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Verwesen Leichen heute langsamer?

orgel

Leser Bernd ist im Web über einen Artikel gestolpert, der ungefähr so beginnt:

„Ein Freund von mir der um 1980 das College besuchte, hatte einen Klassenkameraden, der Sohn eines Bestatters war…“
Im weiteren Verlauf des (englischen) Textes geht es darum, daß dieser Bestatter seinem Sohn vermittelte, die Verstorbenen wären früher schneller verwest bzw. hätten schneller angefangen unangenehm zu riechen und in den 80ern sei es dann nicht mehr notwendig gewesen, schnell zu arbeiten, weil die Verstorbenen nun langsamer vergehen und nicht mehr so schnell anfangen zu riechen.
Das hänge im wesentlichen mit den Bakterien zusammenhänge, wovon moderne Menschen wesentlich weniger im Körper hätten. Konersvierungsstoffe, Sterilisationsverfahren, Kühlung, Mindeshaltbarkeitsdaten usw. (dieses ‚usw.‘ wurde mit einem lieben Gruß eigens für Matthias eingefügt) trügen dazu bei, daß Menschen nicht mehr so stark mit Bakterien besiedelt seien, was einen Einfluss auf die Verwesungsgeschwindigkeit habe.

Allein schon der Einführungssatz ist das deutlichste Kennzeichen für eine urbane Legende. Immer wenn der Schwager eines Onkels mit jemandem zur Schule gegangen ist, dessen Vater jemanden kennt, der einen Bruder hat, dessen Onkel mal Straßenbahnfahrer war… immer dann ist bei solchen Geschichten Vorsicht geboten. Sie stammen erkennbar nicht aus erster Hand und der Erzähler versteckt sich und entledigt sich seiner Verantwortung hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes und der Belegbarkeit seines Geschwätzes hinter/durch eine möglichst lange Kette von Kolporteuren.

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Milliarden von Bakterien besiedeln auch heute noch den modernen Menschen. Einige haben u.U. nichts an/auf uns verloren und können uns krank machen wenn wir sie uns einfangen, andere sind immer da, können uns aber krank machen wenn andere Faktoren das begünstigen und wieder andere gehören zu uns und leben sozusagen mit uns in Symbiose.

Die Zahl und Art der im/am Menschen vorhandenen Bakterien hat also zunächst einmal grundsätzlich mit dieser These nichts zu tun, denn solche Bakterien hatten die Menschen schon vor 200 Jahren, von 40 Jahren und vor 20 Jahren.
Ob nun ein Mensch schneller verwest oder Gerüche entwickelt, hängt viel mehr vom jeweiligen Einzelfall und den Lagerungsbedingungen ab. Je zügiger ein Verstorbener in die Kühlung des Bestatters kommt und (in Amerika) einbalsamiert wird, umso schneller kann das Voranschreiten der Zersetzung verlangsamt werden. Im Einzelfall spielen eher die Vorerkrankungen, die Masse des Körpers und die Gesamtkonstitution des Leichnams eine Rolle.

Es ist doch einleuchtend, daß Menschen, die -sagen wir es mal platt und einfach- innerlich schon komplett von Krankheiten zerfressen und angegriffen sind, eher auch weiter verwesen, als intaktere Kandidaten.
Außerdem kann eine kurz vorher durchgeführte intensive Behandlung mit Medikamenten (man denke an eine Chemotherapie) auch eine gewisse konservierende Wirkung haben und den Verwesungsprozess vorübergehen aufhalten.

Insofern könnten die moderne Medizin und die modernen Methoden der Lagerung beim Bestatter einen gewissen Einfluss haben.
Daß nun ausgerechnet die zeitlebens verzehrten Konservierungsstoffe oder Nahrungszusatzstoffe eine Auswirkung auf den späteren Verwesungsprozess haben sollen, ist bislang wissenschaftlich nicht hinreichend belegt und wird von weiten Kreisen der Wissenschaft auch bezweifelt. Es ist ja auch nicht so, daß die Menschen sich ausschließlich von Dingen ernähren, die diese Stoffe enthalten, sondern sie nehmen unverständlicherweise ja auch beispielsweise Produkte zu sich, die als pro- oder präbiotisch bezeichnet werden und Darmbakterien (hm, lecker) enthalten, die sogar noch mithelfen sollen den Verdauungsprozess also die Zersetzung im Darm zu fördern.

Für die Geruchsentwicklung bei einem Leichnam ist unter anderem auch immer entscheidend, was der Verstorbene im Körper hat und wie gut diese Dinge da bleiben, wo sie zum Zeitpunkt des Todes waren.

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(©si)