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Schnabelschuhe

Das ist irgendwo schon eine Gemeinheit des Schicksals. Vor mir saß Harry Harmsen, von Beruf Lackaffe, Angeber, Aufschneider und Frauenbetörer. Man glaubt ja, solche Typen gäbe es nur in Manta-Filmen, aber hier wohnt tatsächlich so einer: Knallenge Jeans mit Skrotumbeule, nietenbesetzer breiter Gürtel aus schwarz-weißer Schlangenlederimitation, quietschbuntes Hemd mit Gummibärchenmotiv aufgeknöpft bis zum Bauchnabel. An den Füßen trägt der Mann aller Männer extrem spitze, aber ziemlich ausgelatschte, etwas breitgetretene Cowboystiefel, denen man ansieht, daß sie etwas zuviel Schuhweiß abbekommen haben, das bröckelt nämlich an den Knicken und Rissen schon etwas ab. Außerdem sind die Absätze der Stiefel schon so abgelaufen, daß es aussieht, als gehe dieser Atze-Schröder-Verschnitt im Ersatzkassenformat ständig bergauf und die Spitzen seiner Cowboystiefel stehen hoch wie bei orientalischen Schnabelschuhen.

Die Rolex an seinem linken Handgelenk ist sicherlich nicht aus türkischer Fertigung, das sehe ich sofort, die Goldkettchen am rechten Handgelenk und um den Hals passen farblich nicht zusammen. Am hälsernen Kettchen trägt er so einen kotzenden Kater, mir hat mal jemand gesagt, das sei besonders wertvoll und solle einen Panther darstellen…

Man hat ja heute keine Pocken mehr, die Menschen haben heute Allergien. Allergien haben den Vorteil, keine Narben zu hinterlassen und ich weiß auch nicht genau welche Krankheit Harry Harmsen hatte, jedenfalls hat diese in seinem Gesicht und vor allem an der etwas zu langen Nase deutliche Narben hinterlassen. Sein Gesicht ist braun gebrannt und zwischen Nase und Oberlippe ist ein Bärtchen mehr eingeklemmt als daß es dort Platz hätte.

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Die Zähne von Harry zu beschreiben, kann ich mir ersparen, solche haben viele, die sind aus dem Zahnlabor und strahlen einen in übertriebenem Weiß an. Und das tun sie oft, Harry hat keinen Grund traurig zu sein, obwohl jemand gestorben ist. Immer wieder lacht er ein schallendes Lachen, klatscht sich mit den Händen auf die Schenkel, fährt sich dann durch seine Vokuhila-Miniplie-Frisur, schüttelt die Mähne und reibt sich dann die Hände.

Er hat auch allen Grund sich zu freuen, denn von nun wird es ihm finanziell sehr gut gehen.

Jeder hier im Ort kennt Harry Harmsen und seine weiße Corvette mit der roten Lederaustattung. Jeden Tag pünktlich um 17 Uhr fährt er vor dem „San Remo“ einer der beiden örtlichen Eisdielen vor, springt aus dem Cabriolet und bestellt „eine Runde Brause für alle“, was natürlich niemand ernst nimmt, denn das ist nur ein dummer Spruch und Harry bekommt dann zwei Kugeln Zitroneneis im kleinen Metallpokal, die er genüßlich vertilgt und dabei mit den anwesenden Schulmädchen herumschäkert.

Gearbeitet hat dieser Harry noch nie, das hat für ihn sein Bruder Ronald erledigt und früher seine Eltern und Großeltern.
Der ganz alte Harmsen, also Harrys Großvater, war nach dem Krieg mit einem Koffer aus Pappe hierhergekommen, wie so viele Heimatvertriebene. Einfach hatten es die Flüchtlinge nicht, sie hatten dort alles verloren und hier gönnte man ihnen das Schwarze unter den Fingernägeln nicht. Mit im Gepäck hatte der alte Harmsen seine Frau, seine Schwiegermutter (Omamutter genannt) und seinen kleinen Sohn August, den Vater eben dieses legendären Harrys mit der Corvette.

Die Harmsens verdingten sich bei Landwirten, halfen in der Fabrik, schufteten als Fischer auf dem Fluß, keine Arbeit war ihnen zu hart, kein Pfennig zu klein und so brachten sie es im Laufe der Jahre zu zunächst bescheidenem Wohlstand und einem eigenen Haus. Daß man ihnen das noch weniger gönnte, muß ich ja wohl gar nicht erst erwähnen. Der Neid ist bekanntlich in Deutschland die einzige Form der Anerkennung. Erst wenn Dein Nachbar dich neidisch beäugt und hinter vorgehaltener Hand mutmaßt, da könne ja nicht alles mit rechten Dingen zugehen, erst dann hast du es geschafft.

Hinter dem Haus gab es ein großes Grundstück, eine alte Streuobstwiese, die niemand mehr haben wollte, die Arbeit war anderen einfach zu mühsam. Die Harmsens nutzten ihre Chance und begannen dort eine Baumschule anzulegen. Daraus wurde ein richtiger Betrieb und um es einfach abzukürzen: Harrys Vater August hatte es mit einem eigenen Gartenbaubetrieb, Landschaftsgärtnerei und Grünflächenpflege für Kommunen zum Millionär gebracht.

Omamutter, Augusts Mutter, der ganze alte Harmsen und auch August selbst und dessen Frau, alle sind sie schon lange tot und alle haben wir unter die Erde gebracht. Die Harmsens kommen schon immer zu uns.

August, der Millionär, hat zwei Söhne hinterlassen, diesen Harry hier und den schon vorhin erwähnten Ronald.
Ronald hat eine entsprechende Lehre absolviert, Gartenbau studiert und sich im väterlichen Unternehmen abgerackert. Für ihn stand fest, daß er eines Tages den väterlichen Betrieb übernehmen würde.
Und wer glaubt, jetzt käme es ganz anders, der täuscht sich, denn August Harmsen wußte genau, daß sein zweiter Sohn Harry nichts taugt und allenfalls als Schiffschaukelanschubser zu gebrauchen ist.
So war es gut und richtig, daß Ronald die Firma erbte und übernahm und Harry mit einer großen Summe oder monatlichen Apanage, so genau weiß man das nicht, abgefunden wurde.

Ronald hatte das Geschick, den Fleiß und die Pfennigfuchserei seiner Vorfahren geerbt und verstand es klug, das Vermögen noch zu mehren.

Tja, und nu‘ isser tot, der Ronald, 42 Jahre ist er geworden, dann hat es ihn im Urlaub vor Schweden von einer Segeljacht gespült und er ist ertrunken.
Er hinterlässt nur eine Lebensgefährtin, kein Testament und einen feixenden Harry.

Das Schicksal kann doch ungerecht sein, oder?

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(©si)