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No country for old men

Herr Fredebeul hat vor sechs Wochen seine Frau durch uns bestatten lassen. An sich ein ganz normaler Sterbefall, keine besonderen Vorkommnisse. Sehr dankbar zeigt sich Herr Fredebeul, weil wir uns um die ganzen Formalitäten kümmern und deshalb ist er mit dem Inhalt einer ganzen Schublade zu uns gekommen. Man glaubt ja nicht, wie viele Menschen Briefe gar nicht aufmachen, sondern einfach die Umschläge in irgendwelche Kisten legen.
Wir sitzen dann da, öffnen, lesen, sortieren und stellen manchmal erst nach Tagen fest, daß die nun sehnlichst erhoffte Lebensversicherung nicht zahlen wird, weil seit Jahren die Beiträge nicht bezahlt worden sind.

Bei Herrn Fredebeul ist aber mit den Unterlagen alles in Ordnung. Was mir Sorgen macht, ist ganz was anderes: Herr Fredebeul sieht heruntergekommen aus.
Als er das erste Mal zu mir kam, einen Tag nachdem seine Frau im Krankenhaus an einer Lungenentzündung gestorben war, kam er mir wesentlich gepflegter vor. Heute sitzt der pensionierte Oberstudienrat vor mir und hat sich nur das halbe Gesicht rasiert, trägt ein verknittertes, bis oben zugeknöpftes Hemd, hat die Krawatte vergessen und Jackett und Hose sind von unterschiedlichen dunkelblauen Anzügen. In seinem schütteren Haupthaar hat das Fett den Kampf gegen das Shampoo gewonnen und ehrlich gesagt: der Mann riecht ein bißchen muffig.

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Während ich das denke, wirft er mir ein paar Umschläge über den Tisch, beginnt zu weinen und beugt sich vornüber, bis sein Kopf auf den Armen auf dem Tisch liegt. Vom Weinen geschüttelt schluchzt er: „Bringen Sie mich auch unter die Erde, ich will nicht mehr… die Trude fehlt mir so, ich habe keine Lust mehr auf die ganze Scheiße, es ist alles einfach nur noch Scheiße. Was soll ich denn ohne sie hier? Was bleibt mir denn noch? 60 Jahre waren wir kaum einen Tag getrennt und jetzt liegt sie da in einem Sarg unter der kalten Erde…“

Der Mann tut mir leid, ich setze mich neben ihn, nehme ihn in den Arm und er läßt sich das gefallen. Er greift meine Hand, seine Tränen tropfen darauf und er sagt: „Wissen Sie, ich habe mich einfach fallen lassen. An dem Tag als wir damals geheiratet haben, habe ich mich fallen lassen in eine Geborgenheit, eine Liebe und eine Sicherheit, wie sie nur meine Trude mir geben konnte. Sie hat mir immer Halt gegeben und wegen ihr wußte ich, wofür ich lebe und wofür ich das alles mache. Jetzt ist’se weg – und wofür, wofür soll ich mich jetzt noch plagen? Dieser Halt, dieses Auffangen ist weg und ich hab‘ das Gefühl, immer noch zu fallen, in ein ganz tiefes, schwarzes Loch, nur ist da keine Trude mehr, die mich auffangen kann.“

Ich kenne dieses Gefühl nicht, Gott sei Dank! Aber ich kenne Männer wie Herrn Fredebeul, Männer, die vielleicht alles können, aber nichts mehr wollen, die sich aufgeben und ohne ihre Frau keine Lust mehr haben, weiterzuleben und sich wegen irgendetwas anzustrengen. Ich hatte hier im Weblog schon einmal über so etwas geschrieben, aber hier bei Herrn Fredebeul wird es mir wieder ganz besonders bewußt, welchen Halt auch mir meine Familie gibt, wie wichtig mir meine Lieben sind.

In meiner Software kommt ein Ableben meiner Frau vor mir gar nicht vor. Ich könnte mir überhaupt nicht vorstellen, daß die eines Tages nicht mehr da sein könnte… ich will gar nicht darüber nachdenken müssen, so schrecklich ist der Gedanke für mich.
Ich drücke Herrn Fredebeul an mich, ziehe mit einer Hand die Packung mit den Papiertüchern rüber und wir sitzen da endlose Minuten, während der alte Oberstudienrat in seinen Jackenärmel weint.

Viel werde ich ihm nicht helfen können. Die katholische Sozialstation werde ich mal anrufen, die wissen immer jemanden, der sich um solche Leute kümmern kann. Da wird ihm im Haushalt und bei den äußerlichen Sachen geholfen, aber die Leere in seinem Herzen bleibt wohl noch eine ganze Weile, vielleicht für immer.

Ich weiß ja nicht, wie andere Leute das sehen, aber so aus meiner Erfahrung würde ich ganz persönlich für mich sagen: Es ist besser, wenn die Männer zuerst gehen. Ob es nun an der Schwäche des männlichen Geschlechts liegt oder an der Stärke der Frauen, egal, ich habe den Eindruck, daß Frauen im Allgemeinen besser zurecht kommen als Männer. Der Schmerz wird wohl der gleiche sein, aber Frauen stehen das eindeutig besser durch. Finde ich.

Fehler durch Lektorin Anya bereinigt.

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#country #Lektorin A

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(©si)