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Pflege: Morde bleiben unentdeckt

Durch mangelhafte Leichenschauen bleiben in Deutschland viele Tötungen unentdeckt.

Menschen werden heute viel älter als noch vor ein oder zwei Generationen. Viele alte Menschen bleiben bis ins hohe Alter fit, mobil und dem Alter entsprechend gesund.
Doch mit der gestiegenen Lebenserwartung einhergeht auch eine gewachsene Zahl von Pflegefällen, verursacht durch körperliche oder geistigen Ursachen.

Dank guter ärztlicher Versorgung und vor allem dank der Pflegedienste und der Versorgung durch Angehörige kann vielen Pflegebedürftigen ermöglicht werden, zu Hause gepflegt und versorgt zu werden.

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Doch was zu Beginn der Pflege nur einen stundenweisen Einsatz erforderlich machte, kann sich im Laufe der Zeit zu einem Vollzeitjob auswachsen. Muss der alte Mensch anfangs nur beim Essen unterstützt werden, kommt möglicherweise die Hilfe beim Toilettengang und später die Rundumversorgung eines dauernd Bettlägrigen hinzu.

Das stürzt die Angehörigen oft in eine tiefe Verzweiflung und bedeutet nicht zuletzt auch enorme finanzielle Einbußen. Der eigentliche Beruf kann unter Umständen nicht mehr ausgeübt werden, jegliche Freizeit geht verloren, die Inanspruchnahme dauert rund um die Uhr und der mitanzusehende geistige und/oder körperliche Verfall des zu Pflegenden belastet zusätzlich sehr stark.

Früher oder später kommt es oft zu einer Loslösung von der Person des Betreuten durch die Angehörigen. Ich hörte schon oft Sätze wie: „Das da, das ist nicht mehr mein Vater“ oder „Von meiner Frau habe ich mich schon vor einem Jahr verabschiedet, das dort ist nicht mehr meine Maria.“

Mit zunehmender Pflegedauer wird der Gepflegte zur Belastung. Aus einem ehemals geliebten Menschen, mit dem gelacht, gescherzt, gestritten und Meinungen ausgetauscht wurden, ist ein sabbernder und sich unentwegt in Kot wälzender Fremder geworden, der schreit, weint, ständig ruft und so gar nichts mehr mit dem früher Gekannten zu tun hat.

Ich kann hier aus vielfacher eigener Erfahrung berichten. Gemeinsam mit meiner Frau habe ich meinen Vater und meine Mutter bis zum Tode betreut und gepflegt. Ich habe immer schon ältere Menschen betreut und kann natürlich auch auf über 60 Jahre Erfahrung in Familie, Bekanntenkreis und nicht zuletzt im Bestatterberuf zurückgreifen.
Kaum jemand sieht die abschließende Pflegesituation, die Verstorbenen und die Angehörigen so intensiv, wie ein Bestatter.

Was meine verstorbenen Angehörigen anbetrifft, so hatten sie und wir das Glück, dass sie bis zuletzt bei klarem Verstand waren und schließlich friedlich eingeschlafen sind.

Wenn aber nach mitunter Jahren der Pflege Pflegepatienten als große Belastung empfunden werden, mag bei dem einen oder anderen Pflegenden der Gedanke aufkommen, sich und den Gepflegten von der Last zu befreien.

„Ach, wenn der Liebe Gott sie doch endlich holen würde, das wäre doch das Beste“, sagte ein Mann zu mir.
Eine Frau sagte einmal: „Manchmal röchelt er nachts so und erstickt fast. Was meinen Sie, wie oft ich schon gehofft habe, dass es doch endlich mal passiert, ich kann nicht mehr.“
Und ganz drastisch formulierte es eine jüngere Frau: „Die Mutter wühlt immer das ganze Bett durch und oft liegt sie mit dem Kopf unterm Kissen oder Deckbett. Ich hab schon oft gedacht, jetzt musst Du nur das Kissen etwas andrücken und dann ist Ruh‘.“

Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber in gewisser Hinsicht kann ich die Menschen verstehen.

Was ich beobachtet habe: Oft beginnt es mit einer gewissen Pflegevernachlässigung. Da wird nicht regelmäßig geschaut, dass der Gepflegte ausreichend trinkt; und allein das kann schon fatale Auswirkungen haben.
Das geht dann über nicht mehr genügend gegebene Nahrung bis hin zum Entzug von Medikamenten.

Ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass alte Menschen in einer Art Wandschrank/Speisekammer auf einer Matratze auf dem Boden verstorben sind. Die Kammer bot nicht einmal genügend Raum, dass der Mensch sich hätte ausstrecken können.
Ich habe bedauernswerte Geschöpfe gesehen, die auf kleinen Wohnzimmersofas am Polstermaterial festgeeitert waren.

(In diesen beiden und anderen Fällen wurde die Polizei eingeschaltet, ich weiß aber nicht, was daraus geworden ist.)

Wenn ein Mensch gestorben ist, muss ein Arzt den Tod feststellen und bescheinigen. Das kann jeder Arzt tun. Meistens wird es der behandelnde Hausarzt sein, zu dem man eine Beziehung und Vertrauen hat.
Die Leichenschau, die der Arzt oder die Ärztin durchführt, beinhaltet, dass erst einmal die räumlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Der Arzt benötigt etwas Platz und eine gute Beleuchtung.
Dann muss der Leichnam vollständig entkleidet werden. Anschließend untersucht der Mediziner die gesamte Körperoberfläche inklusive Haare und schaut in alle Körperöffnungen. Selbst kleinste Verletzungen, blaue Flecken und sonstige Auffälligkeiten müsste er notieren.
Abschließend kommt er dann zu der Entscheidung, ob eine natürliche Todesursache vorliegt, oder ob Zweifel bestehen, bzw. eine eindeutige nicht-natürliche Todesursache vorliegt.

Man kann sich leicht vorstellen, dass eine solche Untersuchung selbst für einen darin geübten Arzt bei schnellster Abwicklung mindestens 20 Minuten, eher länger dauert.

Ich war bei sehr vielen Leichenschauen zugegen bzw. in der Nähe. Das kommt u.a. daher, dass Angehörige manchmal voreilig den Bestatter rufen, wenn der Arzt noch gar nicht da war. Der kommt dann erst, wenn der Bestatter schon mit den Angehörigen zusammensitzt.

Aus eigener Anschauung kann ich sagen, wie Leichenschauen oft genug ablaufen.
Der Arzt kommt, meist geschäftsmäßig und eilig, oft aus dem Schlaf gerissen, manchmal auch sichtbar genervt. Er drückt sein Beileid aus und geht zum Sterbebett. Dort öffnet er seine Tasche, entnimmt die auszufüllenden Papiere und beginnt dann die Leichenschau.
Er leuchtet in die Augen, hört mit dem Stethoskop den Brustkorb ab, tastet nach dem Puls und wenn er es gut macht, dreht er den Verstorbenen etwas auf die Seite und zieht hinten das Hemd hoch, um den Rücken zu betrachten. An der tiefsten Stelle des Körpers sollten sich zuerst Leichenflecken bilden.
Der Arzt prüft auch noch, inwieweit die Leichenstarre schon ausgeprägt ist.

Das dauert 5 Minuten.

Mehr Zeit bringt er damit zu Leichenschauschein und Todesbescheinigung, sowie oft auch gleich seine Honorarrechnung auszustellen.

Und das beschreibt das Verfahren bei einem Verstorbenen, der in Schlafkleidung oder Hausbekleidung angetroffen wurde.
Man stelle sich vor, die Angehörigen haben eine Verstorbene bereits gewaschen und in ihr bestes Festtagsgewand gekleidet. So liegt die Verstorbene mit Blümchen und Rosenkranz in den gefalteten Händen, friedlich ausschauend im Bett. Ringsherum brennende Kerzen und weinende Familienangehörige.
Glaubt da wirklich einer, der Arzt würde das alle wieder zunichtemachen?

Bis jetzt ist es so, dass jeder Arzt verpflichtet ist, eine Leichenschau durchzuführen. Das kann ein Augenarzt oder ein HNO-Arzt sein. Das kann ein motivierter Mediziner sein oder ein unmotivierter.
In anderen Ländern werden bis zu 30 % aller Verstorbenen obduziert. Eine Zahl, die in Deutschland bedeuten würde, dass bis zu 1.000 Obduktionen täglich durchgeführt werden müssten. Das ist nicht zu schaffen.
Aber letztlich kann nur durch eine bessere Nachschau auch eine Verbesserung erreicht werden.

Nur bei Feuerbestattungen schaut noch einmal im Rahmen der zweiten Leichenschau ein Fachmann nach; bei Erdbestattungen erfolgt das nicht.

Was nötig wäre, das wäre ein geordnetes Leichenschauwesen. Nur Ärzte mit einer entsprechenden Zusatzqualifikation oder extra dafür ausgebildete Personen könnten dann eine Leichenschau durchführen.
So blieben viele bislang unentdeckte Delikte nicht länger verborgen.


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Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 16. April 2023

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2 Kommentare
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Henning
1 Jahr zuvor

in gewisser Hinsicht kann ich die Menschen verstehen

Genau das… die Pflege eines hilfsbedürftigen Menschen kann eine sehr große Belastung und Herausforderung sein. Wenn hier im „Endstadium“ das Ende einen kleinen Schubs benötigt, ist es vielleicht für alle besser als noch ein langes Leiden.

Und ich glaube auch, daß eine jusristische Verfolgung des Ganzen eigentlich niemandem etwas bringt.

Problematisch sind dabei leider dann die Fälle, wo „zu früh“ nachgeholfen wurde, aus niederen Beweggründen oder so – und genau das müßte die Totenschau feststellen (können), und so ein „Stammarzt“ könnte dann auch wissen und entscheiden, ob Omi schon 3 Monate nur noch sabbernd im Bett dahinvegetierte (und nun erlöst ist) oder beim letzten Besuch noch recht fidel war und es hier nicht ganz korrekt gelaufen sein könnte.

Petrus
1 Jahr zuvor

Es gibt zu genau diesem Thema ein m.E. geniales Buch:

Sabine Rückert, Tote haben keine Lobby.

Da steht wirklich alles drin.




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