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Nachts

Fehler durch Lektorin Alexandra bereinigt.

Nachts geht das Telefon und der erfahrene Bestatter weiß, daß er jetzt raus muß. Eben noch im Tiefschlaf, schnell das Gehirn auf Betriebstemperatur bringen, bloß nichts falsch machen.
Eine Beratung wünschen die Leute, es eile, man könne nicht warten.

Die Hausnummer! Bloß die Hausnummer nicht falsch aufschreiben, sonst irrt man später durch die Straße und sucht mit der Taschenlampe die Klingeln nach dem richtigen Namen ab. Man wird dann feststellen, daß ausgerechnet in dieser Straße noch vier Familien wohnen, die Krieger heißen. Und den Namen, am besten gleich nochmals nachfragen, sonst steht man später da.
Notfalls muß man dann vom Handy aus bei den Leuten anrufen und sich nochmal erkundigen.

„Krieger? Wir heißen doch nicht Krieger, unser Name ist Krieger mit ‚ü‘, wir sind Flichtlinge…“

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Sofort hellwach zu sein, das muß man erstmal können. Irgendwie schläft man in solchen Nächten, in denen man Telefondienst hat, nie so richtig gut und wenn man doch mal richtig gut schläft, ja, dann ruft einer an.
Eine Kollegin aus Niedersachsen erzählte mir einmal, daß sie seit zwanzig Jahren nur einen leichten Hundeschlaf kenne, immer mit einem Ohr aufs Telefon lauere und gar nicht mehr weiß, wie es ist, richtig tief und fest zu schlafen.

Wenigstens die Straßen sind leer. Mann wirklich, diese Straßen gibt es auch in leer und frei, die Ampeln blinken gelb, man hat freie Fahrt, nur vereinzelt trifft man auf andere Verkehrsteilnehmer. Jetzt bloß nicht der Ordnungshut über den Weg fahren, die haben nachts oft Langeweile.

Doch auch wenn die nachtschlafende Zeit in dieser Hinsicht ihre Vorteile hat, die Nachteile werden dann bei der Parkplatzsuche offenbar. Man findet keinen. Die Leute liegen alle in ihren Betten und ihre Autos stehen alle vor der Tür.
Hat man dann drei Straßen weiter eine Lücke gefunden, wird einem bewußt, wie schwer der Beratungskoffer eigentlich ist und so richtig merkt man das erst, wenn man japsend vor der Wohnungstüre steht.
Die wohnen immer oben, ganz oben und einen Aufzug gibt es nie!

Im Wohnzimmer wartet man auf mich, da ist es nur spärlich beleuchtet, die Sessel sind zu niedrig, der Tisch ist vollgestellt. Ich dirigiere in die Küche um und die Dame des Hauses wischt in vorauseilender Gründlichkeit noch einmal feucht über die Wachstuchtischdecke.
Das ist der Grund, weshalb unsere Mappen alle geriffelte Lederoptik-Einbände haben, die kleben nicht auf feuchten Wachstuchtischdecken fest. Da muß man auch erstmal drauf kommen!
Durst hätte ich ja schon, aber Kaffee kochen die Leute immer mit 700 Grad heißem Wasser und diskutieren ewig mit einem, weil man schwarzen Kaffee will. „Wie schwarz? Ganz schwarz? So ohne alles? Keine Milch? Keinen Zucker? Ganz ohne Milch und Zucker? Schwarz also? Wollen Sie nicht doch ein Schlückchen Milch? Mein Mann geht auch schnell runter in den Keller, da haben wir noch Büchsenmilch.“

Nein, ich nehme dann ein Wasser, ein ganz normales Wasser. Die haben sowas, wenn mal Besuch kommt, junge Leute wollen immer Sprudel. Die Flasche ist schon halbleer, steht im Gang hinterm Vorhang neben den Arbeitsschuhen des Mannes und im Glas offenbart das vor Jahren als Mineralwasser geborene Gesöff ein Aroma wie Spargelbrühe nach dem Körperdurchgang.

„Eilig? Nein wir haben es nicht eilig, wir hätten jetzt bloß sowieso nicht mehr schlafen können.“
Ich schon!

Ach nee, den Sarg den möchten sie dann doch lieber in echt sehen und kämen dann morgen zur ganz normalen Bürozeit in den Betrieb um den rauszusuchen, so auf den Bildern… nein, da kann man sich nicht entscheiden.
Und Papiere, nein Papiere hat man auch keine, die Verstorbene war ja schon lange etwas wunderlich, da muß man morgen erst mal in aller Ruhe danach suchen, wer weiß, wo die das Zeug hat!
Jetzt um diese Zeit Blumen und eine Sargdecke raussuchen, nein, dafür hat man keinen Kopf, das ist ja wie ein Überfall, damit hat man jetzt dann doch nicht gerechnet.
Den Text für die Anzeige will man sich auch erst ausführlich überlegen, den bringen sie dann vorbei.

Wann denn jetzt der Termin sei? Da muß ich passen, nachts geht da gar nichts…
Weshalb ich denn dann überhaupt gekommen sei?

Ja nee, weiß ich jetzt auch nicht.

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

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#Lektorin A #nachts

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(©si)