Mitarbeiter/Firma

Guten Morgen!

Wo bekomme ich eine Schrotflinte her? Am Besten so eine abgesägte, mit der man ganze Türen aus dem Rahmen pusten kann! Ich will töten!
Es ist donnerstags, 6 Uhr und 15 Minuten, für die Ruhrpottler: Viertel nach Sechs, für die Ossis: Viertel Sieben, für die Doofen: 75 nach Fünf.

Jemand hat es gewagt, mich anzusprechen. Mich! Morgens!
Geh‘ mir weg!

Ich hatte noch keinen Kaffee, das ist mal das Erste, dann hatte ich auch noch keine Zigarette, das ist mal das Zweite und ich hatte weder Zeit zum Pullern, noch mir den Geschmack von vollgepisstem Katzenklo aus dem Mund zu schäumen.

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Nee, das geht gar nicht, ohne Zähneputzen geht das nicht. Punkt.

Irgendeine graumelierte Schicht aus Zement liegt über meinen Augäpfeln, meine Augenlider wollen gar nicht oben bleiben.
Ich bin noch so müde, aber sowas von müde…

Gestern erst um 20 Uhr aus dem Büro gekommen, dann entspannt mein Spielhöschen angezogen und vor den Fernseher gesetzt…
Mein Spielhöschen? Na das ist eine schwarze Jogginghose aus dem Discount, weich, flauschig und meiner Meinung nach für alle Anlässe, auch feierliche, sehr gut geeignet und außerordentlich kleidsam. Gut, meine Frau ist da anderer Meinung. Ihre Kommentare reichen von: „Mit dem Ding gehst Du mir keinesfalls vor die Tür!“ bis hin zu „Bei nächster Gelegenheit fliegt die in die Tonne.“
Ich finde sie gut, alle beide, meine Frau und die Spielhose und das sogar aus fast den gleichen Gründen. Aber das wäre zu schlüpfrig für ein gut geführtes Weblog mit gewissem Anspruch.

So saß ich also vor dem Fernseher, in meinem Glas perlte herrlichstes Mineralwasser (medium) und ich äffte gerade Fischfried Otter, den Dicken aus der Möbelwerbung, nach und legte ihm die Worte in dem Mund: „Besuchen Sie mal wieder Ihren Gynäkologen, den mit dem roten Stuhl“ da kam der erste Anruf.

Familie Knotz-Knierym hat den Tod ihrer Mutter zu beklagen und will sofort daheim beraten werden. Es seien gerade alle Geschwister beisammen und ich solle mich bitte beeilen, es seien alle Akademiker und man habe keine Zeit.

Die Geschwisterbande hatte ich schnell gewindelt und gewickelt. Mit einigen Sprüchen aus meinem unerschöpflichen Repertoire an erfundenen Sprüchen aus Phantasie-Latein (z.B. „Nile sinto romanum katelarum este“ oder „In merinam est qualifungur“, sehr beliebt ist auch „In africolam este sine sensum“) konnte ich den Damen und Herren Akademiker schnell den Schneid abkaufen. Man muß den Quatsch nur an der richtigen Stelle mit todernstem Gesicht und immer über die Brille hinwegblickend aufsagen. Keiner wird zugeben, daß sein Latein nicht ausreicht, um den Nonsens zu entlarven.
Immerhin hab ich auch mal studiert und das sogar mit ganz passablem Ergebnis. Aber ich mag keine Akademiker, die das ständig raushängen müssen, um zu zeigen, daß sie sich für etwas Anderes oder Besseres halten, als den Rest der Welt. Ich gebe aber unumwunden zu, daß mein großes Latinum auch für die Katz‘ war. Es hilft gelegentlich, aber ob der Aufwand sich gelohnt hat?

Nunja, die alte Mutter der Akademiker sei immer eine ganz bescheidene Frau gewesen und habe sich ganz gewiss eine ebenso bescheidene Trauerfeier, den billigsten Kistensarg und ein anonymes Grab gewünscht. Ja, alle nickten heftig, so sei es.

Obwohl an sich alles ganz schnell klar und unter Dach und Fach war, hatte man dann doch noch die eine oder andere Frage, noch eine und noch eine, alles Fragen die sich mit nicht zutreffenden Varianten der Bestattung beschäftigten. Zwei Stunden gingen drauf, noch ’ne halbe Stunde später war ich wieder bei meinem Spielhöschen.

Ich wollte gerade in das warme, weiche, kuschelige Höschen schlüpfen, da kommt meine Frau herein, legt mir einen unserer gelben Telefonzettel hin und zuckt nur mitleidvoll mit den Schultern.
Nach K-Stadt? Jetzt? Naja…

Ein alter Herr ist daheim verstorben, seine Frau sitzt ganz allein mit ihm und den Sterbepapieren in der Wohnung und braucht Beratung, Trost und jemanden der sich kümmert.
Herr Knorzen ist nur 70 Jahre alt geworden, seine Frau bedauert, daß er so wenig von seiner Rente hatte und die geplante Kreuzfahrt im Sommer nun nicht machen kann. Dafür will sie ihm eine Seebestattung gönnen, mit allem Drum und Dran. Fetter Sarg, Trauerfeier auf dem Hauptfriedhof, viele Blumen, großes Kaffeetrinken und später Beisetzung auf hoher See.
Manni kommt dazu, wir laden gemeinsam den Verstorbenen in den Bestattungswagen, ich bleibe noch eine Weile bei Frau Knorzen, sie hat Angst vor dem Alleinsein, ihre Tochter wird aber erst in zwei Stunden eintreffen. Ich bleibe auch noch diese Weile, helfe der alten Dame beim Bettbeziehen und beim Wegräumen der Pflegeartikel.

Um halb vier in der Nacht bin ich wieder zu Hause, falle todmüde ins Bett, meine Frau schläft schon.
Es dauert keine 10 Minuten und ich bin weg, sowas von weit weg…

Immerhin lassen die mich 45 Minuten schlafen, dann klingelt das Telefon. Es ist dienstlich, natürlich, und immer wenn es dienstlich ist, bin ich innerhalb von einer Sekunde sende- und empfangsbereit. Ein Mann von 45 Jahren ist im Krankenhaus verstorben, die Ehefrau will einen Termin für morgen Früh machen. Gut, ich erkläre ihr in kurzen Sätzen das weitere Vorgehen, am nächsten Morgen wird Sandy hinfahren und die Beratung machen.
Das Gespräch dauert nicht lange, aber ich kann anschließend nicht mehr einschlafen.

Im Wohnzimmer auf den 42 Zoll krähen mich zwei nackte Weiber, die in einer vollen Badewanne sitzen an und teilen mir mit, sie seien schon ganz feucht und ich soll sie unbedingt anrufen. Nee, ich mag nicht und zappe weiter. Auf dem nächsten Kanal schreit mich der Big-Brother-Jürgen an, ich soll endlich durchsagen, wie die gesuchte Automarke heißt, die auf OLKSWAGEN endet. Ein Heiko aus Görlitz ruft an und schreit „Fauwäh“ ins Telefon, im Studio macht es Boooäääääääng und Jürgen schreit: „Leider nein!“
Auf ARTE zeigen sie, wie man einen Baum umarmt, um Energie zu tanken und ich schalte weiter…

Es ist Viertel nach sechs als ich geweckt werde. Mit der Fernbedienung in der Hand sitze ich vor dem laufenden Fernseher und habe grauen Zement auf den Augenlidern.

Ich will töten! Wer wagt es, mich zu wecken?

Ein Kuß auf meine Stirn erlöst meine Augenlider von der Schwere. So ein zarter Kuß, von einem Wesen, das nach Himbeeren duftet. Ich öffne die Augen und schaue in die kolkrabenschwarzen Augen meiner Tochter.

„Papa, Du hast mir versprochen, mich zum Südbahnhof zu fahren, ich geh‘ doch auf Klassenfahrt.“

Kann man einem Himbeerkuß widerstehen?

Diese Geschichte ist Sabine H., der bekennenden Morgenmuffelin, gewidmet.

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(©si)