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Herr Mischnigg erzählt mir sein Schicksal und ich finde er tut das so eindrucksvoll, daß ich es einfach so wiedergebe:

Wir haben diese Woche unsere kleine Tochter im 6. Schwangerschaftsmonat verloren.
Es ist Donnerstag. Meine Frau steht wie üblich 5:30 Uhr auf und weckt mich auf dem Weg zur Tür. Ich selbst ziehe wie immer ins Wohnzimmer um, koche mir einen Kaffee und genieße die Zeit bis 7:30 Uhr, dem Zeitpunkt, an dem ich so langsam zur Arbeit aufbrechen sollte.
Nach einem entspannten Vormittag mit diversen Telefonaten und Emails, fahre ich mittags nach XY-Stadt um bei meinem örtlichen Kaffeeröster neuen Kaffee zu kaufen – 1 Pfund, für die Drückerkanne gemahlen. Kenia Blend .. 7.70 €.

Ein Anruf, der all dies zu Makulatur verkommen lässt: Schatz, ich muß ins Krankenhaus, komm schnell hier vorbei!

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Eine Stunde später warte ich mit meiner Frau auf das erste Ergebnis der Blutuntersuchung. Der Ultraschall hat ergeben, dass unser Zwerg kaum noch Fruchtwasser hat und jetzt quasi ungeschützt gegen den Rest der Welt steht.
Meine Frau bekommt die erste Ladung Antibiotika intravenös.

Wir sitzen im Kreissaal 2 der Klinik und schieben Panik.

Eine supernette Hebamme beruhigt uns. Die Ärztin aus Weißrussland (ihr deutsch ist bescheiden) kann ihre Besorgnis kaum verbergen, versucht uns Hoffnung zu machen.

Der Oberarzt kommt. Er malt ein düsteres Bild, schließt aber einen positiven Ausgang nicht aus.

Die Hebamme hat Feierabend, sie stellt ihre Kollegin der Abendschicht vor. Auch die nächste ist nett.

Die Stationsärztin schaut vorbei. Meine Frau bekommt die nächste Ladung Antibiotika an den Tropf geklemmt.

Oberarzt und Hebamme machen uns Hoffnung. Wenn die Wehen in der nächsten Stunde nachlassen, besteht Hoffnung.

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sie lassen nicht nach
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Ein neuer Arzt hat die Station übernommen. Er kommt zu uns, sieht furchtbar sorgenvoll aus und versucht irgendwie Hoffnung zu verbreiten – es gelingt ihm nicht wirklich.

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19:00 Uhr Wir werden vorsichtig darauf vorbereitet, irgendwann eine Entscheidung treffen zu müssen. Es werden nochmals alle Werte genommen.

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19:20 Uhr die Werte sind noch nicht da. Die Hebamme kontrolliert alle Parameter und stürzt uns ins Bodenlose: Der Muttermund ist geöffnet … wir werden unser Kind in dieser Nacht verlieren.

19:30 Uhr Ultraschall: Das Herz des Kindes schlägt. Bewegungen von ihr sind kaum festzustellen. Fruchtwasser ist keines mehr vorhanden.

19:34 Uhr der Stationsarzt eröffnet uns: Unsere Tochter wird diese Nacht zur Welt kommen und sie wird nicht überleben können
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Die Welt stürzt ins Chaos.
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19:50 Uhr die Wehen kommen regelmäßiger aller 2 Minuten. Wir entscheiden uns, den Wehentropf zu akzeptieren und dass meine Frau Schmerzmittel bekommt.
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Alles noch extrem unwirklich.
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20:15 Uhr Kontrolle – der Wehentropf wird hochgesetzt.
Stärkere Wehen. Wir ertrinken in Tränen.

22:00 Uhr Das Schmerzmittel wird nachgespritzt. Der Wehentropf wird noch nen Zacken stärker eingestellt.

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Wehen
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Tränen
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0:30 Uhr
Ihr geht es schlechter. Viel Blut in den letzen paar „Bettpfannen“. Toilettengang mit Aufsicht.
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0.40 Uhr
aus Öffnungswehen werden Presswehen
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0.50 Uhr
Unser Kind ist geboren. Ohne Atmung … Ohne Herzschlag. Eine Handvoll.
500 g. 490 nach kurzer Rücksprache, denn ab 500g fängt die Beerdigungspflicht an.
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Die Welt besteht aus nichts anderem als aus Traurigkeit, Schmerz und unserer Kleinen. Sie passt in eine Hand – trotz Handtuch in dass sie eingewickelt ist. Sie hat die Ohren meiner Frau … und ihr süßes Grübchen am Kinn. Die Kleine hätte meine Finger gehabt .. und meine Nase.
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Wir bekommen alle Zeit die wir brauchen. Wir können Abschied nehmen von unserer kleinen Tochter. Außer furchtbar zu heulen und diesen kleinen Engel zu küssen und zu herzen können wir nichts tun. Alle Emotionen sind auf diesen kleinen, nicht einmal ein Pfund schweren Schatz gerichtet. Zu jung um selbst leben zu können. Dass sie bei der Geburt gestorben ist, merken wir bald. Sie hat so kalte Hände .. klein wie ein Daumennagel. Nahe wie kaum etwas vor ihr in dieser Welt.
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Es ist, als müssen wir uns selbst die Herzen herausreißen. Das Kind müssen wir aus der Hand geben. Wir könnten morgen noch einmal zu ihr .. doch die Angst, dass sie dann noch viel kälter wäre, als sie in der Stunde in unseren Armen geworden ist, bringt uns dazu, auf dieses Angebot zu verzichten.

Auch ohne, daß wir betteln müssen oder Umwege beschreiten müssen, wird das Kind kein „Klinikabfall“ .. Sie wird wie alle unglücklich beendeten Schwangerschaften hier in XY-Stadt auf dem Städtischen Friedhof beigesetzt werden. Ein Schmetterlingsgrab … für all die kleinen Engel, die nicht die Chance hatten um ihr Leben zu kämpfen – wie eben unsere Kleine – gibt es seit einiger Zeit hier auf dem städtischen Friedhof. Die Kleinen bekommen einen Sarg .. und einen Platz, an den Eltern wie wir, die von heute auf Morgen aus der Normalität gerissen werden, hingehen können. Dort werden die kleinen Schmetterlinge beerdigt …

Wir hätten es nach diesem plötzlichen Verlust niemals hinbekommen, eine Beerdigung zu organisieren. So ist es überaus tröstlich zu wissen, dass all die Kleinen die ihren Start ins Leben nicht nehmen durften, trotzdem ein würdiges Begräbnis bekommen .. einen Ort, der an sie erinnert.

Ob wir die Kraft haben zur Trauerfeier zu gehen weiß ich noch nicht … später einmal zu den Schmetterlingen zu gehen und nach dem Rechten zu sehen, dass wird uns niemand nehmen können.

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(©si)