Allgemein

Paket B

Frau Popinga (bitte auf dem i betonen) ist entsetzt. Mit einer kleinen Harke in der Hand und einer BILD-Zeitung unter dem Arm steht sie vor mir und weiß nicht wie sie anfangen soll. Zögernd kommt sie dann mit der Wahrheit heraus. Die Familie Popinga ist seit Ewigkeiten am Ort ansässig und ist recht weit verzweigt. In solch großen Familien kommt das Sterben dann immer in Wellen, immer wenn eine Generation reif für Schlafes Bruder ist, häufen sich die Beerdigungen ein paar Jahre, dann ist wieder Ruhe.
Bis in die 80er Jahre hinein waren wir der Haus- und Hofbestatter der Popingas und es war selbstverständlich daß wir jeden Toten dieser Familie beerdigten.

Wenn das so ist, dann ärgert es natürlich den Bestatter, wenn er eines Tages die Zeitung aufschlägt und sieht, daß wieder jemand aus dieser Sippe gestorben ist und er genau weiß, daß er den Auftrag nicht bekommen hat. Er fragt sich dann, was er wohl falsch gemacht hat, was die Familie zum Wechsel veranlasst hat und sieht das so ein bißchen wie einen Vertrauensverlust. Den Bestatter wechselt man nicht, wenn man da einmal zufrieden war, geht man da immer wieder hin. Jemanden bestatten zu lassen, das ist immer auch was Intimes, man offenbart Familienverhältnisse, Einkommensverhältnisse, kommt gerne mal ins Erzählen und will nicht alle paar Jahre mit neuen Leuten konfrontiert sein.

Werbung

Bei den Popingas war das aber so, auf einmal nahmen die immer einen Konkurrenten vom anderen Ende der Stadt. Auch ein gutes Unternehmen, sogar noch traditionsreicher und älter als unseres und mir nicht gerade als schlechtes Unternehmen bekannt. Natürlich laufe ich dann nicht Tag für Tag vor Zorn freiwillig gegen eine Wand und schlage in Verzweiflung meine Stirn an dieselbe, nur weil eben diese Popingas woanders hingegangen sind, aber immer wenn wieder eine Anzeige mit Kreuz in der Zeitung ist und der Name Popinga da auftaucht, fällt einem das wieder ein.

Jetzt steht sie da, die Frau Popinga, etwa 77 Jahre alt und sagt: „Ich bin ja sowas von entsetzt, das glauben sie gar nicht!“

Ich bitte sie zu mir ins Büro, helfe ihr aus ihrem Persianermantel (wer trägt denn sowas noch?) und biete ihr einen Sessel an. Sie nimmt diesen zum Gebrauch und einen Kaffee zum Verzehr und man sieht es ihr an, daß sie sich entspannt und froh ist, mal was erzählen zu können, was ihr auf der Seele liegt.

Ja, der Letzte den wir von ihnen beerdigt haben, das war der Friederich. Und anschließend habe ein Onkel beim Leichenschmaus sich abfällig über unser Haus geäußert, kein Mensch weiß mehr warum, und dann die Frage gestellt, warum man denn nicht zu dem Konkurrenten gegangen sei, er jedenfalls sei dort immer sehr zufrieden gewesen. Beim nächsten Todesfall, so ein Jahr später, habe der Onkel dann sogleich darauf hingewiesen: ‚Jetzt ruft ihr aber mal den anderen an!‘
So sei es zu dem Wechsel gekommen; der Kollege habe das nicht schlecht gemacht, nur sei er doch etwas teurer gewesen als wir, aber nicht so wahnsinnig viel teurer.

„Und was ärgert Sie jetzt so?“ erkundige ich mich und schiebe der alten Dame eine Schale mit original belgischen Plätzchen hinüber. Sie stippt diese in den Kaffee und erzählt: „Ja, stellen Sie sich vor, das sind gar nicht mehr die die sie mal waren, da ist alles ganz anders.“

Frau Popinga erzählt, daß dieses Traditionshaus, nennen wir es mal „Bestattungen Förstermann“ in der Stadt den Ruf habe, etwas teurer zu sein, aber eben auch das beste Haus am Platze zu sein. Wer etwas auf sich hält und sich hinterher nichts nachsagen lassen will, der geht zu Förstermann. So etwa die Hälfte mehr habe man dort für die Beerdigungen bezahlt, aber dafür habe man dann auch das gute Gefühl gehabt, keiner könne einem nachsagen, man habe noch am Tod gespart.
Vor sechs Wochen aber sei nun ihr Mann gestorben und im Vertrauen auf die gute Leistung habe sie wieder bei „Bestattungen Förstermann“ angerufen. Das Erste was ihr aufgefallen sei, war daß die Förstermanns nicht zur Beratung zu ihr nach Hause gekommen sind: „Obwohl die das in die Zeitung schreiben. Da steht immer ‚Beratung auch im Trauerhaus‘, aber da haben die sich gar nicht erst drauf eingelassen. ‚Ja sollen wir die Särge zum Angucken denn alle mit zu ihnen bringen?, hat der Mann am Telefon gesagt und gelacht. Stellen Sie sich vor, da liegt mein Mann noch im Wohnzimmer auf der Couch und der Mann am Telefon lacht!“

Ansonsten habe man sich aber korrekt verhalten, das müsse sie schon sagen, nur seien bei Förstermann jetzt alles andere Leute. Zuerst habe sie gedacht, das sei vielleicht der Sohn oder ein Angestellter und der richtige Herr Förstermann komme gleich, aber dann habe sie gemerkt, daß da nur noch Neue sind: „Und da weht jetzt ein ganz anderer Wind. Ich konnte gar nicht alles so aussuchen, wie das früher immer war. Die haben nur noch Pakete. So ein Paket das umfasst immer Sarg, Wäsche, Decke und das Drumherum und man muß aus A, B, C und D auswählen. Ich habe immer einen recht einfachen Sarg genommen, gerade schön genug, daß man sich nicht schämen muß, und dann habe ich da ein dickes Gesteck draufmachen lassen, dann sieht man den Sarg sowieso nicht mehr so genau.“

Das sei aber nun nicht mehr gegangen. Entweder sie nehme eines der Pakete und da seien die Deckelgestecke immer schon fix dabei, oder sie müsse einen Aufschlag Kauf nehmen, weil einzeln alles sowieso viel teurer wird.
Frau Popinga hat sich dann für Paket B entschieden, erklärte aber, daß sie immer bei Blumen Möller bestelle und der Mann habe gesagt, er will mal schauen, was er machen kann, das könne aber teurer werden und sie arbeiteten eigentlich immer mit einem ganz anderen Gärtner zusammen.

„Gewundert hat mich das Ganze schon, aber man kennt sich doch nicht so aus. Ich bin eine alte Frau und habe gedacht, das sei jetzt eben so, das sei die moderne Zeit und es gehe nicht anders. Dann hat der Mann alles ausgerechnet und mir eine Summe von 2.800 Euro genannt. Ich frage noch, ob das dann alles sei, ob da auch nichts mehr dazu käme und der Mann hat genickt und gesagt, es kämen allenfalls noch Gebühren für irgendwelche Stempel oder so hinzu, aber im Großen und Ganzen sei es das. Dann hat er mir einen Zettel zum Unterschreiben hingelegt und ich habe unterschrieben.“

Ganz anders als sonst, habe man von ihr verlangt, daß sie gleich am nächsten Tag 2.000 Euro als Anzahlung bringen müsse und erst auf der Quittung für diesen Betrag habe sie dann zum ersten Mal gesehen, daß da steht: „Bestattungen Förstermann, ein Unternehmen der Pietät-Eichenlaub-Gruppe“.

Das ist selbst mir neu, denn Bestatter kümmern sich für gewöhnlich nicht viel umeinander und der Pietätwarenhändler, der immer mal wieder zu uns ins Haus kommt und den neuesten Klatsch und Tratsch aus der Branche mitbringt, war schon eine Weile nicht da, er hat Herzprobleme, schont sich und lässt seinen stotternden Sohn alles machen, mit dem ich mit aus Zeitgründen nie lange unterhalte.

Letztendlich sei es so gewesen, daß die Beerdigung so ganz und gar nicht nach ihrem Geschmack abgelaufen sei. Der Sarg, da sei sie ganz sicher, sei auch ein bißchen anders gewesen als auf dem Bild und das Gesteck wäre überhaupt nicht von „Blumen Möller“ gewesen, wo sie doch schon seit Jahren immer bestellt, sondern das habe ausgesehen, als hätte das irgendeine Bürokraft eben selbst zusammengesteckt, lieblos, alles nur in Grün, wie ein schlecht gebundener Blumenstrauß von der Tankstelle. Beim Kondolenzbuch sei auch niemand dabei gewesen, das habe einfach auf einem Pult vorne gelegen mit einem Kugelschreiber an einem Stück Paketschnur. Das sei ja wohl völlig normal, erzürnte sich Frau Popinga, daß da jemand dabei steht und nach dem Rechten schaut, die Seiten umblättert und den Kondolierenden den Schreiber reicht.

„Es sind ja nur alle so Kleinigkeiten, aber alle zusammen haben mich schon sehr geärgert. Aber das dicke Ende kommt noch. Denn als ich dann gleich am nächsten Tag nach der Beerdigung die Rechnung bekommen habe, da bin ich ja aus allen Wolken gefallen. Statt 2.800 Euro sollte ich 4.200 Euro bezahlen. Sogar die Griffe für den Sarg haben die einzeln berechnet.“

Sie hat dann dem Bestattungshaus einen Besuch abgestattet und dort die Rechnung vorgelegt. Der Mann sei nicht da gewesen, aber eine junge Frau. Die habe sich die Rechnung und ihre Akte genau angesehen und gesagt, da könne man nicht machen, sie habe schließlich ja selbst gesagt, daß sie individuell aussuchen will und keines der günstigen Pakete. Wenn man individuell rechnet, dann kommt das eben alles teurer.

Ja, aber sie habe doch gar nichts selbst ausgesucht… Doch, doch, doch, die Blumen auf dem Sarg, da habe sie was anderes gewünscht und sei damit vom Standardpaket B abgewichen. Das müsse man dann rausrechnen und das ginge im Computer nicht. Paket ist Paket und wer davon abweicht, der nimmt in Kauf, daß jeder einzelne Artikel nicht mehr zum günstigen Paketpreis sondern ganz normal einzeln abgerechnet wird.

„Aber die Blumen waren ja noch nicht einmal schön! Die waren bestimmt nicht von Blumen Möller.“

„Beim Paket B gehört eine kleine Kunststoffschale mit Dauerblumen dazu, die kann man hinterher hübsch aufs Grab stellen. Warten Sie mal, ich schau mal nach“, hatte die junge Frau gesagt, etwas auf der Tastatur ihres Computers herumgetippt und dann sagte sie: „Ja, ich sehe schon. Sie hatten tatsächlich angegeben, daß das Blumen Möller sein soll, aber wir haben ein großes, üppiges Gesteck bei unserem Vertragsgärtner machen lassen.“

„Das war aber gar nicht schön!“

„Na, dann machen wir das jetzt ganz einfach, ich ziehe Ihnen 120 Euro für das Blumengesteck ab und den Rest zahlen Sie.“

Frau Popinga hat bezahlt.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#paket

Lesezeit ca.: 12 Minuten | Tippfehler melden


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)