Frag doch den Undertaker

Meine Mutter sah fremd aus

Hallo Tom,
durch Zufall bin ich auf den Bestatterweblog gestossen und lese jetzt schon seit Tagen ganz fasziniert mit. Hilft, den Tod auch einmal „anders“ zu sehen.
Hätte auch eine Frage an Dich: Vor einiger Zeit ist meine Mutter gestorben. Nachts um 3 Uhr kam der Anruf vom Krankenhaus, wir sollten uns dann überlegen, ob wir meine Mutter am nächsten Morgen nochmal sehen wollten. Bin da ein bisschen vorbelastet und habe dies abgelehnt, wollte sie lieber „lebendig“ in Erinnerung behalten.

Für die Trauerfeier hatten wir ein Bestattungsunternehmen ausgesucht, mit dem auch eine etwas andere Bestattung möglich war, also ohne das grosse Kirchen-Tam-Tam, Ave Maria und das alles, mehr etwas Spezielles, ganz Persönliches … Unsere Beraterin dort war jedenfalls wunderbar!
Von Anfang an hat sie uns gesagt, wir könnten uns jederzeit umentscheiden und den Sarg vor der eigentlichen Feier nochmal öffnen lassen.
Eine nahe Verwandte wollte unsere Mutter dann unbedingt doch noch einmal sehen. Wir haben also vorsichtshalber unsere Beraterin angerufen und gefragt, wie Mama denn aussieht, ob man sie wirklich noch „gut“ ansehen könnte. Gar kein Problem war die Antwort.

Langer Rede kurzer Sinn:
Habe mich dann doch entschlossen, meine Mutter noch einmal zu besuchen. Mutter sah jetzt auch nicht „schlecht“ aus, sondern sehr friedlich, aber eben komplett anders, völlig fremd.
Nicht aufgedunsen, keine verzerrten Gesichtszüge o. ä., aber eben doch fast wie ein anderer Mensch. Hört sich jetzt blöd an, aber ich bin ein paar mal um den Sarg rum, um einigermassen eine Perspektive zu finden, in der ich sie „erkennen“ konnte. War nur im Profil möglich …

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Kannst Du mir sagen, woran das liegen könnte?
Meine Mutter war zu dem Zeitpunkt übrigens etwa seit 40 Stunden tot. Sie hatte im Krankenhaus Antibiotika bekommen und Mittel zur Blutverdünnung eingenommen, vielleicht lags daran? Aber wäre sie dann nicht eher aufgedunsen gewesen?

Vielen Dank schon mal vorab, die Sache geht mir nämlich so gar nicht mehr aus dem Kopf!

Viele Grüße
M.

Ich rate ja sehr häufig dzu, noch einmal Abschied vom Verstorbenen zu nehmen. Den Tod zu sehen, den Toten zu begreifen, das bedeutet auch den Tod zu begreifen und sich letztlich den Abschied zu erleichtern. Natürlich gibt es viele Fälle in denen man den Verstorbenen besser einfach so in Erinnerung behält, wie man ihn zu Lebzeiten gekannt hat. Die Gründe dafür können beim Toten liegen oder aber auch in der Person des Abschiednehmenden.

Viele Bestatter machen es sich zu einfach, scheuen den Aufwand des Herrichtens und raten vorschnell dazu, den Sarg geschlossen zu lassen. Andere Kollegen sehen nur die Euro, die sie bekommen können, wenn sie noch eine zusätzliche „kosmetische Behandlung“ etc. aufschreiben können und würden am Liebsten jeden Toten aufbahren.

Ich mache das stets vom Einzelfall abhängig. Letztlich kann man nahezu jeden Verstorbenen wieder „hinbekommen“, sodaß die Familie, wenn dort der fest Wunsch danach besteht, Abschied nehmen kann. Und andererseits liegen manche Verstorbene so friedlich und „schön“ im Sarg, daß man sie leicht vorzeigen könnte, wir raten aber trotzdem ab, weil wir sehen, daß die Hinterbliebene(n) das nicht verkraften würde(n).

Ob ein Toter nun schön aussieht, liegt natürlich auch im Auge des Betrachters und man darf nicht unberücksichtigt lassen, daß der Bestatter die meisten Menschen, die auf seinem Tisch landen, ja gar nicht kannte. Wenn dann keine guten Fotos vorliegen, muß er versuchen, das Beste daraus zu machen.

Zu Deinem konkreten Erlebnis und Deiner Frage:
Ein toter Mensch ist eben einfach tot. Du siehst Deine Mutter zum ersten Mal in Deinem Leben ohne jegliche Anspannung der Gesichtsmuskulatur. Die Schwerkraft zieht nach unten und der Körper hat dem nicht mehr viel entgegenzusetzen. Das Gesicht ist einerseits erschlafft und wird Dir deshalb schon einmal sehr fremd, aber auf jeden Fall anders vorkommen.
Außerdem verändert sich der Flüssigkeitshaushalt des Körpers. Einfach gesagt beginnen die Zellen ihre Flüssigkeit an das umgebende Gewebe abzugeben und langsam sinkt sie im Körper nach unten.
Das kann dazu führen, daß die Gesichter von Verstorbenen „wie gemeißelt“ aussehen. Die Gesichtszüge sind stark überbetont.
Das Kinn und die Mundpartie werden beim Lebenden von vielen Muskeln in Bewegung und in Position gehalten, bei Leichnamen will der Unterkiefer herunterklappen. Der Bestatter muß also etwas unternehmen, damit der Mund geschlossen bleibt. Durch diese Maßnahmen sehen Verstorbene zumeist um die Mundpartie anders aus, als zu Lebzeiten.
Bedenken muß man auch, daß Menschen oft Brillen, Perücken und Schmuck trugen, es verstanden, sich mehr oder weniger stark zu schminken und dergleichen. Im Sarg fehlt meist die Brille, die Haare sehen etwas anders aus und Schmuck und großartige Kosmetik gibt es meist auch nicht.

Tja und dann muß man sich einfach vergegenwärtigen, daß Menschen so eben nur aussehen, wenn sie tot sind. Das was Deine Mutter ausgemacht hat, ihre Herzlichkeit, ihr Lachen, ihr Wissen oder auch ihre negativen Eigenschaften, all das ist nicht in diesem Körper der da liegt, sondern in Euren Herzen und in Eurer Erinnerung. Was da liegt, das ist ein Leichnam, die sterbliche Hülle eines Menschen, die nun vergehen wird und bald nicht mehr da ist. Von ihr nehmen wir Abschied, weil wir auch die körperliche Nähe, das Beisammensein, das Eine-Mutter-Haben geschätzt und geliebt haben. Das wird jetzt nicht mehr da sein, das geht nun.
Das aber, was eine Mutter ausmacht, das was sie uns beigebracht hat, daß sie uns auf die Welt gebracht hat, das was sie erlebt und gelebt hat, das hat mit dem Leichnam nichts zu tun, das löst sich im Moment des Todes von der fleischlichen Hülle und dafür gibt es keine Urne und keinen Sarg; diese wertvollen Dinge -seien es nun gute oder schlechte Erinnerungen-, diese Erinnerungen, die kann man nur in einem Gefäß aufbewahren: im Herzen.

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(©si)