Geschichten

Günther -XLVI-

Es gab überhaupt nur einen Menschen, der in der Villa Kunterbunt geblutet haben konnte. Günther hatte dem Bauarbeiter, mit dem er seine Frau im Bett erwischt hatte, ‚ordentlich was auf die Fresse gehauen‘. So stand es wörtlich in Günthers Vernehmungsprotokoll. Und von diesem Bauarbeiter mußte das Blut auf dem Handtuch in der Villa Kunterbunt stammen.
Das war Kommissar Petermann klar geworden.
Und wenn das Blut in der Villa Kunterbunt von diesem Arbeiter stammte, und wenn dann noch das gleiche Blut am Tatort zu finden war, ja dann lag es klar auf der Hand, daß eben dieser Bauarbeiter auch an diesem Tatort gewesen sein mußte.

Kriminalhauptkommissar Petermann war schon zu lange in diesem Beruf, um jetzt in Jubel zu verfallen. Wenn das alles so zusammenpaßte, wie er das glaubte, dann hatte er auch dann nur einen Beweis, daß dieser unbekannte Mann sowohl an dem einen, wie an dem anderen Ort gewesen war. Ob er auch der Täter war – das mußte erst ermittelt werden.

Petermann griff nach dem Hörer und leierte eine Fahndung an. Herausfinden, wer der Mann war, den Aufenthalt ermitteln, vernehmen. Nur so konnte es gehen.

Werbung

Die Gemüsefrau war die Erste, die feststellte, daß Frau Birnbaumer-Nüsselschweif aus dem öffentlichen Leben verschwunden war.
„Sonst ist die jeden Tag hier hereinstolziert und hat wieder darüber gemeckert, daß die Schlangengurken so kurz und dick sind, dabei hatte sie immer die Zucchinis in der Hand, und jetzt sieht man die Spinatwachtel ja gar nicht mehr. Ob die krank ist? Die soll ja auch die ganzen Ämter niedergelegt haben. Nicht mehr Vorsitzende vom Mütterkreis, aus dem Schwesternhilfswerk ausgeschieden… Na, wenn da mal nicht irgendwas dahinter steckt! Die soll sich ja angeblich operieren lassen, Fettabsaugen oder so. Aber da müssen die viel saugen. Ich hab ja auch gehört, die wär‘ in einer Klappsmühle gewesen. Und vielleicht ist ja was dran, daß die was Unheilbares hat. Der arme Mann, ich sag nur, der arme Mann! Aber daß die nicht mehr bei den Müttern ist, das ist mal nur gut. Ich sag‘ Ihnen jetzt was! Die war nämlich gar keine richtige Mutter. Einmal schwanger gewesen und dann nach der Fehlgeburt durchgeknallt. So, jetzt wissen Sie’s. Aber so’n bißchen Fettabsaugen könnt‘ mir auch nicht schaden. Hoffentlich hat die nix Ansteckendes, wo die doch immer meine Zucchinis angepackt hat. So, wer kommt jetzt? Wer ist jetzt an der Reihe. Das Schnittlauch ist ganz frisch.“

Die Wahrheit ist: Frau Birnbaumer-Nüsselschweif und ihr Mann hatten an den Fenstern ihres Hauses halbhoch undurchsichtige Folie angebracht, die Rolladen bis dahin herabgelassen und igelten sich ein. Die Dicke traute sich nicht auf die Straße, zu groß wäre die Schmach gewesen, wenn sie jemand auf den Mütterkreis oder das Schwesternhilfswerk angesprochen hätte.
Besonders darunter zu leiden hatte ihr Mann, der nun die Einkäufe und sonstigen Besorgungen zu erledigen hatte. Dazu mußte er aber zu einem Supermarkt in der Nachbarstadt fahren, denn auch er wollte nicht mit eine Schlagzeilenproduzentin wie der Gemüsefrau zusammentreffen.

Und da Luitgard Birnbaumer-Nüsselschweif es verabscheute, das Haus zu verlassen, nahm sie auch die weiteren Termine im Krankenhaus und beim Arzt nicht wahr und so kam es, daß sie von ihrem Nasenbeinbruch eine knorpelige Verwachsung auf dem Nasenrücken zurückbehielt, der ihr nicht nur in dieser Hinsicht das Aussehen eines Preisboxers verlieh.

Es sollte zwei, drei Jahre dauern, bis Luitgard Rüsselnas wieder auf der Bildfläche erscheinen würde, wie der Phönix aus der Asche. Aber bis dahin zumindest hat sie wahrscheinlich sehr gelitten. Gelernt hat sie aus dem ganzen Theater nichts, das kann ich sagen, aber insgeheim wünsche ich mir, daß sie wenigstens leidend Buße getan hat in dieser Zeit.

Günther und seine Töchter lebten nun nicht, wie manche es sich am Ende einer solch langen Geschichte wünschen würden, bis ans Ende ihrer Tage glücklich und selig, sondern Günther sollte noch viele Probleme mit seinen beiden pubertierenden Töchtern bekommen. Aber, und das erfüllt mich mit Genugtuung, es sollten nur die Probleme sein, die viele Väter mit frühlingsspringenden Töchtern haben. Einmal noch kam ihm das Jugendamt in die Quere. Frau Ströttinger war versetzt worden und ihr Kollege. Herr Sack, hatte nicht genügend ‚Darm im Arsch‘, wie Günther es ausdrückte, um sich bei seiner neuen Vorgesetzten durchzusetzen.
Wieder einmal war das Kindeswohl vorgeschoben worden, um dem biederen Mann zumindest mal anzudrohen, eine anderweitige Unterbringung seiner Töchter ins Auge zu fassen.
Da war ihm aber sein alter Freund Horst zur Hilfe gekommen. Ab und zu, vielleicht nicht mehr als dreimal im Jahr, kam Horst in seine alte Heimat und zu Günther zu Besuch. Als Horst erfuhr, daß das Jugendamt seinem Freund wieder Schwierigkeiten machen wollte, hatte er vorgeschlagen: „Dann werden wir eben schwul, Günni! Weißt Du, die machen Dir hier die Hölle heiß, obwohl kein Kind der Welt es besser haben könnte, als Ute und Monika bei Dir, und jede Asozialenfamilie darf zehn oder zwölf Kinder ins Hartz-IV-Elend hineingebären. Nee, dann sind wir eben ein schwules Paar und Du wirst sehen, kaum wissen die das beim Amt, lassen die Dich in Ruhe. Das ist ne neue heilige Kuh und die werden sie nicht schlachten.“

„Ich will aber nicht schwul sein“, hatte Günther protestiert und Ute, die das zufällig mitbekommen hatte, rief: „Du bist schwul? Ey, klasse!“

Die Zeiten ändern sich.

Aber Günther mußte keine schwule Lebensgemeinschaft begründen, irgendwie hatte sich Sozialarbeiter Sack doch durchgesetzt und, abgesehen von zweimal im Jahr stattfindenden unverbindlichen und folgenlosen Besuchen durch Leute vom Jugendamt, hat man Günther forthin in Ruhe gelassen.

Es war nicht so einfach, die von Kommissar Petermann aufgeriffene Spur zu verfolgen. Zwar wurde rasch klar, daß es sich bei dem Mann, mit dem Günthers Frau intim geworden war, um einen Betonfahrer jener Baustelle handelte, aber mehr, als daß das ein großer rothaariger Mann mit auffälliger Behaarung an Oberkörper und Armen gewesen sein soll, konnte zunächst nicht ermittelt werden. Jedenfalls stand für Petermann fest, daß die beiden Albaner Raban und Sokoll nichts mit der Angelegenheit zu tun gehabt hatten.
Petermann hatte Günther zweimal besucht und sich die Räuberpistole von Günthers und Leos Privatermittlungen nicht ohne Amüsement angehört.

Jedenfalls stand fest, daß es am Tatort und in Günthers Gartenlaube „Villa Kunterbunt“ Blutspuren gab, die weder zu Günther, noch zu dessen Frau gehörten.
Petermann mutmaßte, daß der Rotbehaarte nach dem Rauswurf durch Günther, wobei er „ein paar in die Fresse“ bekommen hatte, zu Günthers Frau in das Wohnhaus gegangen war. Dort muß es zu einem Streit gekommen sein, in dessen Verlauf die Frau zu Tode gekommen ist. So drückte es Petermann Günther gegenüber aus.

Sechs weitere Jahre mußten vergehen, bis dieser Fall endgültig gelöst werden konnte. Bei einer Kneipenschlägerei im weit entfernten Stralsund wurde ein Mann erstochen und bei der routinemäßigen Überprüfung der inzwischen zur Selbstverständlichkeit gewordenen DNA-Tests wurde eine Übereinstimmung mit dem Blut von der Villa Kunterbunt und dem Tatort ermittelt.
Der Tote war ein Skandinavier, rothaarig, behaart und aller Wahrscheinlichkeit der Mörder von Günthers Frau.

Und heute?
Ich fang mal mit der Fetten an.
Luitgard Birnbaumer-Nüsselschweif ist lange schon wieder da. Im Handharmonika-Verein ist sie Präsidentin und kümmert sich auch sonst wieder um alles und um jeden.
Die Zeit arbeitet für diejenigen, über die es was zu erzählen gäbe.

Monika ist Arzthelferin und lebt ledig in Köln. Ute ist verheiratet und wird im März kommenden Jahres ein Kind bekommen.
Thomas wird Zeit seines Lebens auf fremde Hilfe angewiesen sein, bedarf aber nicht mehr einer Betreuung rund um die Uhr. Als Mitglied einer „integrativen Wohngemeinschaft“ meistert er sein Leben und scheint glücklich zu sein.

Günther?
Nun, Günther habe ich vor drei Monaten zu Grabe getragen.
Die Feuchtigkeit und der Moder in der alten Villa Kunterbunt hatten seine Knochen und Gelenke schmerzen lassen, wogegen er Rheumamittel nahm, die wiederum hatten seine Nieren angegriffen und am Ende stand die Dialyse.
Es waren die Stunden auf der Dialyseliege, die Günther nutzte, um mir die ganze Geschichte noch einmal zu erzählen.

„Hab ich’s richtig gemacht?“ fragte er mich, als es ihm schon ganz schlecht ging. Ich habe seine Hand gehalten und genickt. „Klar, keiner hätte das besser machen können als Du!“

„Mann, was hab ich für’ne Scheiße durchmachen müssen.“

Wieder nickte ich, dann drehte Günther seinen Kopf zur Seite, er wollte nicht, daß ich sah wie er weinte.

„Tust Du mich beerdigen?“ fragte er.

„Du, ich mach das ja nicht mehr, aber ich verspreche Dir, daß ich mit dem Bestatter das alles so mache, wie Du es mir damals, als Du mit Deiner Herzgeschichte im Krankenhaus gelegen hast, gesagt hast. Kannste Dich drauf verlassen!“

Ich weiß, es ist nicht erlaubt, aber Ute und Monika und ich haben seine Asche auf dem hinteren Teil des Grundstücks verstreut, wo früher einmal die Villa Kunterbunt gestanden hat.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#Antonia #Büser #Sandy

Lesezeit ca.: 11 Minuten | Tippfehler melden


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)