Ich glaubte dem Mann kein Wort. Auf der anderen Seite neige ich dazu, Problemen aus dem Weg zu gehen und will immer das Schöne und Gute in den Leuten sehen und so gab ich Manni abends den Wink, er möge in Bezug auf Alkohol doch ein waches Auge auf Herrn Horb haben, aber diskret bitte und ohne den Mann bloßzustellen.
Tagelang geschah nichts und weder Frau Büser kam und meldete eine Alkoholfahne, noch hörte ich von Manni etwas Diesbezügliches über Herrn Horb.
Na ja, dachte ich, siehste, war doch wieder nur übertriebene Vorsicht, wahrscheinlich ist da gar nichts dran und die ganze Geschichte würde sich in Wohlgefallen auflösen.
Grundsätzlich ist es ja so, daß um mich herum irgendwie alle saufen, nur ich nicht. Und dann werde ich oft so ein bißchen wie der Loser, der Lutscher, das Weichei und der Spiel- und Spaßverderber hingestellt.
Meine Güte, vielleicht ein- bis dreimal im Jahr ein Glas Cognac oder alle paar Monate mal den obligatorischen Ouzo beim Griechen… Sonst will ich gar keinen Alkohol.
Meine Frau trinkt ab und zu gerne mal was, Frau Büser schwört auf ihr „Viertele“ am Abend und Sandy, aua, aua, die kann zwei Flaschen „Hirschwasser“ (Jägermeister) wegputzen, ohne das man überhaupt eine Veränderung bemerkt.
Bei Antonia ist es so, daß sie wohl manchmal Sekt trinkt, wenn die Damen da vorne Geburtstag feiern und bei den Männern in der Werkstatt höre ich immer wieder, daß das ein erhebliches Argument ist, wenn es um die Verteilung der Wochenendbereitschaften geht: „Dann kann ich ja nichts trinken.“
Mir war Alkohol noch nie wichtig. Sagen wir es mal so, wenn es morgen keinen mehr gäbe, ich würde nichts vermissen.
Aber mir macht es auch nichts aus, wenn Leute Spaß daran haben, solange sie es nicht übertreiben. Was ich gar nicht mag, noch nie mochte und nie mögen werde: Wenn auf irgendwelchen Feiern um mich herum sich alles allmählich im Dunste des Rausches entgeistigt und ich irgendwie der Einzige bin, der das mitbekommt und der sich den Stuß den manche dann von sich geben, auch noch anhören muß.
Die Sache mit Herrn Horb geriet in Vergessenheit und Manni, der von da an jeden Fahrer mal zum Anhauchen aufforderte, immer hübsch spontan und ohne Vorankündigung und ohne Ausnahme, stellte auch diese Aktion irgendwann wieder ein.
Bis…
…ja bis eines Tages Herr Horb auf den Hof fuhr und den Volvo-Bestattungswagen in die Tiefgarage fahren wollte. Man muß nach dem Einbiegen auf den Hof erst ganz nach rechts steuern, bis man fast gerade auf die Mauer zu Herrn Nasweis-Lästigs Anwesen zufährt, dann scharf links einschlagen und genau dann hat man den richtigen Bogen, um mit dem langen Fahrzeug die Einfahrt in die Kellergarage zu schaffen.
Ich hörte an diesem Tag das elektrische Gitter vom Hof zur Seite fahren, ein etwas nerviges, metallisch-klapperndes Geräusch, und dann den Motor des Volvos viel zu stark aufheulen und dann machte es Bums.
Herr Horb hatte den Wagen frontal gegen die Nasweis’sche Wand gesetzt, trocken, stumpf und ohne viel Anlauf.
Manni war sofort oben auf dem Hof und brüllte herum, der Volvo war ihm wichtig und er behütete ihn stets wie ein Neugeborenes.
Jetzt war die dicke Stoßstange, die Volvos damals hatten, unter den Wagen gedrückt.
„Ach, du Scheiße!“ entfuhr es mir, der ich die Szene vom Fenster aus beobachtete und setzte mich nur kopfschüttelnd wieder auf meinen Sessel.
Wäre ich auch hinausgegangen, hätte ich mich nur noch mehr aufgeregt. Autos kann man reparieren, meine Nerven vielleicht irgendwann nicht mehr.
Manni würde irgendwann zu mir kommen und mir alles erzählen.
Doch nein, Manni kam nicht, sondern es wurde weiter lautstark diskutiert und ich hörte nicht nur Mannis Stimme, sondern auch die von Herrn Hob und die klang eindeutig nach der Stimme eines Besoffenen.
Und tatsächlich, als ich dann doch unten auf dem Hof ankam, stand Herr Horb neben dem Wagen, stützte sich mir steif ausgestreckten Armen am Wagendach ab und versuchte krampfhaft sich umzudrehen, um gerade vor Manni zu stehen. Das gelang ihm aber nicht, zu weich waren seine Knie, zu sehr hatte er mit der Schwerkraft zu kämpfen und mit hängendem, hochrotem Kopf und glasigen Augen lallte er, während im der Speichel aus dem Mund tropfte, daß das alles die Schuld der anderen wäre, der Heini habe doch Geburtstag und er könne gar nichts dafür, außerdem wäre die Wand gestern noch nicht da gewesen, man müsse mal das Auto kontrollieren, da seien die Bremsen kaputt und er habe nichts damit zu tun. „Nichts! Gar nichts! Ihr wollt mir nur was anhängen, ich bin noch ganz fit. Ganz fit bin ich, ich bin so fit! Guckt her!“
Und wieder versuchte er aus der abgestützten Haltung in eine Position zu kommen, die mehr nach aufrechtem Gang aussah. Nach vielen Versuchen gelang es ihm und schwankend, mit durchgedrücktem Kreuz blieb er stehen, während seine Halsmuskulatur nicht in der Lage war, den Kopf auszubalancieren.
Wieder mußte er mit einer Hand nach dem Auto greifen, faßte aber ins Leere und fiel seitlich gegen den Wagen, rutschte daran herunter und fing dann, auf dem Boden sitzend an zu heulen wie ein kleines Kind.
Immer wieder schmatzte und spuckte er die Worte: „Ihr wollt mir alle nur was anhängen!“
Inzwischen hatte ich mir den Schaden angesehen und war zu der Auffassung gelangt, daß das nichts Weltbewegendes war und schnell repariert werden konnte. Das ist das Wichtigste. Die Kosten sind ehrlich gesagt zweitrangig, die übernimmt die Versicherung – irgendwie…
Aber ein langer Ausfall des Wagens, das wäre eine Katastrophe gewesen.
Ich erinnerte mich an den Fall, da ein VW-T4-Leichenwagen einen Heckschaden hatte. Nun war aber ausgerechnet diese Heckklappe eine Sonderanfertigung und der Karrosseriemann hatte fast 14 Tage auf das passende Teil vom Bestattungswagen-Umrüster gewartet.
Ich warf Manni einen ernsten Blick zu und winkte ihn etwas zur Seite: „Es hat doch keinen Zweck, den jetzt auszuschimpfen, der kriegt doch sowieso nichts mit. Packt ihn in einen Wagen, bringt ihn nach Hause und dann schafft den Wagen in die Werkstatt. Vorsichtshalber macht mal ruhig ein paar Fotos, auch wie der da rotzend neben dem Auto hockt. Morgen sehen wir weiter.“
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Au weia. Ich hatte auf eine harmlose Auflösung des Ganzen gehofft, aber das liest sich leider gar nicht gut.
Als Volvo-Fan würden mich die Bilder sehr interessieren. Nicht von Herrn Horb, von dem Wagen natürlich.
Gebts zu, ihr habt extra die Mauer dahin gestellt und an den Bremsen gebastelt. Nur um den Antialkoholiker Horb loszuwerden. 😉
Oh nein, nicht der Volvo 🙁 der Horb gehört gefeuert, geteert und gefedert und anschließend nach für fünf Jahre nach Schweden geschickt, um dort Elchknoddeln aufzusammeln.
Absturz mit Ansage… 🙁
Prost kann man da nur sagen :O
Selbstverständlich ist es toll, einem kranken Menschenwieder auf die Beine zu helfen und nötigenfalls auch mal an Stelle eines Dankeschöns eine moralische Faust aufs Auge zu bekommen.
Ein Bekannter, der dieses Problem auch hat und seit vielen Jahren trocken ist, hat aber einmal zu mir gesagt, dass man einem Alki (gilt aber auch für alle Suchterkrankungen) erst helfen kann, wenn der erstens das auch zulässt, und wenn er zweitens wirklich ganz, ganz, ganz untern ist. Es klingt böse, aber offensichtlich ist es so, dass man erst richtig in der Sch… sitzen muss, bevor man irgendwann wieder aufrecht stehen kann.
Ja sicher, ganz unten sein erzählen viele. Ich finde das ist der größte Blödsinn den sich jemand ausgedacht hat. Es gibt immer einen guten Grund jemandem zu helfen und dann klappt es auch.
Der Grund ist, wenn jemand erkannt hat, dass er ein Problem hat und dieses lösen WILL (nicht möchte, ich möchte viel Geld gewinnen, ich möchte einen rosa Elefanten im Garten haben). Nein, er/sie muss es selber WOLLEN und dann wird das auch.
Die größte Dummheit wäre in solchen Fällen zu sagen: „Nö, warte noch bis Du ganz in der Schei… sitzt.“
Dies Ansichten sind veraltet, oder sollten es zumindest sein.
Jein. Ich hatte das leider in der Familie. Es ist tatsächlich schwer, zu entscheiden, was wann richtiger ist: Helfen oder abstürzen lassen.
Im besagten Fall war es so, dass jede Hilfe als vollständige Vergebung und sofortige Erlösung fehlinterpretiert wurde. Erst der sprichwörtliche Aufschlag ganz unten setzte Erkenntnisprozesse in Gang. Erst dann war eine ernstzunehmende Bereitschaft da.
Genau dann hätte besagte Person aber auch dringend wieder Hilfe gebraucht, doch ein Schicksalsschlag war schneller und alles war zu spät. Als Hinterbliebener fragt man sich dann den Rest seines Lebens: „Hätte ich nicht…?“ und „Wäre es nicht besser gewesen, wenn…?“
Eine eindeutige Antwort zu geben ist also wirklich schwer – ich tendiere aber zum (heimlich überwachten) Totalabsturz mit all seinen schmerzhaften Folgen und dem Schamgefühl.
Da gebe ich Dir zum Teil recht. Hauptsächlich meine ich ja, wenn jemand von sich aus merkt, ich habe ein Problem und um Hilfe bittet. Dann stehen die Chancen auch gut, dass es funktionert. Meiner Meinung nach ist hier das „Zauberwort“ Einsicht.
Leider hast Du recht, dass es gelegentlich zu spät ist. Ich kenne, ne, wohl eher kannte viele Uneinsichtige die vom Tod eingeholt und vom Bestatter abgeholt wurden. Manchmal kaum zu glauben wie schnell am Ersten der Letzte sein kann.
Ja und nein. Bei manchen kommt die Einsicht in die eigene Hilfbedürftigkeit tatsächlich erst mit dem Totalabsturz, es gibt aber auch genug Fälle, bei denen das früher einsetzt.
Wichtig ist m.E. einerseits zu akzeptieren, dass es sich um eine Krankheit handelt, die den Betroffenen die Kontrolle über seinen Konsum verlieren hat lassen, andererseits aber muss man das sich daraus ergebende negative Verhalten und die negativen Auswirkungen auf andere eben nicht akzeptieren. Man kann und darf den Betroffenen durchaus zeigen, dass einen das beeinträchtigt und dass man nicht bereit ist, es einfach hinzunehmen. Gerade dadurch kann (aber wird natürlich nicht immer) die Einsicht gefördert werden, dass mit dem eigenen Verhalten gegenüber dem Alkohol etwas nicht stimmt und man Hilfe suchen bzw. akzeptieren sollte, und das eben auch mal vor dem Totalabsturz.
Ich denke nicht, dass man immer warten sollte, bis jemand ganz unten angekommen ist. Aber leider muss man auf sich selbst achten, dass man nicht in eine Co-Abhängigkeit gerät, und das ist schwer genug, zumal, wenn man einen Menschen liebt. Den Zeitpunkt zu finden, wo man ihn loslässt und schlimmstenfalls auch dem freien Fall eben nach da ganz unten übergibt in der Hoffnung, dass es beim Aufschlag schlussendlich „klick“ macht, dürfte ganz schön schwer sein.
Habe jetzt ein paar Tage nicht vorbeigeschaut und bemerkt das ich meinen Kommentar wohl ein bisschen klarstellen muss, ich habe mich etwas missverständlich ausgedrückt. Wenn jemand krank ist und dieser Mensch einem nahesteht, etwas bedeutet oder man sonst glaubt etwas tun zu müssen, dann hilft man verdammt nochmal. Das ist ja klar. Ich habe auch schon einige Freunde Verwandte und Bekannte in Täler abstürzen sehen, welche ich gar nicht näher kennen will (die Täler will ich nicht kennen). Falls es die Möglichkeit gab, etwas tun zu können, war ich auch meistens da und meinen Teil beigetragen und erst anschließend gefragt ob es was bringt. Manchmal habe ich auch nur anderen den Rücken frei gehalten, damit die sich kümmern konnten. Meine Erfahrung ist jedoch wirklich das ernsthafte Hilfe erst dann möglich ist, wenn bei dem oder der Betroffenen die klare Einsicht herrscht, dass es sein könnte, das die nächst falsche Entscheidung vielleicht die letzte ist. Offensichtlich sind wir Menschen ein bisschen doof, und begreifen Konsequenzen für unsere eigene Person erst immer wenn es einen halben Schritt… Weiterlesen »
Wenn Herr Horb, sofern er wieder nüchtern ist, den Schuss hört, sprich Hilfe annehmen kann, wäre der Volvo ja wenigstens nicht sinnlos beschädigt worden. Da könnten die Fotos durchaus helfen.
Zur Frage. „Da muss einer erst ganz unten sein.“ Das „unten“ ist ja für jeden anders. Für den einen ist es der Verlust des Arbeitsplatzes, für den anderen muss auch noch die Familie kaputtgehen, während für dritte auch die Obdachlosigkeit noch nicht ausreicht, den Willen zur Umkehr zu finden.
Mir sagte mal ein Alki, der mehrere Rückfälle hingelegt hatte: „Am schwierigsten ist für mich, zu kapieren, dass bei mir im Kopf ein Schalter umgelegt ist, der nicht mehr zurückklicken wird, und der beim größten Teil meiner Umwelt nicht umgelegt ist.“ Ich denke, wir, die Umwelt, hat dieses Verständnisproblem auch oft.
Was ich gar nicht mag, noch nie mochte und nie mögen werde: Wenn auf irgendwelchen Feiern um mich herum sich alles allmählich im Dunste des Rausches entgeistigt und ich irgendwie der Einzige bin, der das mitbekommt und der sich den Stuß den manche dann von sich geben, auch noch anhören muß.
Darin erkenne ich mich wieder… und deshalb meide ich derartige Feiern.
Zu Herrn Horb: So ziemlich jeder Betrunkene ist der Ansicht, noch ziemlich fit zu sein. Bisher ist hier die Annahme einer Alkoholkrankheit ziemlich plausibel, aber noch nicht zwingend. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.
(Wenn alle, die hier am frühen Nachmittag ein wenig Rotwein im Atem haben, Alkoholiker sind – weia.)
Ich platze – wie so oft- vor Spannung auf die Fortsetzung! 🙂
Und ebenfalls wie so oft bewundere ich deine Ruhe und Geduld, Tom.. 😉