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Leichentourismus oder Vernunftfrage?

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Aktuell wird in Österreich das diskutiert, was in Deutschland schon lange Realität ist. Verstorbene, die eingeäschert werden sollen, werden nicht im nächstgelegenen Krematorium verbrannt, sondern in weit entfernten Anlagen, weil es billiger ist.

Diese Krematorien, die günstige Preise und auch Boni für Bestatter anbieten, sowie oft einen besseren Service, können an anderem Ort in Deutschland (bzw. Österreich) liegen oder auch jenseits der Grenzen in Tschechien oder den Niederlanden usw.

Oft regt man sich darüber auf, es handele sich dabei um einen gerne so genannten Leichentourismus und es wird auch gerne von Dumpingpreisen und unseriösem Verhalten gesprochen.

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Um es ganz klar sofort zu sagen: Bestatter, die den Angehörigen eine teure Einäscherung vor Ort verkaufen und dann günstig anderswo einäschern lassen, handeln betrügerisch.

Aber wenn die Angehörigen darüber informiert sind, spricht zunächst nichts dagegen, wenn kommunale Krematorien außen vor bleiben.

Schlecht ist das für die kommunalen Krematorien deshalb, weil ihnen wichtige Aufträge entgehen. Die Anlagen wurden in Hinblick auf eine bestimmte Bevölkerungszahl und Sterberate konzipiert. Nur wenn sie vernünftig ausgelastet sind, können sie zu erträglichen Preisen arbeiten. Sinkt die Zahl der Einäscherungen, bleiben aber die meisten Kosten gleich, müssen aber auf weniger Angehörige umgelegt werden. Ergo: Es steigen die Preise.

Nicht-lokale Anbieter punkten oft in erster Linie mit sehr günstigen Preisen. Da lohnt sich dann für den Bestatter auch der zusätzlich notwendig werdende Transport. Aber es sind nicht nur die Preise, sondern es ist auch oft der bessere Service. Warteräume für Bestatter mit Kaffee und Snacks, Mitnahme der Urne am selben Tag, bessere Öffnungszeiten (Annahme auch am Wochenende), Gestellung von Einäscherungssarg und Hemd und vieles mehr.
Die Vorteile fangen oft schon bei den guten Zugangs- und Parkmöglichkeiten an.
Das alles sind unterm Strich Vorteile, die die Bestatter überzeugen.

Der ganz große Knackpunkt sind aber die Kosten. Die Lebenseinstellung der Menschen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten geändert. You only live once YOLO und hau auf die Kacke, so viel es geht, man lebt nur einmal und ist immer jung…
Viele Dinge im Leben sind wichtiger, als die Beibehaltung alter Traditionen, „die einem nichts bringen“. Gedanken an das Alter und den Tod gehören nicht zum Lebensfokus der jüngeren Generationen und so etwas wie Vorsorge für später kommt in der Software viele junger Menschen gar nicht vor.

Alte, Ältere und Schwächere fallen bei dieser Betrachtungsweise leicht hinten runter. Das sieht man allenthalben. Viele Senioren fühlen sich inzwischen, als gehören sie der „Armee der Unsichtbaren“ an und werden nur als Verkehrshindernis noch wahrgenommen.

Es bleiben Respekt und Dankbarkeit für die Lebensleistung dieser Menschen oftmals auf der Strecke.

Aber, wie bereits angedeutet, ist es ein grundsätzliches Problem, dass den Bestattungsriten und der Bedeutung eines Trauerfalls nicht mehr der Stellenwert beigemessen wird, wie es früher einmal der Fall war.

Selbst wenn Leute beim Bestatter nicht den Eindruck machen, als müssten sie auf Teufel komm raus sparen, wird doch der Kostenaspekt obenan gestellt. Der Bestatter muss alles schön und richtig machen, es darf aber nicht viel kosten. Das hat überhaupt nichts mit einer Geringschätzung des Verstorbenen zu tun. Es ist auch nicht der Ausdruck von Geiz oder falscher Sparsamkeit. Nein, das entspricht dem Zeitgeist.

Urlaube, Freizeitaktivitäten, Autos, Unterhaltungsgegenstände und nicht zuletzt die lebenden Angehörigen stehen weiter vorn in der Liste der Prioritäten. Mit einer Bestattung wird eine Familie statistisch gesehen alle 10 Jahre konfrontiert, aber niemand möchte das haben. Bestattungskosten werden heutzutage immer als ärgerliche und unerwartete Ausgabe, die man gar nicht haben möchte, betrachtet.

Hier ist die Bestattungskultur einem großen Wandel unterzogen. In den Städten geht dieser schneller voran, als in ländlichen Gebieten.
Die Friedhöfe stellen sich derzeit bundesweit auf die neuen Gegebenheiten ein.

Immer mehr Menschen wünschen sich pflegearme oder pflegefreie Gräber. Dem Wunsch kommen immer mehr Friedhöfe nach.
Grabstätten, wie sie in den Vereinigten Staaten von Amerika üblich sind, bei denen nur ein Stein sichtbar ist, und sonst alles unter einem Rasen liegt, erfreuen sich mittlerweile auch hierzulande steigender Beliebtheit.

Je mehr sich also die Friedhöfe auf die veränderten Bedingungen einstellen, umso mehr werden sie auch genutzt werden.
Und je mehr die Krematorien ihre Situation überdenken und den Bestattern einen guten Service zu einem guten Preis bieten, umso mehr werden auch sie genutzt werden.

Von Leichentourismus mag ich in diesem Zusammenhang übrigens nicht sprechen. Tourismus ist eine Angelegenheit, bei der Erholungssuchende, Wissbegierige und Abenteurer neue Erfahrungen, Erlebnisse und Entspannung finden können.
Verstorbene bekommen nichts davon mit, ob sie nun 12 oder 120 Kilometer weit gefahren werden.

Wenn aber Menschen weite Strecken fahren, um die Hutzelmumie aus den Alpen oder einen angestaubten Mumienpitter aus Ägypten anzuschauen, das ist dann wohl doch eher als Leichentourismus zu bezeichnen.

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