Geschichten

Volltrunken in Reykjavik -III-

Ich kann kein Isländisch. Ich hatte auch bislang noch nie das Bedürfnis Isländisch zu lernen. Es gibt etwa 300.000 Menschen, die Isländisch sprechen. Den hiesigen Dialekt, den beispielsweise die Allerliebste und auch Frau Ruckdäschl sprechen, beherrschen hier im Südwesten der Republik mindestens zehn mal so viele Leute.

Aber die Isländer können Englisch, alle. Das kann ich auch. Jedoch war ich nicht in der Lage, einem isländischen Schutzmann zu übersetzen, was die Allerliebste mit „Rollagumdalla“ gemeint haben könnte.
Ihm war aufgefallen, dass ich die Knöchel meiner Frau mit grauem Gewebeklebeband an den inzwischen von der Flughafenfürsorge organisierten Rollstuhl festgebunden hatte. „Myxomatosis!“, raunte ich ihm mit Verschwörermiene zu. Obwohl ich bezweifelte, dass er auch nur die geringste Ahnung hatte, was Myxomatose überhaupt ist, zog er die Augenbrauen hoch, nickte und tat so, als ob er verstünde, um was es gehe.

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Eigentlich wunderte mich, dass wir einfach so nach Vorzeigen der Pässe aus dem Flughafen heraus durften. Aber okay, wo will man auch hin? Ich meine, das ist Island, eine Insel. Und hätte man sich nach kurzer Zeit aus Reykjavik herausbegeben, würde einem vor lauter Gegend wahrscheinlich schnell langweilig. Also, jetzt so ohne Gepäck und Sachen.

Hunger! Mein Magen knurrte.
Und was tut man, wenn man in irgendeinem Land dieser Welt ist und die einheimische Küche nicht kennt oder ihr nicht traut?

Man geht zu McDonalds. Von der Burgerkette mag man jetzt halten, was man will, wenigstens ist auf das Essen immer irgendwie Verlass. Egal, wo ich bisher auch war, auf meinen BigMac konnte ich mich immer verlassen.

Und da ich die isländischen Wikingernachkommen lukullisch eher so bei gekochtem Schafskopf und vergorener Walmilch verortete, machte ich mich auf die Suche nach einem McDonalds-Laden.

Ich habe sogar einige echte Eingeborene gefragt, doch alles was ich erntete, war ein mildes Lächeln und ein Kopfschütteln. Kannten die alle den Weg nicht? Hieß McDonalds auf Isländisch vielleicht anders? Makja Donaldsdottir oder so?

Die fürsorglichen Isländer blieben aber nach meiner Frage immer noch einen kurzen Moment stehen, schauten auf die Allerliebste und meinten dann „Drekkt of mikið“ oder „drukkinn“, wobei sich letztes immer anhörte wie „drücken“.
Wahrscheinlich, so nahm ich damals an, glaubten die ahnungslosen Inselfischer, die Allerliebste sei das Opfer des Drückens eines Rauschgiftes geworden. Wie hätte ich den Leuten denn erklären sollen, dass sie nur eine kleine Überdosis eines Mittels gegen Flugangst inne hatte?

Ein Zeitungsverkäufer nahm sich dann die Zeit, um mir auf Englisch zu erklären, dass es in/auf Island keine McDonalds-Filiale gibt.
Kein McDonalds auf ganz Island? Verrückt!

An einem Straßenstand erstand ich zwei Becher Quark. Besser als gar nichts! Styr hieß das Zeug und schmeckte wie…, naja, ich hatte als Kind mal probiert, wie Tapetenkleister schmeckt…
Ich steuerte eine Parkbank an, platzierte die Allerliebste mit dem Rollstuhl neben mir und aß den einen Becher leer. Dann stellte ich ihn auf den Boden und begann die Allerliebste aus dem zweiten Becher zu füttern.

„Loggoballa“, nuckelte meine Frau vor sich hin, starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den Quarkbecher in meiner Hand und freute sich. Durch das Dauergrinsen waren ihre Mundwinkel, na sagen wir mal, etwas undicht. Gücklicherweise hatte ich ein paar Papiertaschentücher dabei. Brav futterte sie ihre Portion auf. Als ich ihr abermals den Mund abwischte, begann sie zu singen: „La lalla, gag-ga, bol-lo hummm, diedel di dumm…“
Immer wieder von vorne, halbwegs zur Melodie von „Ein Männlein steht im Walde…“

Als ich die erste Münze im Becher vor mir auf dem Boden klimpern hörte, schaute ich hoch.
So an die 100 Walfischesser hatten sich um uns geschart und lauschten dem irren Brabbelgesang meiner Frau.

Applaus brandete auf. Die Begeisterung, das darf ich sagen, war riesengroß.

Na gut, die haben sonst nur Björk…

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    Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

    Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

    Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

    Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 23. April 2018

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    6 Kommentare
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    Legoman
    6 Jahre zuvor

    „Die haben sonst nur Björk“…

    ICH SCHMEISS MICH WEG!
    ICH HABE SO WAS VON KOPFKINO!

    HERRLICH!

    Judi
    6 Jahre zuvor

    Genial geschrieben, Kopfkino pur
    Und auf Island den internationalen Flughafen verlassen und in Reykjavik stehen – das wäre mal praktisch

    Norbert
    6 Jahre zuvor

    Jetzt kriege aber bitte die Kurve, daß sich nicht über Behinderte lustig gemacht wird.
    Spastisch gelähmte (vereinfacht ausgedrückt) können sich genau so benehmen und sind dabei bei vollem klaren Bewusstsein.
    Ja, lustig mit der Panik der Allerliebsten aber das könnte jetzt grenzwertig werden.

    Bodo
    Reply to  Norbert
    6 Jahre zuvor

    @Norbert: Jetzt lass aber mal die Schere im Kopf beiseite. Immer dieses politisch korrekte Genengere.
    Da wird sich überhaupt über niemanden lustig gemacht, außer über sich selbst.

    Andy
    6 Jahre zuvor

    „Und hätte man sich nach kurzer Zeit aus Reykjavik herausbegeben, würde einem vor lauter Gegend wahrscheinlich schnell langweilig“

    Beabsichtigte Hommage an Erika Fuchs oder Zufall?

    gurko
    6 Jahre zuvor

    Heißt der Käsejoghurt nicht Skyr mit k?




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