Allgemein

Werner III

Edith und ihre Tochter Ilona waren da. Edith kannte ich ja vorher schon, sie paßt zu Werner. Ilona ist eine wunderhübsche junge Frau und die Mutter von Werners sechsjährigem Enkel Tobi, den ich auch schon ein paar Mal gesehen hatte.

Aber an ihren blassen Gesichtern, an Ediths fahrigen Bewegungen und der zitternden Unterlippe von Ilona sieht man, daß die beiden Frauen nicht Herr ihrer selbst sind, sie stehen, wie man so sagt, neben sich. Werner ist ein ganz ruhiger Mensch und dennoch der Mittelpunkt der ganzen Familie. Kein Familiendespot, sondern der ruhende Pol, zu dem jeder kommen kann, jemand der Kompetenz und Kraft ausstrahlte.

Die Nachrichten, die die beiden bringen, klingen nicht gut. Werner ist nun an Maschinen angeschlossen und wurde verlegt. Man könne ihn vor lauter Schläuchen kaum sehen und er bekomme auch nicht mit, wer ihn besucht.

Werbung

Ich kann nicht viel tun, biete meine Hilfe an, kann wieder nur die Hand von Edith halten und eine Packung Papiertücher für Ilona holen. Was soll ich auch sonst tun, ich kann das, was wohl unausweichlich ist, nicht aufhalten. Edith glaubt fest daran, daß es sicher noch irgendeinen Weg gibt, klammert sich daran, daß es auch einem anderen Bekannten erst ähnlich schlecht ging und er dann wieder ganz gesund geworden ist. An Ilonas Augen sehe ich, daß sie eher bereit ist, zu akzeptieren, daß es mit ihrem Vater wohl zu Ende geht.

„Wartet’s ab, morgen geht es ihm bestimmt wieder besser“, beharrt Edith und ich nicke nur. Was soll ich ihr die Hoffnung rauben, auch wenn ich weiß, daß Werner heute wohl nicht sterben wird. Erst wenn er wieder kurz aufgeblüht ist, wenn es aussieht, als könne er gleich in der nächsten Stunde aufstehen und das Krankenhaus verlassen, dann kommt der Tod.
Das habe ich schon tausende von Malen so gehört und oft auch selbst erlebt. Mir scheint, als ob der Körper irgendwann den inneren Kampf gegen die Krankheit aufgibt und die dann freiwerdenden Kräfte eine letzte Blüte, ein letztes scheinbares Erstarken ermöglichen. Sind aber diese letzten Kräfte aufgebraucht, dann ist die Krankheit übermächtig und reicht das Zepter an den Tod weiter.

Was immer die beiden auch an Problemen haben werden, was auch immer auf sie zukommen wird, sie können sich jederzeit an mich wenden und ich werde ihnen helfen. Das sage ich auch mehrfach und ansonsten beschränke ich mich aufs Zuhören. Das ist manchmal viel wichtiger als alles andere.

Und dann kommt der Moment, mit dem ich nicht gerechnet habe. Edith scheint doch in gewissen Momenten den bevorstehenden Tod ihres Mannes anzunehmen, denn sie fragt ob sie mal sehen darf, wo Werner dann hinkommt.

Wir fahren Aufzug und insgeheim hoffe ich, daß die da unten im Technikbereich aufgeräumt haben. Manchmal sieht es aus, als hätten die eine Fuhre Sperrmüll zerkleinert. Das ist vor allem dann der Fall, wenn Dutzende von Särgen montiert und ausgestattet wurden und sehr viel gehobelt, gebohrt und gehämmert worden ist. Dann liegen Stofffetzen herum, Sägemehl liegt in der Luft und es riecht nach Schreinerwerkstatt.

Aber meine Befürchtungen sind unbegründet, alles ist aufgeräumt. Ich zeige Edith den Einbalsamierungsraum, sage nicht viel und fahre dann gleich mit ihr hoch, um ihr unsere Hauskapelle zu zeigen. Die für diese Jahreszeit typische tiefstehende Sonne scheint durch die Buntglasfenster zu scheinen, aber das ist nur eine Illusion, in Wirklichkeit sind es Scheinwerfer.

Edith und Ilona setzen sich, fassen sich an den Händen und Edith sagt: „So, und da vorne wird er dann liegen…“
Ich drücke auf den Schalter am Technikpult und leise beginnt Entspannungs- und Wohlfühlmusik zu spielen. Die CD gehört Frau Büser, die sich manchmal mittags hierhin zurückzieht. Wasser plätschert, Geigen säuseln und irgendwo zwitschern auch ein paar Vögelchen.

Edith legt ihren Kopf an die Schulter ihrer Tochter, beide weinen und ich habe einen Kloß im Hals.

Zu lang darf ich diesen Moment nicht werden lassen, sonst sacken mir beide jetzt schon zu tief ab, sie werden ihre Kraft aber noch brauchen und wenn Werner mal nicht mehr ist, habe ich noch genug in petto, um mit dem Budenzauber des Bestatters allenthalben für befreite Emotionen zu sorgen.

„Kommt, ich mach Kaffee“, sage ich und sie folgen mir sofort.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#werner

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)