Sterben + Trauer

Wenn nur endlich Frühling wird …

Bild von Couleur auf Pixabay

Um diese Jahreszeit muss ich immer an Friedrich denken, den Vater einer Freundin. Ich höre ihn sagen: „Wenn nur erst Frühling ist, dann wird es wieder besser.“ Und ich sehe an seinem Blick, dass er genau weiß, er wird den Frühling wahrscheinlich nicht mehr erleben.

Es war vor einigen Jahren im Januar. Friedrich war Anfang 60 und schwer krank. Leberzirrhose im weit fortgeschrittenen Stadium. Er war schwach, hatte Schmerzen und trug einen gewaltigen Kullerbauch aus Wassereinlagerungen vor sich her. Ich hatte erst vor Kurzem meine Ausbildung zur Hospizbegleiterin abgeschlossen und es war mir sehr wichtig, dass er von dieser Möglichkeit wusste. Er lebte in einem anderen Landkreis als ich, aber auch dort gab es natürlich einen ambulanten Hospizverein. Als er bei seiner Tochter – meiner Freundin – zu Besuch war, sprach ich ihn an. Ich sagte ihm, ich wünsche ihm, dass er noch sehr lange Zeit hat. Aber dass es Möglichkeiten gibt, sich Hilfe zur Begleitung zu suchen, auch schon dann, wenn der Tod noch nicht direkt bevorsteht. Er fragte zwei, drei Kleinigkeiten nach, dann schaute er mich ein paar Sekunden an, nickte und sagte den Satz von oben: „Wenn nur erst Frühling ist, dann wird es wieder besser.“ Ich lächelte und sagte: „Das wünsche ich dir sehr!“ Wir beide wussten, wie unwahrscheinlich es war, dass er im Frühling noch lebte. Aber wir beide wussten auch, dass er diese Hoffnung brauchte.

Ich habe Friedrich nach diesem Gespräch nicht mehr wiedergesehen. Aber ich habe immer wieder über meine Freundin nachgehorcht, wie es ihm ging. Anfang Februar irrte sich die Zierkirsche in unserem Garten ein bisschen in der Jahreszeit und trieb an einigen Ästen verfrühte Blüten aus. Ich schnitt einen Strauß der rosa blühenden Zweige für Friedrich und gab ihn meiner Freundin mit, zusammen mit einer Karte: „Der Frühling braucht vielleicht noch ein bisschen, hat aber schon einen Boten für dich vorausgeschickt.“

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Friedrich starb Ende Februar, noch bevor die ersten Krokusse und Schneeglöckchen zu sehen waren. Er hatte keinen Hospizverein in Anspruch genommen, wurde aber liebevoll von seiner Frau und seinem Bruder begleitet. Seine Frau sagte mir später, unser Gespräch habe sie beide sehr beeindruckt. Niemand anderes habe Friedrich jemals so klar darauf angesprochen, dass er sterben könnte, obwohl es eigentlich jeder im Umfeld wusste. Ist das nicht traurig?

In jedem Frühjahr denke ich an Friedrich. Ich bin wirklich kein Wintermensch und sehne mich spätestens ab Mitte Januar so sehr nach Sonne, Wärme, Vogelgezwitscher, Grün und Blumen. „Wenn erst Frühling ist, wird es besser.“ Das denke ich mir in jedem Jahr. Dieses Jahr ganz besonders. Von Friedrich habe ich gelernt, wie viel Nähe ein einzelnes offenes Gespräch schaffen kann. Und dass die Hoffnung auf bessere Zeiten selbst im Angesicht des Todes nicht verschwinden muss.

Die Zierkirsche hat übrigens nie wieder so früh im Jahr geblüht.

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    Sterben und Trauer

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    Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden | Birgit Oppermann: © 25. März 2021

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    5 Kommentare
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    Melancholia
    3 Jahre zuvor

    Liebe Birgit,

    Deine Texte sind so berührend und eine wundervolle Erweiterung des guten alten Bestatterweblogs.

    Danke!

    Erklärversucherin
    3 Jahre zuvor

    Ich denke oft an meinen Großvater. Er hat CLL und ist dem Tod schon oft weggerannt. Seit 2006. Aber jede*r weiß, dass Opa immer weniger Zeit hat.

    Gleichzeitig dachten wir alle, er wird nicht mehr 60, und nun ist er schon 73. Er konnte sogar noch meine Tochter sehen! Ist das nicht super?

    Nobody
    Reply to  Erklärversucherin
    3 Jahre zuvor

    Bei uns ist es leider umgekehrt gelaufen, mein Opa ist kurz bevor wir unsere Hochzeit verkündet haben verstorben und meine Oma als wir schon wussten das wir unser erstes Kind erwarten und es ihr beim nächsten Besuch sagen wollten.
    Ich tröste mich mit dem Gedanken das meine Großeltern sicherlich sehr stolz darauf wären welchen Weg wir beschreiten. Denn schließlich ist jeder Mensch irgendwie die Summe seiner Begegnungen/Erfahrungen. Und auch wenn ich nichts konkret benennen kann, auch meine Großeltern haben mir sehr viel mit auf den Weg gegeben.

    Reply to  Nobody
    3 Jahre zuvor

    Daher habe ich mein Erstgeborenes nach meiner toten Uroma benannt. Ich war besorgt, wie Oma es finden wird, aber die war ganz aus dem Häuschen.




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