Geschichten

Tofu

Ich war vor ein paar Jahren mal im Krankenhaus. Bei der Aufnahme wurde ich so alles Mögliche gefragt, wie ich denn heiße, was für Allergien ich denn so habe und welcher Religion ich angehöre.
Da ich festgestellt habe, daß meine selbstgegründete Kirche mit ihren vielfältigen Riten einerseits einen sehr hohen Erklärungsbedarf hat und andererseits auch auf wenig allgemeine Akzeptanz stößt, sagte ich zu der freundlichen Krawalltüte hinter der Glasscheibe, daß ich gar keiner Religion angehöre.

Das soll, so hat man mir gesagt, vor freitäglichem Fischzwang und Spontanbeschneidungen durch den Krankenhausmullah schützen.

Ich teile mir das Zimmer mit Herbert. Herbert ist eigentlich gar nicht krank, er war es mal. Ihm haben sie irgendwas operiert und dabei ein Stück seines Brustknorpels herausgedengelt und woanders hineingedübelt, damit das alles bei ihm wieder besser funktioniert. Tut es auch. Nur hat Herbert keine Lust das Krankenhaus zu verlassen.
Unendliche Schmerzen in der Brust, dort wo das kleine Stück Knorpel entfernt worden ist, hindern ihn am Atmen und mehrmals am Tag, zufälligerweise immer dann, wenn eine Schwester mal wegen der baldigen Entlassung vorbeischaut, fällt Herbert spontan in einen komatösen Zustand. Dabei läuft er erst puterrot und dann blau an, bekommt eine Art Schockstarre und kann erst nach einigen Minuten wieder richtig durchatmen.

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Die Schwestern sind jedes Mal entsetzt, klingeln sich gegenseitig wie verrückt zusammen und am Ende heißt es immer, der müsse noch ein bißchen bleiben.

Mir kann der Kerl nichts vormachen. Ich habe eine Tochter und mir ist das erst rot und dann blau Anlaufen, verbunden mit Schnappatmung nur zu gut bekannt. So reagiert unsere Kleine mehrmals täglich, zum Beispiel dann, wenn man so etwas Schlimmes macht, wie nur im falschen Moment in ihre Richtung zu gucken…
Außerdem ist es gerade Winter und ich weiß, daß Herbert bei der Bahn den Job hat, bei dem man mit einem Funkgerät und einer Tröte auf den Schienen steht und Arbeiter verscheucht, wenn ein Zug kommt.

Wahrscheinlich ist das Krankenhaus gerade nicht ausgelastet. Anders ist es nicht zu erklären, daß man Herbert nun doch schon recht lange aufbewahrt und durchfüttert.
„So lange die Kasse mitspielt, bleibe ich hier“, sagt Herbert, setzt sich seine Fan-Mütze auf, bindet sich seinen Fan-Schal um und guckt auf einem DVBT-Fernseher mit Speicherkarte Bundesligaspiele von 1973.

Schwester Yong Kim Nyong bringt das Mittagessen.
Früher einmal, da war Krankenhausessen immer eine dampfgegarte Pampe ohne jeglichen Geschmack, irgendeine Mischung zwischen aufgewärmtem Kartoffelbrei und einer undefinierbaren Suppe, salzfrei versteht sich.

„Nee, hier is‘ lecker!“ sagt Herbert, der sein Essen zuerst bekommt und sich schwungvoll aufsetzt, sein Tischchen herausklappt und den Deckel vom Essen abhebt. Er bekommt ein Wiener Schnitzel, Salzkartoffeln mit Petersilienkrümeln, bunte Gemüsemischung und einen herrlich aussehenden Schokoladenpudding.

Dann kommt mein Essen und in Ermangelung jeglicher deutscher Sprachkenntnisse lächelt und nickt Schwester Yong Kim Nyong zum wiederholten Male.

Schnitzel! Geil! Ich mach den Deckel runter und blicke auf einen Teller mit dampfgegarter Pampe, irgendeine Mischung zwischen Kartoffelbrei und undefinierbarer Suppe.
Was ist das denn?
Warum hat der da ein Schnitzel und ich bekomme so einen Fraß?

„Das ist vielleicht weil Du neu bist. Morgen kriegst Du was anderes, bestimmt!“

Am nächsten Tag warte ich gespannt auf das Essen, man hat ja sonst nichts zu tun. Yong Kim bring es und lächelt und nickt. Herbert hat Seelachs mit Kartoffelsalat und eine Markklößchensuppe.
Ich bekomme trockenen Reis und drei Stängelchen Zitronengras.

Protest! Doch Yong Kim lächelt und nickt nur zu jedem Wort das ich sage.

Später kommt Schwester Barbara. Die kann weder lächeln, noch nicken, aber die kann Deutsch.
Was das denn für ein Essen sei, will ich wissen und die zuckt nur desinteressiert mit den Schultern.

„Das kommt von unten so rauf. Sie kriegen immer das, wo ihr Name dransteht.“

„Mir kommt das auch gleich von unten rauf.“

„Was?“

„Ich will was anderes. Sowas wie der da.“

„Morgen kriegen Sie den Wochenplan und dann können’se ankreuzen watt’se wollen.“

Am anderen Tag bekommen wir tatsächlich unsere Essens-Wunschzettel. Herberts Zettel ist blau und meiner ist grün.
Herbert kann wählen aus Leipziger Allerlei, Sauerbraten, Fischfilet, Rindsroulade und Schnitzel.
Auf meinem Wunschzettel steht das alles nicht drauf.
Nur Reis, Kartoffeln und Tapiokawurzeln (gedünstet).

„Was ist das denn?“ rufe ich einer vorbeieilenden Schwester zu und die bremst sogar wirklich ab, kehrt um und fragt nach meinem Begehr.

„Ich will was Richtiges zu essen!“

„Ja aber wir haben Ihnen doch extra den grünen Zettel gegeben, den für Buddhisten. Da suchen Sie sich mal fein was aus, was zu Ihrer Religion passt und dann machen die da unten das für Sie.“

„Ich bin aber gar kein Buddhist.“

„Doch!“

„Nee, wirklich nicht.“

„Steht aber so auf Ihrer Akte und was da steht, das gilt.“

„Ich will aber keinen Reis mit Zitronengras und ich will jetzt auch kein Buddhist mehr sein.“

„Das geht nicht.“

„Wie, das geht nicht?“

„Jetzt hören’se mal auf zu jammern wie so’n kleines Kind. So ein gestandener Mann wie Sie! Schämen Sie sich mal was!“

„Ich habe aber keine Lust ein Buddhist zu sein.“

„Das ist aber schön!“

„Was ist schön? Daß ich Buddhist sein soll? Was soll denn daran schön sein?“

„Nein, ich meine das Essen auf Ihrer Karte da. Das ließt sich wie die Fitness-Karte in der Kantine von meinem Frauen-Fitness-Club. Gucken’se mal da, da gibt’s sogar zweimal die Woche Tofu.“

„Tofu mach‘ ich nich‘, das sieht aus wie Schafskäse und schmeckt wie Abdichtmasse. Ich will ein Schnitzel.“

„Aber das ist doch alles vegetarisch. Vegetarisch ist klasse, vegetarisch ist gesund. Tofu kann man panieren wie ein Schnitzel, schmeckt dann sogar ganz, ganz lecker.“

„Ein richtiges Schnitzel vom toten Tier, will ich haben.“

„Ja ist das denn mit Ihrer Religion vereinbar?“

„ICH BIN DOCH GAR KEIN BUDDHIST!“

Da meldet sich der faule Bahntröter kauend aus seinem Bett: „Du siehst aber aus wie Buddha! Und so’ne Woche nur mit Zitronengras, die könnte Dir gar nicht schaden.“

Arschloch!

© 2010

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