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Was sollen denn die Nachbarn denken?

„Mit was für einem Auto kommen Sie denn?“ Annalena Karlbacher ist skeptisch. Sie hat sich an den Hospizverein gewandt, weil ihre alte Mutter vermutlich bald sterben wird und sie zwischendurch mal eine Pause von der Pflege braucht. Allerdings: Die Nachbarn sollen das nicht wissen. Als sie hört, dass die Hospizbegleiter*innen mit ihren Privatautos kommen, also ohne Aufschrift, ist sie beruhigt. „Sonst hätten Sie mindestens drei Straßen weiter parken müssen, wissen Sie! Sonst spricht sich das hier sofort rum!“

Dieses Rumsprechen und Tratschen ist leider hier auf dem fränkischen Dorf durchaus ein Problem, jedenfalls für manche. Je ländlicher es wird, umso mehr Menschen sind noch der Meinung, dass Alte und Kranke gefälligst von der Tochter oder Schwiegertochter gepflegt werden sollten. Wenn das nicht gemacht wird oder man sich Hilfe dazuholt, kann das schon mal als Faulheit oder Unfähigkeit ausgelegt werden. Eine furchtbare und hoffentlich bald aussterbende Einstellung, die viele Erleichterungen für Pflegende und Pflegebedürftige verhindert. Trotzdem, momentan ist es noch so und leider musste ich vor Kurzem an mir selbst bemerken, wie schnell man auf die falsche Fährte kommen kann.

Zwei Straßen von meinem Zuhause entfernt lebt ein altes Ehepaar, die Henningers. Sie haben eine Katze, die unserer sehr ähnlich sieht, deshalb haben wir uns hin und wieder mal kurz über den Gartenzaun unterhalten. Ich weiß, dass sie zwei Kinder und fünf Enkel haben (aber alle vom Sohn, weil die Tochter selbst mit Ende 30 noch nicht daran denkt, Mutter werden zu wollen) und dass sie schon seit ihrer Kindheit hier im Dorf leben. Und ich weiß, dass Herr Henninger schon lange nicht mehr so kann, wie er gerne möchte. Er werkelt seit einem Jahr nicht mehr wie früher im Garten herum, sondern sitzt dünn und grau auf seinem Bänkchen, den Rollator immer neben sich. Was er hat, weiß ich nicht, so nahe stehen wir uns nun wirklich nicht.

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Im Winter sah ich dann plötzlich ein Auto der SAPV vor dem Haus stehen, also die spezialisierte ambulante Palliativversorgung, die sterbenskranke Menschen medizinisch versorgt. Für mich war klar: Herrn Henninger geht es schlechter, er wird wohl bald sterben. Tatsächlich sah ich ihn auch lange nicht mehr und schaute schon im Gemeindeblättchen nach den Todesanzeigen. Bis er dann schließlich im Frühling wieder auf seinem Bänkchen saß, nicht mehr ganz so grau und dünn. Die SAPV hatte allem Anschein nach einfach um die Ecke parken müssen, damit man nicht sah, um wen es ging. Ich gebe gerne zu, dass ich mich ein bisschen geschämt habe, so schnelle Schlüsse gezogen zu haben.

Bei unserem Hospizverein ist jedenfalls nach außen hin nicht ersichtlich, wer da kommt. Die Auto sind neutral, weil die Begleiter*innen mit ihren Privatwagen kommen. Und es gibt auch keine Uniform oder so etwas. Selbst das Namensschildchen stecken wir – wenn überhaupt – erst direkt vor der Tür an. Ich finde, das ist eine gute Sache. Getratscht wird schon genug.

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