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Glatzen

Wenn ich mal selbst die Tour fahre, dann fahre ich so früh wie möglich. Die Tour, das ist unsere morgendliche Fahrt zu den Krankenhäusern, um die Verstorbenen abzuholen. Das müssen wir nicht jeden Tag machen, montags aber fast immer. Im neuen Benz können wir den Ladeboden in die mittlere Position hochfahren und dann bekommt man vier Tragen rein. Vier Särge gehen nicht, die sind zu hoch, ist ja klar, aber so ohne Sarg ist der Mensch an sich ja eher flach, vor allem wenn er so vor sich hin liegt.

Heute waren es zwei, die zu holen waren und weil die Tagschicht der Fahrer fertige Särge zu den Friedhöfen bringen musste, hab ich die Tour gefahren. Das bedeutet, ich fahre zum Krankenhaus, direkt auf den Hof, wo die Leichenzellen sind, lade die Fahrtrage aus und suche mir aus den Kühlschubladen die passende Leiche aus. Für den entsprechenden Raum haben die Bestatter einen Schlüssel.
Die Lade ziehe ich heraus und schlage das weiße Leichentuch auf. Die Fahrtrage stelle ich dann auf die gleiche Höhe ein, wie die Lade und ziehe dann den Verstorbenen mit einem beherzten Ruck herüber. Der Verstorbene wird mit einem weißen Papierlaken abgedeckt, festgeschnallt und das Leichentuch des Krankenhauses wandert in eine extra dafür bereitstehende Box. Das kann man fast immer alleine machen, das geht ganz gut.
Im Totenbuch, das auf einem Regal an der Wand liegt, trage ich dann den Namen des Toten und unsere Firma ein, damit die vom Krankenhaus wissen, wer da wen geholt hat.
Anschließend geht’s in die Verwaltung, Leichenschaugebühren bezahlen. Das sind mal 70 Euro, mal 180, je nachdem.

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Ich fahre deshalb immer gerne ganz früh, weil dann die Leute in der Verwaltung noch frisch und ausgeschlafen sind, da darf ich Hoffnung haben, daß die beim Abstempeln der Quittung in die Hufe kommen und nicht beim Anhauchen des Stempels einschlafen.
Außerdem begegnet man so früh nur ganz selten irgendwelchen Kollegen. Die wollen dann immer quatschen und wissen „wieviel man hat“. Wir haben genug zu tun, ich bin zufrieden, muß nicht prahlen. Es ist aber vollkommen egal, was man sagt, die anderen haben immer doppelt soviel. Sagen sie wenigstens.

Heute bin ich gerade dabei ein altes Mütterlein auf die Trage zu ziehen, da fliegt die Tür der Leichenkammer auf und zwei Typen donnern mit einem Sarg auf einem Fahrgestell herein. Es sind die Fahrer eines anderen Unternehmens. Während die Leute von der Pietät Eichenlaub ja penetrant im grauen Hausmeisterkittel auftreten, sind für die Leute dieses Unternehmens schwarze Hose, weißes Hemd und Sonnenbrille vorgeschrieben. So muß es wenigstens meiner Meinung nach sein, denn diese „Blues Brothers“ treten immer so auf. Sogar unten in der Leichenkammer nehmen die ihre Sonnenbrillen nicht ab, ach was sind die cool!
Die Köpfe kahlgeschoren, kaugummikauend, immer ein spöttisches Grinsen auf den Lippen.
„Moin“, grinst mich die erste Glatze an, die andere tippt sich nur grüßend an die Stirn und sagt zu seinem Kollegen: „Ich geh mal Leichengeld abdrücken.“ Damit meint er, daß er schon mal in die Verwaltung geht, um das Leichenschaugeld zu bezahlen und die Sterbepapiere zu holen.
Der andere sucht sich seine Leiche, zieht die Edelstahllade heraus und hat dann auf einmal die Idee, mich anzuquatschen. Dazu setzt er sich auf den Rand der Lade mit seinem Toten, schnippt sich eine Kippe aus der Packung und steckt sich eine an. Während er da sitzt und grinsend raucht, scheuert sein Hintern immer an seiner Leiche herum, fast sitzt der dem Toten auf den Beinen.
So harte Jungs wie der, die haben auch immer die härtesten Geschichten zu erzählen. Voll die Verfaulten, die absolut Verstümmelten und die Opfer der abscheulichsten Verbrechen, das sind die Toten, die er und sein Kollege immer holen müssen. Das weiß sein Chef genau, erzählt er mir: „Für so spezielle Leichen kann der Alte nur mich und den anderen schicken.“

„Und was holen Sie heute?“ erkundige ich mich.

„“Hetzimfackt!“

Er sagt wirklich Hetzimfackt!

„Das ist ja mal wirklich was ganz Besonderes“, sage ich, nicht ohne spöttischen Unterton und schnalle mein altes Mütterchen fest.

Er tritt seine Kippe auf dem gekachelten Boden aus. Dann geht er zum Sarg, stellt das Fahrgestell eine Stufe tiefer. Nun nimmt er den Deckel ab und stellt ihn an die Wand. Aus dem Sarg nimmt er eine dünne Sargdecke und einen Papiertalar. Die Plastikverpackung von beidem wirft er in die Box mit den Leichentüchern. Als nächstes geht um die Lade mit dem Toten herum und gibt ’seiner‘ Leiche einen kurzen, kräftigen Stoß, sodaß sie etwa 30 cm tiefer in den Sarg purzelt.
Ich sage nichts, das hat keinen Zweck, ich kenne das von denen schon. Die Glatze beugt sich über den Sarg, zieht so am Leichentuch, daß der Verstorbene auf dem Rücken zu liegen kommt und klappt das Tuch dann auf. Es ist ein alter Mann. Sein Mund steht grotesk offen, die starren Augen blicken glanzlos an die Decke und sein Körper ist mit Jod verschmiert. Um die Lenden trägt er eine Windel und der auftretende Geruch zeigt, daß er die nicht umsonst trägt. Das Tuch stopft die Glatze einfach unter die Leiche und keine zwei Minuten später hat er dem Verstorbenen das hinten offene Totenhemd über die Arme gezogen, zieht es glatt und legt dann die Decke über den Verstorbenen.

Deckel drauf, Kippe an und er setzt sich auf den Sarg. Inzwischen habe ich meine Verstorbene ordnungsgemäß verpackt und will davonschieben.

„Nehmt ihr die alle mit zu euch?“ will die Glatze wissen.

„Nee, nicht alle“, sage ich wahrheitsgemäß. Es ist nämlich in der Tat nichts Ungewöhnliches, daß Verstorbene direkt im Krankenhaus zurechtgemacht und sogleich zum Friedhof oder gar ins Krematorium gebracht werden. Zu diesem Zweck hat die Krankenhausverwaltung in einem Regal ein üppiges Arsenal an diversen Hilfsmitteln aufgereiht. Gummihandschuhe, Kämme, Scheren, Einmalwaschlappen, Desinfektionsmittel, Alkohol usw.
Das reicht durchaus, um einen Verstorbenen anständig zu säubern und ansehnlich herzurichten. Den Ansprüchen vieler Angehöriger würde das sicherlich auch genügen. Aber so eine Schnellversorgung macht man üblicherweise nur, wenn der Tote sowieso nicht mehr angeschaut wird. Aber so eine Schnellversorgung ist auch das Mindeste, was man macht.

Ich halte davon nichts. Es kommt bei uns auch mal vor, daß wir so verfahren, aber die allermeisten Verstorbenen kommen zu uns ins Haus. Mein Wahlspruch: Jeder Verstorbene wird so behandelt, als wenn es meine Mutter oder mein Vater wäre. Und meine Eltern wollte ich ja auch nicht mit einem Papierwaschlappen notdürftig schnellversorgt wissen.
Außerdem will ich, daß jeder Verstorbene sauber, rasiert und frisiert im Sarg liegt, egal ob er aufgebahrt werden soll oder nicht. Wer stellt denn sicher, daß nicht doch ein Angehöriger noch zum Krematorium fährt und den Toten sehen will, auch wenn alle anderen sagen, daß das keiner machen will?

Die Glatze setzt ihrem Tun aber noch die Krone auf, indem sie meint: „So langsam wie ihr die Toten da herumschiebt, könnt ihr ja auf keinen grünen Zweig kommen. Der hier (er klopft auf den Sarg auf dem er sitzt) kriegt ne offene Aufbahrung und für ‚mit ohne Aufbahrung‘ mach ich in der selben Zeit fünf Steife fertig.“

Man müsste das mal mit der Handycam filmen und den Leuten, die zu diesem Institut gehen, vorspielen.

Mich stört zwar auch, daß diese Firma die Verstorbenen nicht richtig versorgt, aber das ist deren Sache, das müssen die mit sich und ihren Kunden ausmachen. Mich stört vor allem die pietät- und gefühllose Art und Weise, wie die mit den Toten umgehen und wie sie über die Toten reden.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#glatzen

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