Menschen

Wenns Gras sich um das Messer wickelt

Der Opa ist im Krankenhaus gestorben, Du bist Bestatter und sollst zu den Leuten nach Hause kommen, aber bitte den Leichenwagen mitbringen, die wollen den sehen.
Die Leute wohnen in Z.-hausen, das liegt am Berg, dort ist alles steil. Du bekommst vor dem Haus keinen Parkplatz, Du bekommst überhaupt in der ganzen Straße, die an einem dicht bebauten Hang liegt, keinen Parkplatz.
Du fährst und suchst und suchst, spielende Kinder haben den einzigen Parkplatz in 300 Meter Entfernung mit einem Tretroller blockiert.
Du winkst denen freundlich zu, deutest an, daß Du da vielleicht parken möchtest, ach zu gerne…
Die Kinder ziehen ihre Hosen runter und zeigen Dir den nackten Hintern und lachen sich kaputt.

Den ganzen Berg auf der anderen Seite wieder runter, man kommt kaum mit dem Wagen durch, so eng sind die Straßen und so dicht stehen die parkenden Fahrzeuge.
Dann kommt Dir noch einer entgegen; einer der da wohnt und jeden Tag x-mal da durchfährt, einer der sich auskennt und deshalb diese schmale, verwinkelte und unübersichtliche Straße entlangbrettert, wie Nicki Lauda.
Der hupt Dich in den Rückwärtsgang und verzweifelt bugsierst Du Dein sechs Meter langes Gefährt nur mit Hilfe der beiden Außenspiegel rückwärts wieder den Buckel rauf. Die spielenden Kinder haben sich verpisst und endlich kannst Du da in die Lücke fahren.

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Der Bestatterkoffer wird sauschwer, wenn man ihn mehr als 300 Meter einen Berg rauftragen muss. An drei, vier Häusern, an denen Du vorbei kommst, gehen die Rollläden runter, die Leute halten Dich für den Gerichtsvollzieher, sie haben Angst vor gut gekleideten Männern mit Koffer.
Für einen Staubsaugervertreter ist Dein Koffer zu klein und für einen Zeitschriftendrücker bist Du zu gut angezogen.
Es ist ganz früher Frühling und eigentlich noch saukalt, aber nach 150 Metern stehen Dir Schweißtropfen nicht nur auf der Stirn, sondern auch zentimeterhoch in den Schuhen.

Als Du am Haus der Familie ankommst, bist Du 3 Minuten zu spät, es öffnet auch niemand.
Weil Du so unpünktlich bist, haben sich die Leute hinterm Haus der Gartenpflege zugewandt.
Der Mann schiebt einen Miniaturrasenmäher mühsam durch das recht hohe Gras, seine Frau muss das Kabel hinter ihm her tragen und aufpassen, daß er nicht darüber fährt.
Die beiden sind so in ihre Arbeit versunken und der Lärm des grellgelben Baumarktmähers aus Fernost ist so groß, daß Dich die Leute nicht hören.

Du kannst sie sehen, aber sie schauen nicht zu Dir, schon wieder hat sich Gras um das stumpfe Messer gewickelt und die beiden müssen den Mäher abstellen. Man klingelt nochmals, ruft auch mal. wird aber von den Pisskindern übertönt, die laut johlend 300 Meter entfernt Deinen Bestattungswagen mit Fingerfarben bemalen.
Dir kommt die Frage in den Kopf, ob Du es versuchen sollst, den Kindern Deinen Koffer auf den Kopf zu werfen. Hinrennen kommt für Dich nicht in Frage, Deine Würde, gepaart mit Deinem Übergewicht, verhindert das.

Der Mäher ist wieder zur Hornisse geworden und die Leute drehen sich permanent zu Dir um, gucken aber nicht das kurze Stück den Hang rauf und sehen Dich einfach nicht.
Gucken sie jetzt? Du winkst, Du rufst ‚Huhu‘, ‚Hallo‘, deren Namen, winkst nochmal und kommst noch mehr ins Schwitzen.
Die vollgehängte Wäschespinne seitlich am Haus dreht sich im Wind und ein Bettlaken versperrt jetzt auch noch die Sicht auf die Leute.
Es wird Zeit, wenn ich die Leute nicht bald spreche, ist die Abholfrist im kommerziell geführten Krankenhaus bald vorbei und die rufen dann zwangsweise die Pietät Eichenlaub um den Opa zu holen. Dann wird’s teuer und kompliziert.

Das Tor zum Grundstück ist abgeschlossen, Du kannst also nicht einfach reingehen und dich winkend und rufend den Mähenden nähern.
Dein Koffer ist stabil, Du stellst ihn an die Müllbox aus Beton, steigst auf den Koffer, setzt Dich auf die Müllbox und angelst nach Deinem Koffer.
Eine Nachbarin von gegenüber beobachtet Dich dabei hinter der Gardine hervor. Du siehst, wie sie das Telefon nimmt. Hoffentlich ruft die neugierige Fettel nicht auch noch die Bullen!

Endlich bist Du auf dem Grundstück, rufst vorsichtshalber nochmals ‚Hallo‘ und gehst seitlich am Haus vorbei. Die Wäschespinne dreht sich und weht Dir graue Unterhosen durch die Frisur.
Ein Frotteehandtuch, das nach Lenor riecht und noch leicht feucht ist, legt sich wie eine saugende Qualle auf Dein Gesicht, raubt Dir Gehör und Gesicht, Du lässt Deinen Koffer fallen und befreist Dich.
Das Nächste was Du siehst, ist die flache Seite eines lehmverklumpten Spatens, der in altmittelhochdeutscher Schallgeschwindigkeit auf Dein Gesicht zu kommt.

Als Du wieder bei Besinnung bist, wedelt Dir jemand mit eben diesem feuchten Lenorlappen Luft ins Gesicht. „Ach Gottchen, das tut mir so leid!“ sagt der Mäher. Die Fette von Gegenüber ruft aus dem Fenster: „Die Polizei kommt gleich!“. Die Kinder sind auch da, feixen und rufen: „Der ist bestimmt besoffen!“
Die Frau vom Mähenden tätschelt Dir mit grasgrünen Fingern das Gesicht. „Ich dachte, Sie wollen meine Wäsche klauen.“

Die Bullen schreiben Dir nur einen Zettel, weil Du entgegen der Fahrtrichtung parkst und sagen angesichts der Fingerfarbschmiererei: „Waschen würde dem Wagen auch nicht schaden, oder?“

Die Fettel ist aus dem Haus gekommen und hat vorsichtshalber eine leere Flasche am Hals gepackt, weil Du ja noch frei rumläufst und bestimmt gefährlich bist, weil doch auch die Polizei da ist. Da muss man vorsichtig sein und sich wehren können, falls Du sie anfallen und vergewaltigen willst.
„Ich hab das gleich gesehen, dass der was im Schilde führt! Gibt’s da ’ne Belohnung?“

Die Mähenden klären die Situation, Du darfst dann sogar ins Wohnzimmer und bekommst eine Aspirin zum Apfelsaft. Es tut ihnen immer noch leid und der Kopf Dir weh.
Du hast etwas Lehm im Mund.

Die Leute sind sehr nett zu Dir und froh, dass Du gekommen bist. Sie wären ja auch zu Dir ins Bestattungshaus gekommen, aber wenn sie von ihrem Haus wegfahren, ist hinterher der Parkplatz immer weg und dann muss man manchmal weiter unten parken, wo die Kinder von den Antiautoritären immer das Auto bemalen. Nee, ’s wäre echt schön, dass man die Mühe auf sich genommen hätte.

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(©si)