwa Mitte Vierzig, etwas laut, drall und wie es scheint, sehr lebenslustig.

„Ach was, der soll sich keinen abbrechen! Wir machen das ganz locker und wenn der nicht weiß, wie das geht, dann zeige ich ihm das schon“, schreit sie mir förmlich ins Gesicht und lacht laut.

„Die Tante war schon eine ziemlich gemeine Schreckschraube und ich sag‘ ihnen jetzt mal was: Ich weine der keine großen Tränen nach. Aber wir wollen doch alles so machen, daß es seine Richtigkeit hat, wer weiß, wofür’s gut ist“, sagt sie und deutet mit dem Zeigefinger gen Himmel.

Das weitere Gespräch verläuft unspektakulär, es geht um ein paar Totenbildchen, die in der Kirche ausgelegt werden sollen, es werden nur zehn Stück gebraucht, um ein kleines Gesteck für das Grab und eine etwas verspätete Danksagungsanzeige in der Zeitung. Ich notiere alles und versuche dann das Gespräch auf die Irrlichs zu lenken.

„Die Irrlichs? Na hören Sie mal, daß die einen Knall haben, das sieht doch ein Blinder mit ’nem Krückstock!“ Frau van den Braa lacht, wirft ihren Kopf in den Nacken, klatscht sich mit den Händen auf die Schenkel und erzählt dann:

„Sie müssen wissen, daß der Onkel kein besonders attraktiver Mann war. Der muß selbst als junger Mann schon komisch ausgesehen haben, außerdem hatte der einen Klumpfuß. Man sagt ja immer so ‚wo die Liebe hinfällt‘, aber wahrscheinlich hat meine Tante den heiraten müssen, das war ja früher noch so… Jedenfalls scheint das eine ganz komische Ehe gewesen zu sein. Der Onkel häßlich wie Quasimodo und die Tante bösartig wie eine Hexe.

Ach was rede ich um den Brei herum, ich sag’s jetzt wie es war: Die Tante hat immer nur die Knie zusammengepresst, wenn sie wissen, was ich meine. Ja, und der Onkel? Na der ist in den Puff gegangen, was sollte er auch machen, der konnte sich’s auch nicht aus den Rippen schwitzen.“

Frau van den Braa funkelt mich aus ihren wasserblauen Augen an, macht eine etwas obszöne Handbewegung und fährt fort:

„Die Tante hat Gift und Galle gespuckt. Bei jeder Gelegenheit hat sie ihren Mann als Hurenbock und Fremdgänger bloßgestellt und in der ganzen Familie wußte man, was da gebacken ist. Na ja, die anderen sind ja inzwischen alle schon tot, aber ich weiß noch, was da alles erzählt worden ist.

Wenn freitags Zahltag war, hat meine Tante vor dem Werkstor gewartet, bis der Onkel rauskam, hat ihm die Lohntüte weggenommen und das Geld eingeschlossen. Der hatte sich aber vorher die Überstunden auszahlen lassen und ist dann auf Tour gegangen. Die Tante saß dann zu Hause, hat gegrollt und sich böse Sachen ausgedacht. Das Gemeinste war, daß sie meiner Cousine, die war ja damals noch ein Kind, also der heutigen Frau Irrlich, eingeredet hat, der Papa sei ein böser Mann und mache nachts heimlich böse Sachen mit ihr. Können sie sich das vorstellen? Daß eine Mutter und Ehefrau so gemein sein kann!
Meine Cousine hat ja sowieso einen Vollschuß und der ist nicht gerade besser geworden, indem meine Tante ihr ständig so blödes Zeug eingeredet hat.
Der Onkel ist ja dann gestorben, aber meine Cousine hat immer in dem Glauben gelebt, der eigene Vater hätte sie mißbraucht. Aber glauben sie mir, jeder in der Familie wußte, daß da nichts dran war. In allen Einzelheiten hat die Tante das dem Kind eingeredet und dann wieder ihre Hände in Unschuld gewaschen. Meine Cousine war doch deshalb auch in Behandlung.“

Sie macht mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung neben ihrer Schläfe, klatscht sich wieder auf die Schenkel und fragt: „Sagen sie mal, gibt’s hier auch was zu trinken?“

Ich schaue sie verdutzt an, vor ihr steht eine Tasse Kaffee, doch sie sagt: „Nein, was Richtiges. Ich muß doch heute nicht mehr fahren, denn wenn ich fahre, dann fasse ich keinen Alkohol an… ich trinke dann nur mit dem Strohhalm!“

Sie schreit mir ihr Lachen förmlich um die Ohren, soviel Spaß hat sie an ihrem eigenen Witz.

Ich zähle auf, was wir so haben; einen Cognac könnte ich ihr anbieten und eventuell von oben ein Bier holen.

„Klingt schon ganz gut, aber so ein Piccolöchen wäre jetzt genau das Richtige.“

Da hat sie Glück, sowas hat Frau Büser immer im Kühlschrank, irgendwas ist ja immer zu feiern und freitags, ich erzählte es noch gar nicht, gibt es bei Frau Büser immer das Wochenende zu feiern, da schenkt sie eine üppige Miniflasche ALDI-Sekt ans ganze Büro aus, betont aber jeden Freitag aufs Neue, daß sie ja eigentlich gar nichts trinkt.

„Die ist ja drollig“, meint Frau van den Braa und ich weiß im ersten Moment nicht, ob sie Sandy oder die kleine Piccolo-Flasche meint. Es scheint sich aber um die Flasche zu drehen, irgendwie ist das Ding schneller leer, als ich mich wieder setzen kann.

„Die Irrlichs haben ja alles für die Tante getan, was getan werden mußte, aber keinen Handschlag mehr. Die Pflege haben sie der Polin überlassen und die hat ja mal voll abgestaubt. Angeblich hat sie immer 20 Euro mitgenommen, wenn sie mit der Tante spazieren gegangen ist, später ging das ja nur noch im Rollstuhl. Ich bezweifle aber, daß die Tante von den 20 Euro jemals irgendetwas gekauft bekommen hat. Das hat die sich doch alles eingesteckt. Und meine Cousine und ihr feiner Herr Gemahl, na hören Sie, die haben sich die Rente und das Pflegegeld eingesteckt, so eine Polin kostet ja nicht viel.
Auf der Beerdigung ging es rund, also eigentlich so mehr hinterher. Da hat die Cousine dann angefangen von der Polin. Alles Quatsch. Die Tante war am Ende so schwach, die wäre so oder so gestorben, da mußte keiner was dran drehen. Die Irrlichs haben bloß Angst gehabt, man könne ihnen das Häuschen streitig machen. Der Irrlich ist ja sowieso nicht der Hellste und ausgerechnet der hat in einem Tatort gehört, daß ein Mörder sein Opfer nicht beerben kann. Ja, und seine superkluge Frau hat sich dann zusammenklamüsert, daß man der Polin am Besten was anhängt, damit die das Haus und das Geld nicht kriegt, falls die Tante das so vererbt haben sollte.
Die sind doch sowieso alle doof!“

Frau van den Braa macht wieder diese kreisende Bewegung mit dem Zeigefinger an der Schläfe und hebt dann das leere Sektglas hoch und sagt: „Finden Sie nicht auch, daß die Luft hier sehr trocken ist?“

Ich hole die letzte Piccolo-Flasche aus dem Bürokühlschrank und fange mir einen vernichtenden Blick von Frau Büser ein. Frau van den Braa bekommt davon nichts mit, sie freut sich weiterhin, strahlt, ist aufgekratzt und fröhlich.

„Was hab‘ ich grad gesagt? Ach ja, daß die alle doof sind. Die Irrlichs brauchen sich doch sowieso keine Gedanken machen, denen war das Haus doch schon lange überschrieben. Da sehen Sie mal, wie doof die sind. Und die Polin, ja was hätte die denn erben wollen? Das Geld der Tante haben die Irrlichs doch sowieso immer auf den Kopf gehauen, die fahren zweimal im Jahr in Urlaub, wenn’s langt! Hörn’s Sie auf, mir braucht über die keiner was erzählen, geldgeiles Pack und alle doof und böse.“

„Tja“, sage ich, „es geht immer wieder nur um’s Erbe.“

„Nur gibt’s da nichts zu erben und die haben sich nur Gedanken um was gemacht, was gar nicht von Bedeutung ist. Ich sag doch, die sind einfach nur doof.“

Auch eine Erklärung.

Frau van den Braa ist ein ganz kleines bißchen enttäuscht, weil ich keinen Sekt mehr habe, will aber noch zum Steinmetz und hofft, daß der noch welchen hat, verabschiedet sich von mir, indem sie mich umarmt und links und rechts einen Kuß auf die Wange gibt, sie riecht nach „Angel“, hinterläßt bei mir gute Laune, zwei leere Piccolos und eine etwas angesäuerte Frau Büser.

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

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(©si)