Mitarbeiter/Firma

Walfisch mit Kamelmist

„Bist Du auch dick genug angezogen? Meine Güte, das ist doch nur ein dünnes Jäckchen, so willst Du ja wohl nicht auf den Friedhof gehen, oder? Da stehst Du dann eine halbe bis ganze Stunde in der Kälte rum und holst Dir was. Es ist Winter! Wie kann man nur? Typisch Mann! Du hast doch diesen dunkelgrünen zweireihigen Mantel, den könntest Du anziehen, den hattest Du das letzte Mal auf Tante Rosas Achzigstem an, der steht Dir so gut, den solltest Du viel öfters tragen. Aber vielleicht ist Grün ja nicht so für den Friedhof geeignet, sieht schon ein bißchen nach Oberförster aus. Warte mal, da muß doch irgendwo diese blaue, doppelt wattierte Jacke sein, die Du Dir in Kanada gekauft hast, die war doch warm, oder? Ach nee, da steht ja hinten irgendwas drauf, geht also auch nicht. Oder wie wär’s mit dem langen schwarzen Lodenmantel von Onkel Josef, den hat der Dir doch mal geschenkt, mittlerweile müsstest Du den ausfülle, etwas zugelegt hast Du ja. Zieh den doch mal an, schlüpf da doch mal rein, siehste, der passt doch; und guck mal, wie fein Du aussiehst. Ja, so kannste auf den Friedhof gehen, da wär‘ doch dieser Mann nur in seiner dünnen Jacke losgegangen, sowas aber auch, die ist doch nur was für den Übergang. Und mach Dir Lammfellsohlen in Deine Schuhe, es ist kalt, vor allem unten rum! Und vor allem setz Dir was auf den Kopf, da hat der Frost besonders viel nackte Haut zum Angreifen!“

Der Mantel von Onkel Josef riecht nach totem Otter, vielleicht ist er ja mal vom Otter-Versand Hamburg gewesen, wer weiß? Es kann aber auch sein, daß er nach Onkel Josef riecht, der war am Ende auch nicht mehr ganz frisch in der Birne…
Jedenfalls habe ich in der selben Sekunde in der mir meine allerliebste Frau diesen Mottenkaftan überstülpte, beschlossen, ihn gleich im Auto wieder auszuziehen und vielleicht, vielleicht werfe ich ihn auf dem Rückweg in den Altkleidercontainer und tue so, als sei er mir gestohlen worden, oder so…

Werbung

Natürlich lasse ich das textile Geruchsmachwerk im Auto und ziehe stattdessen meine schöne Übergangsjacke aus England an. Die ist ziemlich schwer und mit Leder besetzt. Was schwer ist, das muß auch wärmen, finde ich. Und Lammfelleinlagen? Hallo? Bin ich ein Mädchen?

Frauen können ja so nervig sein, ehrlich!

Ich schaue in der Trauerhalle nach dem Rechten, zupfe die Schleifen noch gerade und zünde eine wieder erloschene Kerze wieder an. Dann gehe ich raus zum Kondolenzpult und muß nichts weiter machen, als einen guten Eindruck.
Es kommen nur wenige Trauergäste und die auch noch sehr vereinzelt. Vielleicht bin ich ja etwas früh dran.
Ein kalter Schauer zieht meinen Rücken hinunter, na gut, es ist wirklich Winter, es liegt überall dick Schnee und in gewisser Weise könnte man eventuell sagen, daß es möglicherweise der Fall sein könnte, daß man annehmen dürfte, ich würde etwas frieren. Aber nur eventuell.
In Wirklichkeit geht das Frieren natürlich weg, wenn man sich bewegt. Also laufe ich drei Schritte hin und drei Schritte her. Wenn keiner kommt und keiner guckt hüpfe ich zwei-, drei mal und ich könnte mir vorstellen, daß das ziemlich bescheuert aussieht.
Aber so wirklich kalt ist es nicht, da hat meine Frau mal wieder ziemlich übertrieben. Nur so unten an den Fußsohlen habe ich so ein taubes Gefühl, ich spüre meine Zehen nicht mehr.
Gehen, hüpfen, es kommt wieder einer.
Mann, was schreibst Du so langsam, soll das ein Roman werden? Schreib einfach Deinen Namen da in das Kondolenzbuch und mach Dich weg in die Trauerhalle, Du alte Flitzpiepe…
Die Kälte dringt von den Knöcheln her bis an die Knie hoch und Schuld ist nur dieser alte Kasper, der jetzt auch noch mit dem Kuli einen Baum ins Buch malt. Mann, beeil Dich, der Frost ist schon da angekommen, wo’s wertvoll wird!

Aber Lammfell würde wahrscheinlich auch nicht helfen, schließlich erfrieren über den Winter ja tausende von Lämmern, sonst gäbs ja an Ostern nicht so viel Lammbraten, also hilft Lammfell gar nichts. Frauengeschwätz!
Ich glaube, mein Bauchnabel ist zugefroren und eine ältere Dame lässt dreimal den Kugelschreiber fallen und ich muß mich bücken und ihn wieder aufheben, das geht ja noch, bloß lächeln kann ich nicht mehr, meine Gesichtsmuskulatur ist erstarrt.
Nichtmal mit der Stirn kann ich runzeln, vom Nacken bis zur Nasenspitze ist meine gesamte Kopfhaut zu einer eisigen Haube gefroren; dabei habe ich noch Haare, viel mehr Haare als meine Frau immer sagt. Es sind schöne Haare und ich kenne jedes einzelne von ihnen persönlich!

Es kommt grad keiner, ich gehe schnell mal zum Auto und hole Onkel Josefs Mantel; ist vielleicht doch keine so schlechte Idee.

„Was riecht denn hier so?“ fragt eine alte Frau, als sie neben mir am Kondolenzpult steht, sie schaut mich vorwurfsvoll an und rümpft die Nase, bevor sie in der Trauerhalle verschwindet, diese alte Gewitterziege.
Aber irgendwie hat sie recht, der Mantel entwickelt unter dem Einfluss winterlicher Feuchtigkeit und Kälte einen Geruch, der nicht nur entfernt an eine Mischung aus Kameldung und verwesendem Walfisch erinnert. Ja, ich weiß, Wale sind keine Fische, aber sie stinken so, vor allem wenn sie verwesen.

So, jetzt hat die Orgel angefangen zu spielen, ich kann das Buch zusammenklappen, das Pult unter den Arm nehmen und wieder ins Büro fahren.

Aber vorher kaufe ich mir noch einen schönen neuen Mantel und ein paar Lammfellsohlen, aber erst wenn ich wieder aufgetaut bin.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Revision:


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)