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Lendchen

„Guck mal, hier gibt es frischen Spargel“, sage ich beim Betreten des Restaurants und deute auf die Tafel am Eingang.
Meine Frau verzieht das Gesicht: „Das ist aber mit Schweinelende und ich mag heute keine Schweinelende.“

„Dann iß doch was anderes.“

„Mach ich ja auch.“

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Also bestelle ich mir bei der netten Kellnerin einmal Schweinelendchen mit neuen Kartoffeln und frischem Spargel mit hausgemachter Sauce Hollandaise. Meine Frau blättert die Seiten der Speisenkarte im Zeitlupentempo um, studiert alles ganz genau und wenn ich das richtig bedenke, muß sie schon bei den Heißgetränken ganz hinten in der Karte angekommen sein. „Ach, ich weiß so gar nicht, was ich essen soll“, sagt sie und die Kellnerin nickt freundlich: „Dann schauen Sie mal ganz in Ruhe, ich komm‘ dann gleich nochmal.“

„Moment, warten Sie mal“, sagt meine Frau, aber nichts tut sich und so etwa eine ganze Minute später, die Kellnerin will gerade gehen, sagt sie dann: „Ich glaub‘ ich weiß was ich nehme.“
Die Kellnerin zückt Block und Stift und schaut ganz gespannt in Erwartung einer Bestellung, doch meine Frau fragt: „Wie sind denn die Rehmedaillons bei Ihnen?“
„Vom Reh halt“, sagt die Kellnerin, „Schön braun gebraten, mit dunkler Sauce.“

„Und was gibt’s dazu?“

„Entweder so, wie’s auf der Karte steht, also mit feinen Scheiben vom Serviettenknödel oder Sie können aber auch Kroketten, Kartoffeln, Nudeln oder Reis haben.“

„Ach, haben Sie keine Bratkartoffeln?“

„Doch, haben wir auch.“

„Dann nehme ich das Putenschnitzel Oriental mit Pommes.“

Ich weiß nicht wie das Gehirn einer Frau funktioniert, aber mir wird auf alle Zeiten verborgen bleiben, wie man sich minutenlang über die Beilage zum Rehmedaillon unterhalten kann, um dann plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung aufs Putenschnitzel Oriental umzuschwenken.

Als die Kellnerin weg ist, frage ich: „Warum hast Du denn das Putenschnitzel Oriental genommen?“

„Das kenne ich schon, das hatte ich schon mal.“

„Aha, und das Rehmedaillon…“

„Das hatte ich noch nie, da weiß ich nicht wie das hier ist.“

„Das hast Du doch aber bevor Du das erste Mal das Putenschnitzel Oriental genommen hast, vom Putenschnitzel auch nicht gewußt.“

„Das hatte ich doch aber schon mal.“

„Ja klar, aber irgendwann hast Du das doch zum allerersten Mal gegessen, oder?“

„Sicher.“

„Siehst Du, und genau da hast Du Dich doch auch auf das große kulinarische Wagnis eingelassen und ohne vorherige Erfahrungen einfach mal das Putenschnitzel Oriental genommen.“

„Och komm, spar Dir Deine gestelzten Sätze für Deine Leser auf. Ich will heute kein Reh.“

„Meinetwegen, mir ist es doch egal was Du Dir bestellst. Hauptsache, Du kommst nachher nicht wieder auf die Idee tauschen zu wollen.“

„Tauschen? Ich? Also sowas!“

Das Essen kommt, ich bekomme meine Schweinelendchen mit Spargel und meine Frau bekommt ihr Putenschnitzel Oriental. Wir wünschen uns guten Appetit, prosten uns nochmals zu und dann beginne ich mein Mahl. Meine Frau schiebt erst mal auf dem Teller alles hin und her, schneidet am Putenschnitzel irgendwas vom Rand ab und schiebt es angewidert an den Tellerrand. Dann salzt und pfeffert sie.
Wenn die anfängt nachzuwürzen, dann ist das quasi so, als würde ein normaler Mensch einfach die durchlöcherten Deckel der Gewürzstreuer abschrauben und den Inhalt komplett übers Essen schütten. Ich sag ja, die ungarischen Zigeunerwurzeln, die meine Frau so unter anderem hat, bekommen manchmal seltsame Triebe, ganz seltsame.

Sie schneidet was vom Schnutenpitzel ab und hält mir die Gabel vor den Mund: „Da, probier mal!“
Ich mache brav den Mund auf, lasse mir das Angebotene in denselben schieben und esse es. Ich bin schon so lange verheiratet, ich weiß, daß man als Mann nicht die geringste Chance hat, diesem äffischen Urtrieb der Frauen zu entgehen. Ich hätte sowieso nur die Wahl zwischen einer nicht enden wollenden Diskussion und schicksalhafter Ergebenheit.
Ich bin inzwischen soweit, ich ergebe mich ein paar Mal am Tag, meine Frau ist glücklich und abends fahr ich in den Elektroladen und kaufe mir irgendeine blinkende und völlig unnötige Kleinigkeit, um wenigstens ansatzweise meinen Jagdtrieb zu befriedigen.
Nun habe ich also probiert und dann geht das alte Spiel los. Ich genieße meine Schweinelendchen und den Spargel, nur meine Frau will sich so recht mit ihrem Putenschnitzel nicht anfreunden: „Was meinste, sollen wir nach der Hälfte tauschen?“

Gut, ich kenne das, ich könnte allein über das Essentauschen ganze Bücher schreiben. Wenn es nicht gerade irgendein gekochter Ziegenhoden in Aspik ist, lasse ich mich meistens darauf ein, denn auf diese Weise bekomme ich von allem was. Es ist nämlich so, daß meine Frau sowieso immer tauschen will, meine Tochter immer nur die Hälfte ist, weil sie mäkelig ist und mein Großer von der geldbedingten Magenzuschnürung befallen ist.
Diese heimtürkische heimtückische Krankheit äußert sich dadurch, daß man zu Hause von allem ungefähr eine Wagenladung vertilgen muß, um überhaupt nur ansatzweise satt zu werden und in einem Restaurant, dort wo es dann viel Geld kostet, vor allem aber bei all-you-can-eat, nur einen klitzekleinen Happen runterbekommt.

Nun gut, die Kinder sind dieses Mal nicht dabei, ich habe es nur mit einer Gegnerin zu tun, es ist aber die kampferprobteste von allen, meine liebe Frau.
Ich habe vielleicht ein halbes Scheibchen von einem der Lendenstückchen gegessen, nur eine Stange Spargel genossen, da meldet sie sich wieder: „Und, hast Du nun endlich die Hälfte gegessen? Ich will jetzt tauschen.“

„Noch ein bißchen, das schmeckt so gut“, sage ich und sehe, daß sie von ihrem Putenschnitzel bislang kaum etwas gegessen hat.

„Ja aber nicht mehr so viel essen, sonst ist der Tausch ungerecht!“

„Also gut, dann lass uns jetzt tauschen.“

Die Teller wechseln ihren Besitzer und ich mache mich über das Putenschnitzel her.
Das heißt ich hätte mich noch weiter darüber her gemacht, aber die Unmenge Pfeffer und Salz schnürt mir sofort den Hals zu und lässt mich nach meinem Getränk greifen.
Was kann ich tun?
Das Putenschnitzel Oriental hat alles Orientalische eingebüßt und ist zum Putenschnitzel „ungenießbar“ geworden. Ich könnte es essen und die Nacht auf der Intensivstation verbringen oder die Nahrungsaufnahme verweigern und würde dann Gefahr laufen, mit Sexentzug oder noch schlimmer mit Elektroladenverbot belegt zu werden.
Also greife ich zu einem altbewährten Trick: Ich tue so als ob ich esse, lobe das Putenfleisch, die Pommes und das Oriental und ignoriere meine Frau vollkommen.
Und wirklich, es dauert keine drei Minuten, da kommt von der anderen Tischseite: „So, jetzt habe ich Deins ja probiert, jetzt können wir wieder zurücktauschen.“

Schwups, schon hat sie ihren Teller wieder vor sich stehen und noch bevor sie es sich anders überlegen kann, esse ich meine Lendchen und den Spargel schnell auf.

„Warum schlingst Du denn so, bist Du auf der Flucht oder beim Essen?“

Nein, ich bin nicht auf der Flucht, ich bin verheiratet!

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(©si)