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Frau Weichselbauer

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Heute war ich bei Frau Weichselbauer, das hat sehr gut getan. Vor ein paar Jahren stand Frau Weichselbauer auf einmal in meinem Büro und wollte sich nur mal so erkundigen. Das kenne ich, da kommen ältere Leute rein, man sieht ihnen an, daß sie ziemlich angespannt sind, wenn sie die ganzen Särge und Urnen sehen und trotzdem machen sie Witze.

Ich kann Euch gar nicht sagen, wie oft ich den Spruch schon gehört habe: „Kann man denn da auch mal probeliegen?“

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Beim ersten Mal war das lustig, beim zehnten Mal dann nicht mehr und seit dem viermillionsten Mal mache ich nur noch gute Miene zum bösen Spiel. Aber was soll’s, für die Leute ist es ja jeweils das erste Mal.
Irgendwann kam mal einer, der war besonders laut und lustig. Auch der wollte nur mal eben probeliegen. Der nervte, ich wollte gerade hinten im Büro Bilder aufhängen und das war auch der Grund, weshalb ich einen Hammer in der Hand hatte. Ich habe einfach wortlos einen Sarg aufgeklappt und eine einladende Handbewegung gemacht.
Ich glaube, es lag hauptsächlich am Hammer, daß er so schnell wieder verschwunden war.

Auch Frau Weichselbauer war recht locker. Sie wisse nicht, wie lange das mit ihr noch ginge und deshalb wolle sie Vorkehrungen treffen.
Wir haben dann alles besprochen und vertraglich festgelegt. Weil ihr längst verstorbener Mann Eisenbahner war, hat sie ein Konto bei einer Eisenbahnerbank, jedenfalls hatte sie da schon das ganze Geld sicher angelegt.

Nach einem Jahr rief sie mich an, ich solle doch mal vorbei kommen, damit ich einen Blick auf den neuesten Kontoauszug werfen könne und ihr bitte dann versichern, dass das Geld auch wirklich und ganz bestimmt für ihre dereinstige Bestattung ausreicht.
Normalerweise ist das ja völlig überflüssig, aber Frau Weichselbauer wohnt in einem niedlichen kleinen Weiler vor den Toren der Stadt, wo außer ihr vielleicht noch 40 andere Leute wohnen. Also packte ich meine beiden Hunde ins Auto und bin mit denen da raus gefahren.

Erst gönnte ich den Hunden einen schönen, langen Spaziergang, dann fuhr ich zu Frau Weichselbauer. Schönes kleines Fachwerkhaus, eine Haustüre, bei der ich mich bücken musste und ein absolut toll und putzig eingerichtetes Häuschen. Was die alles gesammelt hat! Ich kann gar nicht beschreiben, was die alles herumstehen und an den Wänden hängen hatte, jedenfalls hätte es jedem Antiquitätenhändler Freude bereitet, dort mal auszuräumen.

Aber das Tollste war der selbstgebackene Apfelkuchen mit Schlagsahne, der Kuchen noch etwas warm, die Sahne frisch geschlagen, göttlich!

Allein schon dieser Kuchen wäre es wert, sogar alle drei Monate einen Blick auf ihre Kontoauszüge zu werfen! Aber das allein ist nicht der Grund, warum ich jetzt schon so oft in jeweils jährlichen Abständen bei ihr war. Frau Weichselbauer ist eine geborene Grünmann und der Name verrät schon ein bißchen über ihr Schicksal, sie ist Jüdin. Und in ihren Erzählungen kommt alles vor, das Berlin der 20er Jahre, ihre kleine Karriere als Theaterschauspielerin, die Anfänge der Judenverfolgung, die Deportation, Warschau, Auschwitz…

Nur die Lüge, Krankenschwester zu sein, hat sie überleben lassen, dennoch hat das KZ ihr lange Jahre den Lebensmut, eher noch die Lebensfreude genommen, auch lange Jahre nach der Befreiung. Ihre eigene Karriere, ihre berufliche Laufbahn hat sie danach nie wieder aufgenommen. Aber als Schauspiellehrerin und Sprecherzieherin war sie noch viele Jahre tätig und kennt in der Theaterbranche Gott und die Welt. Ich könnte ihr tagelang zuhören!

Da sie sich ja immer so auf meinen Besuch freut und nun schon seit ungefähr 12 Jahren meint, sie müsse sowieso bald sterben, sollte ich wirklich mal darüber nachdenken, ob man solche Kontoauszüge nicht sogar unbedingt monatlich kontrollieren muss.

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