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Mona II

Fehler durch Lektorin Alexandra bereinigt.

Ich weiß nicht, was ich zu dem kleinen Mädchen sagen soll. Kommen Leute in den Himmel? Ist es denn wirklich wünschenswert, die Menschen alle wieder zu treffen? Ich schaue ihren Vater an, den hat die Frage umgehauen, er steht an der Küchentür und ihm kullern Tränen die Wangen hinunter.

„Papa, warum weinst Du? Kommt Mama denn nicht in den Himmel?“

Jetzt schaut er mich an, es kann doch aber nicht meine Aufgabe sein, auch noch die Trauerarbeit mit diesem Mädchen zu machen. Los Mann, mach was, sag endlich was, denke ich, doch der Mann sagt nur: „Keene Ahnung.“

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„Komm mal her“, sage ich zu Mona, setze mich an den Tisch und die Kleine setzt sich auf mein linkes Knie.
„Schau mal, ich weiß doch auch nicht, ob es überhaupt einen Himmel gibt. Das ist nämlich so: Wenn Menschen sterben müssen, dann gehen sie von uns und wir sind traurig, obwohl wir gar nicht wissen, wo die hingehen. Wahrscheinlich ist es da wo sie hingehen ganz schön und zwar so schön, daß ganz viele Menschen daran glauben und darauf hoffen, daß sie auch mal eines Tages dahin kommen. Und sie sagen zu diesem schönen Ort Himmel. Aber ob jemand wirklich dorthin kommt… Nee, das kann man nicht genau wissen. Denn so schön es dort auch sein mag, die Leute von dort können uns nicht erzählen, wie es da ist.“

Mona hört mir mit weit aufgerissenen Augen zu, sie riecht nach Erdbeershampoo und ein bißchen nach Kaugummi. Dann fragt sie: „Kriegt Mama die Flügel von Dir?“

Vielleicht habe ich in diesem Moment etwas hilflos geschaut, ich weiß es nicht, auf alle Fälle sagt das Kind noch: „Ich meine ja nur, wenn es vielleicht doch einen Himmel gibt.“

§Es gibt bestimmt irgendeinen Ort wo Deine Mama hingeht, aber das ist wie mit allem anderen auch, ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob man da Flügel bekommt oder ob man überhaupt welche braucht. Dort ist es bestimmt soviel anders als hier, daß wir uns das gar nicht vorstellen können und wenn man da fliegen kann, dann glaube ich, daß die das irgendwie besser gelöst haben, als ausgerechnet mit Flügeln.“

„Stimmt, Flügel sind unpraktisch, man kann dann gar nicht richtig in seinem Bett liegen.“

Einer unserer Fahrer erscheint in der Tür, bleibt höflich stehen, es ist das Zeichen für mich, daß sie fertig sind und die Verstorbene jetzt mitnehmen werden. Was mache ich? Soll ich dem Kind jetzt sagen, daß wir seine Mutter in eine Kühlkammer bringen, dann in einen Sarg legen und daß sie dann in die nasse Erde kommt? Wie erklärt man sowas einem Kind? Der Vater steht immer noch an den Türrahmen gelehnt, er wird mir vermutlich keine große Hilfe sein.
Ich kenne das anders. Normalerweise werden Kinder weggebracht, wenn der Bestatter kommt, das ist das eine Extrem. Im anderen Fall brabbeln die Erwachsenen ständig auf die Kinder ein, wollen sie in alles einbinden, erzählen oft den fürchterlichsten Quark und man merkt, daß dieses Gerede eigentlich weniger den Kindern dient, als den Erwachsenen selbst.

Irgendwas muß man den Kindern erzählen und sicherlich ist das einfacher, wenn ein alter Opa stirbt, weil allein schon das Alter einer gewisse Form der Begründung liefert. Aber bei einer jungen Mutter?
Der Vater am Türrahmen bemerkt, daß jemand hinter ihm steht und fragt unseren Fahrer: „Sind Sie jetzt fertig? Geht’s jetzt los?“

Der Fahrer nickt und schaut mich dann fragend an. In einem von den anderen unbeobachteten Moment gibt er mir ein Zeichen. Er deutet mit zwei Fingern zuerst auf seine Augen, dann in Richtung Schlafzimmer und hebt dann den Daumen. Erst verstehe ich nicht was er will, dann wiederholt er das Zeichen und endlich verstehe ich, er will mir anzeigen, daß jetzt die Möglichkeit bestünde, die Verstorbene noch einmal zu sehen.

Mann, die Kleine ist erst sechs und ich weiß nicht was ich ihr zumuten kann, warum sagt denn der Vater nichts? Das ist sein Job.

„Nehmt ihr meine Mama jetzt mit?“

Die Frage reißt mich aus meinen Gedanken und ich sage: „Komm, nimm Deinen Papa an der Hand, wir gehen jetzt zu Deiner Mama und sagen Tschüß.“

„Aber das ist nicht das letzte Tschüß! Der Papa hat gesagt, das letzte Auf Wiedersehen darf ich in der Kirche sagen und dann wird Mama ein Engel.“

Also hat der Mann doch irgendwas mit dem Kind besprochen. Nun denn.
Er nimmt seine kleine Tochter an der Hand und die beiden gehen, gefolgt von mir, in den Flur. Noch verdeckt der zweite Fahrer die Sicht, dann tritt er an die Seite.
Ich liebe meine Männer, wenn ich sowas sehe, ehrlich. Sie haben Kopfkissen und Decke aus dem Bett auf die Trage gelegt und die Frau darauf gebettet. Die graue Plane der Trage ist unten schon geschlossen und steht oben V-förmig offen. Die Hände sind gefaltet und die Frau sieht ganz friedlich aus.

Mona und ihr Vater stehen da, etwa einen Meter von der Trage entfernt und schauen auf die Mama.

Ich bin froh, daß meine Männer die Verstorbene nicht einfach nur aufgeladen und abtransportiert haben, sondern ein Gespür für die Situation haben. Sie schauen mich an, ich nicke ihnen auffordernd zu und einer öffnet die Tür zum Treppenhaus.
Man hört wie er Nachbarn verscheucht, die sich wohl neugierig im Treppenhaus versammelt hatten. Das ist immer dasselbe, entweder sieht man keinen einzigen oder sie sind irgendwie alle da, ganz zufällig versteht sich.

„So, jetzt müßt ihr Tschüß sagen. Ist ja jetzt erstmal nicht für lange und dann habe ich noch eine wichtige Aufgabe für Dich“, sage ich zu Mona. Das Tschüß kommt ihr schnell über die Lippen, ihr scheint es jetzt wichtig zu sein, was für eine Aufgabe da auf sie wartet.

Die beiden Fahrer machen die Trage nicht zu. Sie schließen nur den Sicherheitsgurt um die Brust der Verstorbenen, dann heben sie die Trage und tragen sie langsam aus der Wohnung. Der Mann und Vater geht in die Küche, ich höre ihn weinen. Mona nehme ich an die Hand und sage: „Komm, wir beide müssen jetzt im Treppenhaus den Lichtschalter bewachen und immer ganz schnell wieder Licht machen, wenn es automatisch ausgeht. Sonst können die beiden Männer nichts sehen.“

Mona ist aufgeregt, schaut immer auf die Lampe an der Decke, dann wieder ob ihr Finger noch auf dem Schalter ist und tatsächlich geht das Licht mit einem lauten Klack aus. Sie drückt auf dem Schalter, strahlt und schaut mich fragend an. „Gut gemacht“, sage ich.

Als ich höre, daß unten die Haustür zugeht, gehen wir wieder in die Wohnung und setzen uns zum Vater an den Küchentisch.
Der Mann ist fix und fertig, der hat genug. Es wäre Blödsinn, jetzt mit ihm die Trauerfeier durchzusprechen, obwohl er das ja eigentlich so wollte. Aber er scheint mir jetzt nicht der Typ zu sein, der irgendwie die Initiative ergreift. Deshalb sage ich: „Besser wir unterhalten uns morgen weiter.“
Er nickt müde und fragt: „Wie geht’s denn jetzt weiter?“
Glücklicherweise ist für Mona der traurige Zauber des Augenblicks vorbei und sie fragt: „Darf ich fernsehen?“
Eigentlich wäre es die Aufgabe des Vaters gewesen, etwas zu sagen, aber in diesem Fall kann ich nicht anders, nicke heftig und gebe ihr einen Klaps auf den Po, weg ist sie.

Der Mann ist leer, das sehe ich, deshalb frage ich: „Haben Sie irgendwelche Verwandten?“
„Meine Mutter, aber die ist schon alt, die kann uns auch nicht helfen.“

„Was haben Sie sich denn vorgestellt, wie es jetzt weitergeht?“

„Keine Ahnung, meine Frau war lange krank und Mona und ich haben schon fast ein Jahr gewußt, daß sie sterben wird, aber jetzt wo es soweit ist…“

„Was haben Sie Mona denn erzählt?“

„Ich habe gesagt, daß die Mama in den Himmel kommt und daß Sie das alles machen, damit es der Mama gut geht.“

„Und weiß Mona Bescheid, was auf dem Friedhof passiert?“

Er schüttelt den Kopf und sagt: „Ich hatte gedacht… Naja, ich hatte gedacht, Sie können ihr das vielleicht erklären… – und mir auch, ich weiß doch selbst nicht was passiert.“

„Gut“, sage ich, „dann kommen Sie morgen mit Mona zu uns. Ich will nur eine Sache von Ihnen wissen, nämlich ob ihre Frau eine Erd- oder eine Feuerbestattung bekommt.“

„Wir sind ja aus dem Osten, also meine Frau und ich, und da gibt es fast nur Feuerbestattungen, aber ich hätte lieber ein Erdgrab, geht das?“

„Sicher.“

„Was für einen Sarg bekommt meine Frau denn?“

„Den müssten Sie morgen dann noch aussuchen.“

„Das ist mir doch egal, ich kenne mich bei sowas doch nicht aus.“

„Dann überlassen Sie das uns, wäre das in Ordnung für Sie?“

„Auf alle Fälle. Ach ja, und noch was…“

„Ja?“

„Wegen dem Geld…“

„Darüber sprechen wir morgen, das wird schon alles irgendwie gehen.“

„Und noch was…“

„Ja?“

Er macht mit dem Kopf eine Bewegung in Richtung Wohnzimmer, von wo Fernsehgeräusche kommen: „Danke, wegen Mona.“

Ich nicke. Aber was hätte ich denn sonst tun sollen? Ich habe selbst Kinder.
Einen kurzen Blick werfe ich noch ins Wohnzimmer, Mona kniet ganz nah vor dem Fernseher und lacht über irgendwelche lustigen Männer. Ich sage bloß: „Tschüß“, sie schaut kurz zu mir, winkt, ruft „Tschüß“ und ich habe irgendwie das Gefühl, daß wir alles richtig gemacht haben.

Woanders hätte ich mich eine halbe Stunde mit den Leuten um die Frage „gestritten“, ob wir Bestatter die Verbrennungssärge nicht doch alle heimlich wieder abholen und mehrfach verkaufen. Hier habe ich weniger Zeit benötigt und habe trotzdem das Gefühl, mehr bewirkt zu haben.

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

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#Lektorin A #mona

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