Menschen

Silverager

orgel

Da stehe ich und streichele gedankenverloren eine Zucchini und warte darauf, daß die Gemüsefrau zwei, drei andere Kunden bedient, da kommt ein junger Mann herein. Er trägt einen dunklen Anzug, ein Hemd mit Krawatte und hat, was man heute immer seltener sieht, geputzte Schuhe. Alles in allem mal ein ordentlich gekleideter Mensch.

Heute kann man ja anziehen was man will… Die Möglichkeiten, etwas Elegantes und etwas Sportliches zu kombinieren sind ja grenzenlos und wenn ich mir so anschauen, was sich manche alten Leute so antun anziehen, dann kommt es mir so vor, als hätten sich die Senioren beim Anblick ihrer frischgeschlüpften Enkel in deren Babykleidung verliebt und sich auch so etwas gekauft.
Rosafarbene Jeans, dicksohlige Turnschuhe mit Neonstreifen, wild-geblümte Hemden oder T-Shirts mit Bart-Simpson-Motiven und auf dem Kopf eine hellblaue, an den Rändern etwas durchgeschwitzte, Baseballkappe.

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Mein Opa kannte nur drei „Outfits“. Einen Blaumann mit kariertem Hemd und Holzschuhen für den Garten (der Mann hatte belgische Wurzeln), einen schwarzen Anzug mit Weste und Vorsteckbrust für alle Gelegenheiten und einen schwarzen Gehrock für Beerdigungen.

Den Gehrock, der im Jahre 1900 anläßlich der Hochzeit meiner Großeltern von der Nadel eines Schneidermeisters gehüpft ist, den habe ich heute noch. Gutes Werk hält sich. Gut, er passt mir nicht mehr, hat er aber mal getan; ich halte ihn trotzdem in Ehren.

Ich persönlich neige ja neuerdings auch zu bunten Kleidungsstücken. Neulich erst sagte mein Sohn zu meiner Frau: „Guck mal, der Papa… Ach nee, jetzt wird er aber mal modisch, der hat ja sogar mal was Buntes an.“
Dann duckte er sich, um einem mir zufällig aus der Hand geglittenen Briefbeschwerer auszuweichen, der merkwürdigerweise eine erst horizontale, dann ballistische Flugbahn in seine Richtung eingenommen hatte.

Dabei hatte ich nur ausnahmsweise eine Blue-Jeans an und war nur ausnahmsweise von meinen Lieblingsfarben abgewichen. Und hier habe ich nun die Gelegenheit, wieder einen Bogen zu jenem alten Mann zu schlagen, der eine rosfarbene Jeans und eine hellblaue Kappe trug, er hat das große Buch der Männer nicht gelesen, in dem steht, daß es für Männer eine große Zahl an tragbaren Farben gibt, Hauptsache sie sind schwarz, dunkelgrau, ganz dunkelbraun oder noch besser anthrazit-grau-schwarz-dunkelschwarz-grau.

„Nein, nein“, belehrt mich meine Frau, als ich vom Gemüseladen zurückkomme und ihr von dem alten bunten Königspapagei erzähle: „Das kann man heute tragen, es muß doch nicht jeder immer so stockkonservativ herumlaufen wie Du! Gerade ältere Menschen kleiden sich heute bunter als früher.“

Ich erzähle ihr von dem jungen Mann im dunklen Anzug und sage ihr dann noch, daß der junge Bursche zwar einwandfrei gekleidet war, aber den gesamten guten Eindruck durch eine grelle Grünfärbung seiner Haare zunichte gemacht hatte.

„Man trägt’s heute halt etwas bunter“, sagte sie und ich meinte dann, natürlich nur im Scherz: „Och, vielleicht lass ich mir eines Tages meine Haare auch mal grün färben.“

Da muckt die ruchlose Frucht meiner Lende, die sich bis dahin als Sohn und erbberechtigt bezeichnen durfte, abermals auf und meint, einen kurzen Blick auf mein Haupthaar werfend: „Du Papa, wenn ich mir das so angucke, dann würde ich mich an Deiner Stelle aber mit dem Grünfärben etwas beeilen.“

Schade, daß ich nur einen Briefbeschwerer zur Hand hatte…

Aber davon einmal abgesehen gehöre ich ja rein werbetechnisch schon seit 10 Jahren zur Gruppe der Senioren und mittlerweile müßte ich mir ja, würde ich der Industrie Glauben schenken, ein Handy zulegen, das nur drei Nummern wählen kann (Notruf, Essen auf Rädern und eine Tochter oder ein Sohn) und das riesengroße Tasten hat, groß ist wie ein Backstein und obendrein auch noch unglaublich scheiße aussieht.
Ich dürfte mich nur noch bei Hansi Hinterseer und Stefan Mross von der ARD verblöden lassen und mir im ZDF Serien angucken, bei denen Alzheimer und Demenz sozusagen über den Videotextkanal mit in den Zuschauer hineingebeamt werden.
Dabei fühle ich mich noch gar nicht alt, also zumindest nicht so alt, daß ich mir so einen Quatsch kaufen oder anschauen würde.

Zwei, drei graue Haare machen doch noch keinen Senioren aus, oder?

„Doch“, sagt der Enterbte, „wenn es die einzigen sind, die man noch hat….“ und schon ist er geflüchtet.
Soll er nur, irgendwann braucht der wieder Geld.

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(©si)