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Langes Leben

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Am Freitag hatte ich ein nettes Wiedersehen. Nicht mit einem Menschen, den ich schon lange nicht mehr gesehen hatte, sondern mit einem Auto.

Im Jahr 1979 „lief“ mir dieses Auto das erste Mal über den Weg. Es handelt sich um einen ehemaligen Lieferwagen, der sehr aufwändig zu einem Bestattungswagen umgebaut worden war. Geräumig, praktisch und doch sehr würdevoll. Es gehörte einem Bestatter in der Stadt, in der ich damals lebte, und ich hatte Gelegenheit, dieses Auto näher anzuschauen und der damalige Besitzer versicherte mir sehr glaubwürdig, es handele sich um ein absolutes Einzelstück.

Es vergingen zwanzig Jahre und ich hatte diese Begebenheit schon längst vergessen, da bot mir ein Kollege aus den neuen Bundesländern ein Tauschgeschäft an.
Dazu muß man wissen, daß den Bestattern im Osten nach der Wende zum Teil übel mitgespielt worden ist. Die VEB- und kollektivgeprüften Ex-Genossen waren den gewieften Kaufleuten aus dem Westen in keinster Weise gewachsen und unterschrieben damals Verträge, die würde man unter anderen Umständen einfach als gemeine Frechheit bezeichnen.
Kurzum: In der Folge waren die meisten ihre Institute los, diese gehörten dann irgendeiner Kette und während die ehemaligen Besitzer heute erfahren dürfen, was Hartz IV bedeutet, reiben sich konzerngewinnorientierte Geschäftsleute in irgendeiner deutschen Großstadt heute die Hände.

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Nur ganz wenige haben es gewagt, aufzustehen und um ihre Existenz zu kämpfen. Einer von denen war jener Bestatter, der mit 1999 das Tauschgeschäft vorschlug. Er hatte den Kampf gegen den Moloch aufgenommen und es geschafft, die wenigen Bestimmungen des unterzeichneten Vertrages, die ihm Rechte zugestanden, so auszuschöpfen, daß er am Ende der Sieger blieb.
Dazu brauchte er Hilfe, die ein in der Branche sehr bekannter Mann leistete und auch Geld.
Über Umwege bin ich dazu gekommen, ihm damals 2.000 Mark zu leihen und zur Rückführung dieser Summe bot mir der Kollege an, mir 1.000 Mark in bar und einen Bestattungswagen zu geben.

Ja, und es handelte sich um genau diesen zum Leichenwagen umgebauten Lieferwagen, den ich zwanzig Jahre früher schon einmal gesehen hatte. Es war mehr Nostalgie, als tatsächliche Notwendigkeit, daß ich die alte Möhre genommen habe.
In der Folge leistete das alte Ding aber erstaunlich gute Dienste.
Drei Vorbesitzer hatte der Wagen bis dahin. Der erste Besitzer war der Bestatter, den ich schon kannte, der zweite war ein Bestatter aus dem Kieler Raum und der dritte dieser Bestatter aus dem östlichsten Osten, wo man schon fast Polnisch spricht.

Bei uns hat der Wagen fast 90.000 Kilometer Dienst getan, war immer im Einsatz, wenn es mal darum ging weite Strecken zu fahren, dann kam aber der Zeitpunkt, das war 2003, daß immer mehr Reparaturen notwendig wurden und wir den Wagen verkauften.
Verkauft haben wir ihn an einen Bestattungswagen-Hersteller, der ihn in Zahlung genommen und über seine Internetseite angeboten hatte. Damals ging der Wagen an einen Bestatter im Allgäu.
Mittleres Westdeutschland, Kiel, östliches Ostdeutschland, Allgäu… eine weite Reise!

Am Freitag sitze ich, auf Flucht vor der Parfümparty, in einem Biergarten und es kommt Kappes zu mir an den Tisch. Warum Kappes jetzt ausgerechnet Kappes genannt wird und wie er eigentlich richtig heißt, weiß ich nicht, aber er nennt sich mittlerweile selbst so. Kappes ist ein Allesreparierer und den kann man für alle Arten handwerklicher Arbeiten bestellen.

Ein neues Auto habe er und das sei doch für mich besonders interessant, weil das sei nämlich mal ein Leichenwagen gewesen.
Ich hatte nicht gesehen, mit was für einem Wagen Kappes gekommen war, da stehen so kleine Kübelpflanzen im Weg.
Wir sind also auf den Parkplatz gelaufen und ich habe mein Auto sofort wiedererkannt. Mittlerweile hat das Fahrzeug seine Gardinentafeln in den Fenstern eingebüßt, stattdessen sind dort jetzt gelbe Sichtblenden aus Holz. Es hat einen langen Dachgepäckträger und von den ehemals angebrachten Bestatterpalmen ist auch nichts mehr zu sehen. Stattdessen sieht man, daß der Wagen mal völlig anders beschriftet war, aber auch diese Schrift wurde entfernt. „deckerei“ kann man entziffern, vermutlich hat er also inzwischen mal einer Dachdeckerei gehört. Auch seinen Benzinmotor hat er eingebüßt, jetzt tuckert ein Diesel unter der Haube, aber es ist eindeutig der Wagen, den ich schon vor fast 30 Jahren das erste Mal gesehen habe.

Schade nur, daß die neuen Zulassungspapiere die Vorbesitzer nicht mehr aufführen, es wäre zu schön gewesen, zu wissen, wem der inzwischen gehört hat.

Kappes ist absolut glücklich mit der „Karre“. Er hat immerhin 1.200 Euro in Schweißarbeiten investiert, also mehr als doppelt soviel wie ich damals für den Wagen bezahlt hatte und er ist der Meinung, das Ding sei „unkaputtbar“, wenn er den in Schuß halte, könne der nochmal locker 12 Jahre halten.

Jetzt dient er zum Transport von Baumaterialien, Holz, Abflussrohren, Leitern und Werkzeug.

Ist doch erstaunlich wie lange so ein Auto halten kann, wenn es nur immer wieder repariert wird.

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#langes #leben! #Lektorin A

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(©si)