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Hanna und Ferdi IX

Eine Woche ist vergangen, es ist viel in der Firma passiert, ich hatte keinen Gedanken mehr an die Familie Tekopen verschwendet. Die Rechnung werden wir in ein paar Tagen rausschicken, ja und dann wird uns Herr Tekopen den Betrag überweisen.

Ich werde nie erfahren, wie es ausgegangen ist. Ich klappe die Akte zu und gehe nach vorne ins Büro um sie in den Kasten zu legen, von wo sie dann jemand wegräumen wird.

„Die können Sie gleich behalten“, sagt die Mitarbeiterin da vorne als sie den Namen auf dem Aktendeckel sieht: „Der Mann kommt jetzt jeden Augenblick, der will eine Danksagungsanzeige aufgeben.“

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So begibt es sich, daß ich kaum eine halbe Stunde später Herrn Tekopen gegenübersitze. Jetzt ist mir alles wieder gegenwärtig, jetzt weiß ich wieder ganz genau, was er mir alles erzählte und insgeheim scharre ich unter dem Tisch mit den Füßen. Doch Herr Tekopen gibt sich ganz geschäftsmäßig, spricht mit mir die selbstaufgesetzte Anzeige durch und ich merke, daß er von sich aus nichts herauslassen wird.
Ich vermute, daß ihm seine, durch die Trauer verursachte, lange Lebensbeichte inzwischen vielleicht etwas peinlich ist. Aber das kann er schließlich auch nicht machen. Erst erzählt er mir soviel und dann fehlt mir das Ende und ich weiß nicht wie es ausgegangen ist.

„Herr Tekopen, erlauben Sie mir die persönliche Frage, wie es mit ihrem Bruder Ferdi weitergegangen ist?“

Sofort hat er Wasser in den Augen und erzählt:

„Ferdi… ach, sie glauben gar nicht was mir das bedeutet hat, daß der gekommen ist! Ich hätte niemals damit gerechnet, gehofft habe ich es, aber ich habe nicht daran geglaubt. Nach der Trauerfeier habe ich meinen Sohn und meine Tochter mit den Trauergästen in das Lokal geschickt, wo wir bestellt hatten, dann habe ich Hanna und Aloys dazugerufen und wir sind mit Ferdi zurück in die Kapelle.

Dort roch es noch nach den Blumen von Inges Trauerfeier und wir setzten uns in die erste Reihe. Hanna ließ keine zehn Sekunden vergehen, dann zeterte sie los: „Daß Du es wagst hier aufzutauchen! Hast Du denn gar keinen Anstand?“
Und Aloys rief: „Was Du unserer Schwester angetan hast!“

Ich unterbrach beide: „Schluß damit!“

Wieviel Zeit vergangen ist, habe ich gar nicht gemerkt, es war fast eine Stunde. Aber die Zeit habe ich auch gebraucht, um alles erklären zu können. Hanna war fassungslos, Aloys hat nur auf den Boden gestarrt und Ferdi hat geweint.

„Franz“, hat er gesagt, „Du hast nicht nur Hannas Sachen geklaut, Du hast mir Jahrzehnte mit meiner Familie geraubt.“

Dann saß er da, schüttelte immer wieder langsam den Kopf und weinte. Ich kam mir so mies und dreckig vor und das Schlimmste war, daß mich dann alle anstarrten und stumm waren.
Erst war mir nicht klar, was sie wollten, dann merkte ich, daß ich vor lauter Richtigstellen es ganz versäumt hatte, mich bei meinen Geschwistern zu entschuldigen.
Aber was ist schon eine Entschuldigung? Man sagt da so einfach „Tut mir leid“ und dann ist man wieder sauber? Ich bin aufgestanden und zuerst zu Hanna gegangen, habe ihre Hand genommen und sie zu Ferdi herübergezogen. Dann habe ich auch seine Hand genommen, beide angeschaut und gefragt: „Verzeiht ihr mir?“

Hanna hat er störrisch geguckt, aber Ferdi hat gesagt: „Kinners, wir sind so alt geworden, so alt! Sollen wir die paar Jahre, die wir noch haben, in Streit verbringen?“

Aloys hat dann gerufen: „Los! Versöhnt Euch, das ist ja nicht zum Aushalten!“

Dann hat sich Hanna einen Ruck gegeben und hat gesagt: „Franz, ich werde niemals vergessen was ich heute erfahren habe, ich werde immer daran denken müssen, was Du getan hast, aber Ferdi hat Recht, die Zeit des Schweigens und der Ablehnung soll vorbei sein, ich verzeihe Dir.“

Ja und dann haben wir nochmal 20 Minuten gebraucht, bis wir fertig waren mit dem Heulen. Glauben Sie mir, ich habe Kopfschmerzen ohne Ende gehabt, die Trauerfeier, Ferdi, das peinliche Gespräch, die viele Heulerei…

Als ich meinen Geschwistern die Wahrheit gesagt habe, da wäre ich am Liebsten im Erdboden versunken. Wissen Sie, die haben mich all die Jahre immer bewundert, daß ich es so weit gebracht habe, daß ich so erfolgreich war und jetzt mußte ich eingestehen, daß mir der Start damals nur mit den Sachen meiner Schwester gelungen ist.

Naja, aus allen ist was geworden, letztlich ist meine Schwester Hanna immer noch die, die das meiste Geld hat. Und Aloys, der hat’s ja sowieso gut getroffen, Frau aus reichem Haus geheiratet, die hat viel geerbt und ist jung gestorben. Seitdem widmet der sich ganz der Kunst. Der kann in Geld baden… Nur Ferdi, der hat es nicht so leicht gehabt, glaube ich. Mich beschäftigt die Frage, ob es ihm anders ergangen wäre, wenn damals alles anders gelaufen wäre, ich finde aber keine Antwort auf diese Frage.“

Tekopen erzählt mir, daß er vorhat, den beiden Töchtern von Ferdi etwas zu vermachen. Mehr könne er nicht tun. Ferdi würde ja sowieso nichts annehmen, aber die Mädchen, die waren so lange im Waisenhaus, vielleicht kann er an denen wenigstens ein bißchen etwas gutmachen.

So, und ich ruf jetzt mal meinen Bruder an.


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Lesezeit ca.: 6 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 20. Mai 2008 | Revision: 28. Mai 2012

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