Geschichten

Im Wald

Wir erinnern uns, es gab da mal eine Zeit, da hatte noch nicht jeder ein Handy und es gab auch noch keine Navigationssysteme.
Wenn man das irgendwo hin fahren wollte, mußte man sich vorher Gedanken über den Weg machen und es gab tatsächlich so etwas wie Landkarten und Stadtpläne.
Nun sind Landkarten, Stadtpläne und die mit uns auf diesem Planeten lebenden Wesen, also die Frauen, nicht unbedingt kompatibel.
Ich will jetzt gar nicht auf der Linksgasthenie herumreiten, aber irgendwie ist doch was Wahres dran.

Das Telefon klingelt, es ist weit nach 23 Uhr und man hört schon den nächsten Tag durch das leise Atmen der neben einem schlafenden Ehefrau hindurch an der Türe kratzen.

„Ja!“ knurre ich unwirsch in den Hörer, bevor mir bewußt wird, daß ich ja Bereitschaft habe und mich eigentlich etwas freundlicher und auch mit Firmennamen hätte melden sollen.

Werbung

Aber ich war gerade eine Stunde im Bett und schon am Beginn einer Tiefschlafphase, da hat man dann nicht immer gleich die richtigen Begrüßungsfloskeln zur Hand.

„Ja, hier ist Frau Römer, ich steh‘ da im Wald.“

„Ach was!“

Ich habe keine Ahnung, wer oder was eine Frau Römer ist, weiß aber nun, daß sie im Wald steht. Ich will schon eine flapsige Bemerkung machen, da besinne ich mich abermals darauf, daß ich ja Inhaber eines seriösen Bestattungsinstitutes bin und mir keine Scherze am Telefon erlauben kann, dabei mache ich das doch so gerne…

„Ja, wie geht’s jetzt weiter?“

„Was geht wie weiter?“

„Ich soll doch zu Ihnen kommen.“

„Sollen Sie das? Wer sagt das?“

„Die Männer!“

„Aha, die Männer. So, so…“

„Ja, die schwarzen Männer.“

„Ihnen haben also schwarze Männer gesagt, sie sollen in den Wald fahren?“

„Blödsinn! Sagen Sie mal, wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Was kann ich denn dazu, daß Ihr Bestattungsinstitut irgendwo in der tiefsten Pampa liegt! Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich meinen Onkel von’ner anderen Firma abholen lassen.“

„Ach so, Sie sind Angehörige in einem Sterbefall?“

„Was dachten Sie denn?“

„Nix Besonderes. Und Sie wollen jetzt zu uns kommen?“

„Das sage ich doch schon die ganze Zeit! Jetzt stehe ich hier im Wald und komme nicht weiter. Das heißt, mein Wagen steht im Wald und ich stehe in der Telefonzelle. Die ist aber nicht weit vom Wald.“

„Frau äh…“

„Römer, Mechthild Römer, Mechthild mit E.“

„Ach was. Äh, Frau Römer, unser Unternehmen befindet sich weder in der Pampa, noch im Wald. Wir liegen ziemlich zentral, direkt am Friedhof.“

„Ihre Männer haben gesagt, ich kann heute Nacht noch zur Beratung kommen. Ich habe ja nicht ewig Zeit. Ich bin ja von München hier und eigentlich hieß es, der Onkel würd‘ schon am Montag sterben und dann hat er aber doch noch vier Tage gelebt und jetzt ist es Donnerstag…“

„…Fast schon Freitag…“

„…und da wollte ich alles mit Ihnen besprechen. Der Onkel soll verbrannt werden und die Urne dann ins Anonymengrab. Ich muß ja wieder nach München.“

„Aber jetzt stehen Sie im Wald.“

„Nein, in der Telefonzelle.“

„Aber Sie wollen zu uns ins Bestattungshaus.“

„Ja, die Männer haben gesagt, ich muß rechts, dann die Straße immer geradeaus bis es nicht mehr geht. Ja, und da bin ich jetzt, hier geht gar nichts mehr, hier ist nur noch Wald.“

„Können Sie nicht einfach den Weg zurückfahren, den Sie gekommen sind?“

„Komme ich dann zu Ihnen?“

„Das nicht. Ich weiß es zumindest nicht, da ich nicht weiß, wo Sie sind.“

„Ich auch nicht.“

„Was sehen Sie denn?“

„Ja Wald, sage ich doch schon die ganze Zeit.“

„Die Telefonzelle steht im Wald?“

„Nein, neben dem Wald, an der Bank.“

„Sie stehen vor einer Bank?“

„Ja sicher.“

„Ist denn da kein Straßenschild an der Bank und eine Hausnummer?“

„Das ist eine Bank zum Sitzen.“

„Ach so, dann ist da auch keine Hausnummer.“

„Nein.“

„Aus welcher Ortschaft rufen Sie denn an?“

„Ich war in B.-dorf, da bin ich jedenfalls losgefahren.“

„Das liegt doch aber direkt hier nebenan. Da gibt es keinen Wald. Wir sind hier mitten in der Stadt.“

„Erst war ja da auch kein Wald, dann bin ich immer geradeaus gefahren, so wie die Männer das gesagt haben, und dann war da auf einmal Wald.“

„Was ist denn um Sie herum?“

„Eine Telefonzelle.“

„NEIN! Ich meine, was sehen Sie vor sich?“

„Einen Telefonapparat.“

„Um die Zelle drumherum, meine ich.“

„Da ist es dunkel.“

„Wenn Sie aus der Zelle rausgehen, können Sie das Schilder, Häuser oder Lichter sehen?“

„Moment mal… Nein, da ist alles dunkel. Hier ist nur Wald.“

„Auf dem Telefonapparat in der Telefonzelle steht da irgendeine Straße oder ein Standort drauf?“

„Augenblick… Ja, hier steht was. Da steht ‚Öffentlicher Fernsprecher Nr. 919, Am Alten Forstweg, Schrägstrich, Parkplatz.“

„Alter Forstweg? Hm, das könnte überall sein, kenne ich jetzt nicht.“

„Warum haben sie keine Schilder aufgestellt?“

„Ich kann doch nicht überall in Deutschland Schilder aufstellen die zu meinem Institut weisen.“

„Ich meine ja auch nicht sie, ich meine die, also die die immer die Schilder aufstellen, so ein Schild daß man weiß wo man ist.“

„Und können Sie nicht die Straße wieder zurückfahren, die sie gekommen sind? Dann müßten Sie doch in bewohntes Gebiet zurückkommen.“

„Weiß ich nicht, ich bin nicht von hier.“

„Wenn Sie aber zurückfahren, können Sie vielleicht jemanden fragen.“

„Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?“

„Ja, 23 Uhr 44 Minuten und 23 Sekunden.“

„Witzbold!“

„Was?“

„Nichts.“

„Und jetzt?“

„Ich dachte, Sie könnten mir das sagen. Ist doch schließlich ihre Firma!“

„Das schon, aber ich weiß ja auch, wo ich bin.“

„Das habe ich bis vorhin auch gewußt.“

„Und wo war das?“

„Am Marktplatz.“

„Nun Marktplätze gibt es viele. Ich nehme an, Sie meinen den in B.-Dorf?“

„Nein, den anderen, den in der Ortschaft danach.“

„Die Ortschaft danach, das wäre hier und hier gibt es keinen Marktplatz und keinen Wald.“

„Das war ja auch bevor ich immer geradeaus gefahren bin.“

„Haben Sie Landkarten dabei?“

„Ja.“

„Vielleicht können Sie sich auf der Karte irgendwie orientieren, ich glaube Sie sind in die völlig verkehrte Richtung gefahren. – Hallo? – Hallooo! Sind Sie noch da? —“

„So, da bin ich wieder, ich hab die Karten jetzt geholt. Griechenland und Adria.“

„Was?“

„Andere hab ich nicht.“

„Gut, wissen Sie was? Setzen Sie sich in Ihr Auto und warten Sie, ich schicke Ihnen jemanden vorbei.“

Also bin ich runter ins Büro und dann in die Werkstatt. Dort treffe ich auf Manni und seinen Kollegen, die gerade den verstorbenen Onkel der Frau Römer abgeholt haben.

„Manni, ich brauche die Adresse!“

Dann haben wir vom Sterbehaus aus, den Weg zu uns auf der Karte angeschaut und direkt am Haus einmal links statt rechts genommen und siehe da, wenn man da immer weiter fährt, kommt man aus der Stadt heraus, wenn man dann noch nicht der Vorfahrtstraße folgt und immer weiter geradeaus fährt, ja dann landet man im Stadtwald der Nachbarstadt…

Eine Stunde später hatten wir Frau Römer aus ihrer misslichen Lage befreit.

Eigentlich doch gut, dass es heute Handys gibt.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)