„Also mein Mann, der ist ganz plötzlich und unerwartet gestorben. Eben saß der noch auf dem Sessel und erzählt mit mir und päng, zwei Sekunden später liegt der auf dem Boden, röchelt zweimal kurz und dann isser tot. Einfach so. Was denken Sie, wie aufgeregt ich war! Ach du meine liebe Güte, sofort sind alle zusammengelaufen und dann war da ein Riesenmenschenauflauf.
Gott sei Dank war ja sofort ein Arzt da, dort in dem Kurzentrum sind ja genügend Ärzte. Aber ob die da so ausgebildet sind, wie sich das gehört, das weiß ich ja auch nicht. Man hört ja immer, daß die Ärzte, die so in ihrer Praxis oder im Krankenhaus nichts getaugt haben, in den Medizinischen Dienst der Krankenkassen oder in die Kurhäuser gesteckt werden. Wenn sie gar nichts taugen, werden sie Vertrauensarzt und die absoluten Versager die machen beim TÜV diese Idiotentests und so. Hat man ja alles schon gehört.
Ja und dann kamen ja auch sofort meine Mutter und meine Tochter dazu…“
Herr Schwörer hatte sich vertan.
Da war im vergangenen Vierteljahr die Straße vor seinem Haus in eine -wie seine Frau es nennt- „fußgängerbereinigte Zone“ umgewandelt worden und man hatte den häßlichen Asphalt weggerissen und rote Knochensteine verlegt. Damit der ausgestreute Sand auch ordentlich in die Fugen zwischen den Steinen gelangt und weil Herr Schwörer als Rentner ja auch sonst nicht viel zu treiben hat, nahm er sich seinen Straßenbesen, Marke Goliath Extrahart, und begann Tag für Tag den Sand in die Fugen zu fegen, tagelang, wochenlang.
Ihm kam das ganz gelegen, konnte er auf diese Weise doch seinem Dreimäderlhaus entgehen. Da tummelten sich nämlich, von morgens bis abends schwatzend, zankend und ihn herumstoßend, seine Frau Bertha, seine unverheiratet gebliebene Tochter Hildelinde und seine Schwiegermutter Therese-Amalie.
In der Gaststätte, die er hin und wieder auf ein Gläschen oder zwei besuchte, sind über ihn zwei Geschichten bekannt. Die eine besagt, daß seine Schwiegermutter jeden Abend gegen halb Elf ein Fußbad zu nehmen pflegt und großen Wert darauf legte, daß ihr Schwiegersohn ihr anschließend die gichtigen Füße trocknete und mit einem speziellen Balsam einzureiben hatte. Von diesem Balsam wird nachher noch die Rede sein.
Eines Tages hatte sich Herr Schwörer in einer Diskussion über den örtlichen Viertligisten festgeredet und den Termin der allabendlichen schwiegermütterlichen Fußwaschung vergessen. Daraufhin war die besagte Schwiegermutter Therese-Amalie in Hauspantoffeln, Bademantel und mit Haarnetz in der Gastwirtschaft aufgetaucht und hatte ihn mit heftigen Schlägen eines zusammengelegten Handtuchs nach Hause getrieben.
Die andere Geschichte, die in der Wirtschaft über Herrn Schwörer erzählt wird, beschreibt einen Vorfall, der auf einem zahlentechnischen Mißverständnis beruht und ihm letztendlich zum Vorteil gereichte. Herr Schwörer hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, jeden Abend, den er in der Wirtschaft verbrachte, mit einem Achtel guten Weines zu beginnen. Das ist ein ganz kleines Glas voll.
An einem Abend hatte seine Frau in der Gaststätte angerufen und sich erkundigt, was denn ihr Mann so trinke und der Wirt hatte gesagt, daß er ein Achtele Wein habe. Daraufhin hatte die Frau gesagt: „Ein Achtel? Das ist ja wohl viel zu viel, geben Sie ihm künftig nur noch ein Viertele, sonst ist der immer so betrunken.“
Wenn solche Frauen, den armen Mann schon in der Gastwirtschaft so drangsalieren, wie muß es da erst zu Hause gewesen sein?
Kein Wunder also, daß er sich über Wochen mit dem Besen über den Sand auf seiner Straße hergemacht hatte.
Nach drei gefegten Wochen plagten ihn heftige Schmerzen im linken Arm und er kaufte sich in der Apotheke Dr. Hippos Pferdeeuterbalsam, auf das er seit seiner Flucht aus Bessarabien -die er wohlgemerkt sowohl in ungeborenem Zustand, als auch im Bauche seiner Mutter absolvierte- auf das Heftigste schwor. Mit dieser Salbe, so soll er einmal gesagt haben, bekomme man alles weg, vom Fußpilz bis hin zum Magengeschwür, man müsse sie nur dick genug und oft genug auftragen.
Seine Einschätzung, es handele sich bei den Schmerzen um die Folgen des langanhaltenden und ungewohnten Fegens der besandeten Straße, war aber eine falsche. Vielmehr hatte er einen Herzinfarkt erlitten. Das kam aber erst fast vierzehn Tage später heraus, als er abends vor dem Fernseher in einem Streit mit seinen drei Frauen über das anzuschauende Fernsehprogramm, einen weiteren, diesmal aber schlimmeren Infarkt erlitt und mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht wurde.
Besonders lang mußte er gar nicht im Krankenhaus bleiben, heute geht sowas ja ruckzuck, Krankenhausbetten kosten Geld. Dafür ging es aber mit der Bewilligung einer Reha- und Kurmaßnahme sehr schnell und Herr Schwörer konnte beinahe nahtlos vom Krankenhaus in die Kurklinik „Haus Jammertal“ nach Stützstrumpfshausen im Bürzelgebirge wechseln.
An und für sich ist Stützstrumpfshausen bei den Rekonvaleszenten nicht besonders beliebt. Wer es sich aussuchen kann, fährt lieber woanders hin. Schuld daran ist der hohe Schwefelgehalt des somit nach faulen Eiern riechenden Wassers aus dem Kurbrunnen und der Zwang, dieses Wasser beinahe eimerweise zu sich nehmen zu müssen. Außerdem liegt Stützstrumpfshausen an der ehemaligen Zonengrenze, weitab von jeder menschlichen Behausung und bietet dem Erholungssuchenden außer Fauleierwasser und Wald nichts, rein gar nichts.
Aber dennoch, Herr Schwörer fühlte sich dort wohl und fragte gleich nach den ersten drei Tagen nach einer mehrwöchigen Verlängerung der Kur, notfalls auf eigene Kosten. Man kann sich unschwer denken warum.
In Stützstrumpfshausen blühte Herr Schwörer förmlich auf, bekam Spaß an den Schwimmübungen, verlor Gewicht, nahm am Kursus „Barfüßiges Esoterik-Töpfern“ teil und gewöhnte sich das Rauchen ab.
Doch seine Zeit der Erholung sollte bald vorbei sein, denn nach 14 Tagen, er stand gerade am Fauleiwasserbrunnen und trank seinen zwölften Liter Schwefelwasser, hörte er plötzlich ein allzu vertrautes: „Huhu, Kuckuck!“
Er erstarrte kurz, dann drehte er sich langsam um und sah sein heimisches Dreigestirn Bertha, Hildelinde und Therese-Amalie mit Stockschirmen und Koffern bewaffnet auf sich zukommen.
„Wir wollen doch mal gucken, wie es Dir so geht und weil der Weg hierhin so weit ist, damit es sich lohnt, haben wir beschlossen, gleich ein paar Tage zu bleiben. Nu, guck nicht so, ach freu Dich doch mal ein bißchen, man könnte ja meinen Du freust Dich gar nicht, guck Hildelinde, der freut sich nicht, da macht man diesen weiten Weg und der freut sich nicht, warum freut der sich denn nicht, meine Güte so ein undankbarer Kerl, gut daß wir jetzt da sind, da wird er sich gleich wieder einfügen.“
Vier Tage hat Herr Schwörer das überlebt. Dann fiel er tot vom Sessel, röchelte zweimal kurz und segnete das Zeitliche.
Selten haben wir einen Toten auf dem Tisch gehabt, der so zufrieden lächelte.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: ruhe, sanft!
Viel Spaß mit dem hinterbliebenen Dreigestirn 😉
das erklärt nun endlich auch, warum die Männer in der Regel von ihrer Gattin überlebt werden.
Diese Flucht sei ihm vergönnt. Hauptsache, die Damen finden nicht auch noch fix den Weg zu seinem jetzigen Asyl.
Tja – wo das Schwefelwasser ist, da können die „Teufel“ ja nicht fern sein 😉
Und was ist mit dem Balsam?
Wenn der ein „Familiengrab“ bekommt und die Damen gesellen sich dann auch irgendwann zu ihm, wird das eine weitere schöne Gruselgeschichte geben… von dem Mann, der jede Nacht aus seinem Grab flüchtet um wenigstens ein *wenig* Ruhe zu haben.
Ruhen sie sanft und in Frieden Herr Schwörer, sie haben es sich verdient!
Stützstrumpfhausen im Bürzelgebirge *kicher*
😉 ich würd ja auf Schlema im Erzgebirge tippen…wenn ich dürfe…nunja…
Da hätte ich mir auch überlegt, den Sprung über den Jordan zu machen….
@Malte: Vielleicht wars der [quote]Dr. Hippos Pferdeeuterbalsam[/quote], mit dem der gute Herr allabendlich Fuesse salbte?
Abgesehen davon, dass der gute Mann einfach abgetreten ist, ist das ein echtes happy end…R.I.P.
Na, da werden die Damen aber beleidigt sein… Der Empfang war schon mehr als dürftig, und nach ein paar Tagen ist der Herr schon wieder weg, diesmal auch noch ohne dass man ihm nachreisen kann. Unverschämt, sowas!
Dass Herr Schwörer allerdings so einen fröhlichen Gesichtsausdruck machte, kann man ihm nicht verdenken. Am besten erzählt man den Tanten nix davon, sonst wird die Bestellung schnell in eine anonyme Feuerbestattung umgewandelt und jeglicher Blumenschmuck und sonstiges Klimbim gestrichen.
Feine Geschichte. Aber am Besten gefällt mir die Klassifizierung der Ärzte 🙂 Die, die nichts taugen, sind im medizinischen Dienst…*kichert*
Da zitiere ich dann mal den oft gelesenen Satz: „Der Gutachter des medizinischen Dienstes hat nach Aktenlage entschieden….. die weitere Behandlung abzulehnen.“
Der zweite Absatz allein war für mich also schon das Lesen wert 🙂
Klingt nach dem perfekten Mord: Heee, nun freuuuuu dich doch mal!!!! *Augen verdreh und tot umfall und keine Mordspuren hinterlass* 😀
Danke für den Beitrag, Tom – du hast mir den Abend gerettet, vor allem der Podcast mit dem knuffigen NRW-Dialekt ist super-klasse!
Ja nun, soll man ihn nun beglückwünschen, dass er dem Ungemach entronnen ist, oder bedauern dass er sein Leben verpfuscht hat? Mit dem Anhang hätte ich keine 3 Tage durchgehalten! Wie war das Idealgewicht einer Schwiegermutter? 3,5kg einschließlich Urne? So ungefähr, nicht?
@Mephistophelia, danke mir erging es genauso.
Habe jeden Tag MDK Gutachten von „solchen“ Ärzten auf dem Tisch und darf mich dann damit herumärgern. Die die allerdings reingarnichts mehr taugen sind jetzt alle bei den privaten Krankenkassen, die zahlen besser als TÜV und Co.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
~~ Ruhe sanft Opa Schwörer ~~
Alles Vergängliche, ist nur ein Gleichnis.
Das Unzugängliche, hier wirds Ereignis.
Das Unbeschreibliche, hier ists getan –
Das Ewig – Weibliche – zieht uns hinaus
–> bekommt bei der Geschichte wohl einen anderen Hintergrund
„Barfüßiges-Esoterik-Töpfern“ – dieser Ausdruck ist einfach köstlich.
@opatios: So entstehen Wiedergänger. Ob er dann auch jede Nacht den Kiesweg auf dem Friedhof fegt?
Das erinnert mich an meinen Opa: „Beerdigt mich auf gar keinen Fall neben der $Schwiegermutter. Die hat ihr ganzes Leben lang ständig an unsere Tür geklopft. Wenigstens unter der Erde will ich meine Ruhe.“ Sehr pragmatisch. Seidem wurde „Die klopft immer“ in unserer Familie zum geflügelten Wort 🙂