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Zum blauen Bock

orgel

Markenzeichen der TV-Äppelwoi-Wirtschaft „Zum Blauen Bock“ war ja immer der Bembel, jener irdene Apfelweinkrug mit dem springenden Bock drauf. Manch einer von uns erinnert sich noch daran, wie die „Frau Wirtin“, Lia Wöhr, mit dem Bembel schlenkernd herbeischlenderte, um den plauderfreudigen Heinz Schenk ein wenig im Fortgang der Sendung zu beschleunigen. Wenn Oberkellner Schenk dann mal nicht so zügig fertig wurde, hatte Frau Wirtin den Bembel auch schon mal unter den Arm geklemmt und wippte mit dem Fuße.

Warum erzähle ich das? Das ist ja nicht das TV-Weblog hier.
Na, ich fühlte mich heute an dieses Bild erinnert. Ich war auf einer Urnenbeisetzung. Die Witwe war alleine, niemand wäre mit ihr mitgegangen, da habe ich mir gedacht, es wäre doch gar nicht verkehrt, wenn ich ihr meine breiten Schultern zum Anlehnen leihe.

Um 14 Uhr war der Termin, wir sind kurz vorher da. Um genau 14 Uhr kommt der Friedhofswärter aus seinem Kabuff. Er trägt eine grüne Gärtnerlatzhose, ein kariertes Baumfällerhemd und gelbe Gummistiefel. „Können wir?“

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„Nee“, sage ich, „könnten Sie sich vielleicht noch was anderes anziehen?“

Der Grobschlächtige brummt, geht nochmal rein und als er wieder rauskommt, hat er einen grauen Hausmeisterkittel übergezogen. Die Urne trägt er unter dem Arm, so als ob er ein Ferkel zu Markte trägt, oder eben einen Bembel.

Einen Pfarrer gibt es nicht, das will die Witwe ohne Brimborium hinter sich bringen, also gehen wir los. Der Bembelmann stapft mit großen Gummistiefelschritten voraus, ich schließe auf und flüstere ihn von hinten an: „Können Sie die Urne nicht würdiger tragen?“

Er glotzt bloß einmal doof über seine Schulter und marschiert weiter.

Am Grab bleibt er stehen, stellt die Urne neben das ausgehobene Loch, wartet bis ich mit der alten Dame auch da bin, dann sagt er: „Is noch was?“ Ich nicke und trete einen Schritt zur Seite und sage ein paar feierliche Worte, schließe mit dem Vaterunser ab, das die Witwe richtig laut mitbetet.
Am Ende sage ich „Amen“ und der Bembelmann nimmt die Urne. Statt die beiden Bänder herauszuziehen, um die Urne langsam abzulassen, kniet er sich hin und lässt die Blechdose einfach ins Loch fallen, sodass es unten hörbar „Plong“ macht.

Dann steht er auf, dreht sich um und stapft weg. Der verbeugt sich nicht mal, nichts, gar nichts.

Wenigstens steht ein Holzkübel mit etwas Erde und einer Schaufel da. Ich führe die Witwe hin und helfe ihr dabei, ein paar Schäufelchen ins Loch zu werfen. Dabei merke ich, dass sie davon gar nicht genug bekommt. Blitzschnell überlege ich, was los ist und dann kommt mir die Idee: „Soll’n wer zuschaufeln?“ Sie nickt heftig: „Ja bitte, ganz zu!“ Ich sage: „Damit der das nicht macht?“ „Ja“, sagt sie, „der war gräßlich, lassen Sie uns das machen.“

Gemeinsam, jeder immer drei, vier Schaufeln, haben wir das Loch zugeschüttet, die ganze Erde hineingeschaufelt, vielleicht insgesamt 10-15 Liter. Als wir fertig sind strahlt die Alte vor Freude, klopft die Erde noch mit der Schaufel fest und sagt: „Das war jetzt aber schön.“

Beim Rausgehen steht der Friedhofsmann am Durchgang, den Kittel hat er schon wieder aus und hält die Hand hin, sodass man nicht weiss, ob er der Witwe die Hand geben will oder ob er um ein Trinkgeld bettelt. Ich will die Witwe weiterziehen, nicht dass die dem Deppen noch was gibt. Doch sie bremst, wie ein Hund am Eingang von der Tierarztpraxis, bleibt stehen und nestelt ihren Geldbeutel aus der Handtasche. „Nicht doch!“, denke ich, doch dann sehe ich, wie sie mit spitzen Fingern dem Friedhofsmann ein einzelnes Centstück in die Hand legt. Dazu sagt sie: „Mehr war das nicht wert. Schönen Tach noch!“, dreht sich um, hakt mich ein und sagt beim Weggehen zu mir: „So, und jetzt gehen wir zwei Hübschen einen trinken und der nächste Penner an der Ecke kriegt von mir 20 Euro geschenkt.“


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Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 14. August 2007 | Revision: 28. Mai 2012

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Icke
17 Jahre zuvor

ein einzelnes Centstück? Die Frau hat den Wert dieser Darbietung genau erkannt…

(Für die Arbeit als solche wird er ja von der Stadt bezahlt und die wird der Witwe ja schon über eine entsprechende Gebühr in Rechnung gestellt.)

luis
17 Jahre zuvor

mh erinnert mich an die beerdigung einer guten freundin.

auch urnenbeisetzung, der friedhofsmensch stand während der rede schon mit dem schubkarren bereit und mit der schaufel im anschlag…

hmhm naja er hat keinen cent bekommen.

Philipp
17 Jahre zuvor

Kann man sich über solche furchtbaren Menschen nicht beschweren? Es geht immerhin noch um Menschen, wenn auch tot. Vielleicht wurde dem Typ aber auch das ganze als Ein-Euro-Job aufs Auge gedrückt und er würde lieber auf dem Sofa hocken und beim 4. Sternburg Export Zwei bei Kallwas schauen.

17 Jahre zuvor

Beim surfen entdeckt I: Der freundliche Bestatter 2.0…

Er heißt Tom und ist Bestatter. Dementsprechend fährt er auch ein Bestattungsfahrzeug und keinen Leichenwagen, das ist ihm wichtig. Aber was macht Tom so besonders? Er ist ein sogenannter “Berufsblogger”, das heißt er berichtet über s…

Nian
17 Jahre zuvor

Wiedermal bin ich "gerührt" über Dein verhalten, wie Du das wieder hinbiegst, wie du die Würde wahrst.

@Philipp, selbst von einem 1-Euro-Jobber kann man erwarten das er den Job anständig macht, ich würde…

Und die alte Dame war klasse 🙂

lg Nian

Melly
17 Jahre zuvor

Geil – so wie die Dame hätte ich an der Stelle auch reagiert 😉

17 Jahre zuvor

Wow, vor der Dame hab ich Respekt. Hut ab!

@Undertaker:

Gehst Du öfter mit auf den anschließenden Leichenschmaus bzw. wirst Du dazu eingeladen? Ein Pfarrer geht ja auch oft mit.

Bitte nicht doppeldeutig verstehen: Wurde das nicht persönlich, wenn Du mit der Dame einen heben gehst? Oder hast Du diesbzgl. Grenzen und Prinzipien?

LeSmou
17 Jahre zuvor

man kann von jedem verlangen dass er sowas anständig macht.

Es tut mir für die alte Dame Leid dass sie sowas erleben musste aber anscheinend konnte Sie sehr gut damit umgehen. Solche älteren Menschen die noch schlagfertig sind (und nicht nur alt und gemein – die gibts auch) und n guten Spruch auf den Lippen haben imponieren mir irgendwie. Und den Humor auch nicht verloren. Perfekt! Ich mein jeder normale Mensch hätte dem nix gegeben und vielleicht n dummen Sprüch gedrückt (wenn überhaupt), ein paar wenige sind überhöflich und geben trotzdem was, und gaaanz wenige machens so wie du das beschrieben hast.

Finde das eigentlich die bisher schönste Geschichte in deinem Blog. Finds herrlich.

Was gabs denn noch zu trinken und hat sich der Obdachlose gefreut?

undertaker
17 Jahre zuvor

Wir haben im Café Bauer Pfirsichlikör getrunken. Nicht so mein Lieblingsgetränk, aber sie hat sich doch so darauf gefreut.

Und nein, ich gehe normalerweise nicht mit zum Kaffeetrinken. Es ist schon mal vorgekommen, aber das sind die Ausnahmen.

CCA
17 Jahre zuvor

Wie sagt man so schön im Netzslang?

Owned.

Tux2000
17 Jahre zuvor

Das Verhalten war ja wirklich unmöglich. Dann aber exakt einen Cent Trinkgeld zu geben, ist unschlagbar gut. Wie's scheint, hat der Tod ihres Mannes die Witwe keineswegs aus der Spur geworfen. Ich bin beeindruckt.

Tux2000

Kiki
17 Jahre zuvor

Das gibt es doch gar nicht! Wie kann jemand so "roh" in seinem Verhalten sein und dann auch noch einen solchen Job ausüben. Dem sollte mal gehörig einer den Marsch blasen! Mir tut nur die Witwe leid. Ich find das klasse, das du sie da nicht ganz alleine gelassen hast. Ein dickes Lob.

Martin III.
17 Jahre zuvor

Das erinnert mich an die Beerdigung meines Großvaters, da hat sich nach dem "Wir geleiten den Verstorbenen nun zur letzten Ruhe" des Trauerredners auch der bereitstehende Bestatter die Urne unter den Arm geklemmt und ist losgestiefelt ehe die Trauergesellschaft komplett aufgestanden war – meine Mutter ist hinterher, hat ihn am Ärmel festgehalten und ihm gesagt dass sie Wert darauf legen würde dass er sich ihren Vater nicht so respektlos unter den Arm klemmt. Immerhin war es ihm gehörig peinlich, er ist rot geworden und war dann nach dem Absenken der Urne blitzschnell verschwunden.

Thomas
17 Jahre zuvor

Ist das denn wirklich die Aufgabe des Friedhofswärters, die Urne zur Beisetzung zu bringen? Auch, wenn man kein "Brimborium" will, sollte es doch zumindest jemanden geben, der dafür zuständig ist. Ich meine, es ist ja klar, daß Friedhofswärter Gummistiefel eher passen als Anzug und Krawatte und er daher für die sakraleren Dinge weniger geeignet ist – sein Verhalten ist jetzt wieder eine andere Geschichte.

Willy
17 Jahre zuvor

Bravo! … sehr souverän.

Mafdet
17 Jahre zuvor

Wie geil ist das denn? Die Witwe ist Klasse. Kein Trinkgeld zu geben ist nicht halb so cool, wie die Sache mit dem einen Cent.

– Und der Friedhofswärter gehört gefeuert.

@MartinIII: Na, wenigstens hat sich der Typ geschämt. Komisch, als wir die Urne meiner Mutter beigesetzt haben, hat sich der Pfarrer vorher erkundigt, wer denn dann die Urne tragen soll. Wir haben uns darauf geeinigt, dass das mein Mann macht, und der hat sie sich nicht unter den Arm geklemmt, sondern sie so getragen, wie sich das gehört.

Ich finde es unvorstellbar, dass es Leute gibt, die Urnen behandeln als wären es alte Eimer.

undertaker
17 Jahre zuvor

Selbstverständlich ist das die Aufgabe eines Friedhofsmitarbeiters. Dafür hat er von der Stadtverwaltung extra einen Anzug bekommen. Zu seinen Aufgaben gehört die Pflege des gesamten Friedhofes, das Ausheben und Verschließen der Gräber, die Beisetzung von Särgen und Urnen, der Verkauf von Gräbern, die Verlängerung von Grabverträgen und der ganze niedere Verwaltungsteil.

Das Wort Friedhofswärter hat sich so eingebürgert, in Wirklichkeit sind das Fachmitarbeiter des städtischen Friedhofsbetriebes oder wie wir es nennen: Die die als Schulhausmeister zu doof waren.

17 Jahre zuvor

Manche Menschen sind einfach widerlich. Toll, dass die Frau so angemessen reagiert hat!

Andreas
17 Jahre zuvor

Toll! Einfach nur toll!

17 Jahre zuvor

owned!

…ist auch das einzige, was mir dazu einfällt!

…aber 'n gesalzenen Brief an die Stadtverwaltung hätte ich wohl auch noch geschrieben!

Mario
17 Jahre zuvor

Guten Morgen! You made my Day!

Jetzt kann ich schlafen gehen!

Anja
17 Jahre zuvor

Die Geschichte ist wirklich großartig geschrieben! Meine Hochachtung!

1st-level.net
17 Jahre zuvor

Wenn der Bestatter loslegt…

Es ist an der Zeit, einen Blog vorzustellen, welchen ich seit einiger Zeit sehr gerne lese: Den eines Bestatters. Mit seinem aktuellen Beitrag zeigt der “undertaker” erneut sein sympathisches Wesen und den würdevollen Umgang mit dem …

Kianga
17 Jahre zuvor

Ich zieh meinen Hut vor der Dame! Respekt!

Louffi
17 Jahre zuvor

Großes Lob an euch beide – für deine Feinfühligkeit und für ihre Schlagfertigkeit. Sehr schöne Geschichte!

LadyMarguerite
17 Jahre zuvor

Ich schließe mich an … schöne Geschichte, symathische Frau und sympathischer undertaker 🙂

17 Jahre zuvor

->"Die die als Schulhausmeister zu doof waren."

Oooch, das war jetzt aber nicht nett… An allen Schulen, die ich besuchte, hatten wir fleißige, intelligente und vor allem total liebe Hausmeister. Wollte ich nur mal gesagt haben 🙂

Der Dame meinen höchsten Respekt für ihre Schlagfertigkeit und dir mal wieder meinen dank für eine schöne Geschichte, die meine Mittagspause erheitert.

undertaker
17 Jahre zuvor

@Kathrin: Nichts anderes sage ich doch. Die Schulhausmeister sind doch nur deshalb so fleissig und nett, weil die die zu doof für den Job sind … usw.

Andre
17 Jahre zuvor

Hab ich tränen gelacht – klasse 🙂

rosebud
17 Jahre zuvor

Aus meiner Erfahrung als ehemaliger Mitarbeiter im Bestattungsgewerbe kann ich das nur bestätigen, die meisten Friedhofswärter haben einen IQ knapp unterhalb der Grasnarbe, aber nicht jeder benimmt sich zum Glück so unangemessen wie hier beschrieben, so ein Knallkopf…

Bei einer Urnenbeisetzung im eigenen Familienkreis habe ich allerdings mal einen Bestatter der alten Schule erlebt, der die Angehörigen mit den Worten verabschiedete: " So, da hätten wir es mal wieder geschafft…." Hoffentlich geht der bald in Rente.

17 Jahre zuvor

Plong….

Bestattungen sind per se in der Regel kein sonderlich angenehmes oder gar freudiges Ereignis. Selbst wenn man das Ableben des Hauptdarstellers dieser Veranstaltung gut heißt, hält man sich dennoch zumeist mit Freudenbekundungen zurück.

IngoH
17 Jahre zuvor

Selbst wenn man kein "Brimborium" möchte, so sollte doch auch solch eine schlichte Beerdigung mit Würde vonstatten gehen. Eigentlich gehört da nichteinmal viel dazu – schade, dass selbst solch ein Minimum an Respekt und Anstand von einigen Menschen (die noch dazu für sowas bezahlt werden!!) schon zuviel verlangt ist…

Schön, dass du die Situation für die Witwe noch hast zum Guten wenden können. Was für eine fürchterliche Erinnerung wäre das für sie wohl gewesen, hätte sie alleine dort gestanden…

So aber kann sie sich hoffentlich noch lange an die besseren Momente dieser Beerdigung erinnern und selbst an diesen unwürdigen Trampel noch mit einem kleinen Lächeln denken. 🙂

17 Jahre zuvor

als begeisterter six-feet-under-gucker bin ich auf dieser Seite gelandet. Und dann auch noch bei dieser Geschichte, die echt zu Herzen geht. Respekt vor der alten Dame!!

17 Jahre zuvor

Wenn ich daran denke, wie empört ich war, als bei meinem letzten Chorauftritt die Wirtin des Gasthauses sich im Vorhinein bei den anderen Gästen entschuldigt hat, daß wir hier singen … und dabei war das Ganze terminlich vereinbart und hätte durchaus ausgehängt werden können.

Man vergleiche das Ganze mit der im Artikel beschriebenen Situation. Wenn die alte Dame ein schwaches Herz und eine labile Psyche gehabt hätte, dann hätte der Friedhofswärter am Ende noch einen Todesfall zu verantworten gehabt. Unter diesen Bedingungen so cool zu bleiben und das Ganze dann auch noch so stilvoll zu beenden, zeugt von Klasse auf beiden Seiten. Leider eine Eigenschaft, die verloren zu gehen scheint. Ich hätte an ihrer Stelle wahrscheinlich einen cholerischen Anfall bekommen.

Vielen Dank für diese Tragödie mit Happy End!

16 Jahre zuvor

[…] geht. Ebenfalls bei Frau Gröner habe ich das Pizzablog gefunden, durch das ich wiederum auf einen unglaublich guten Eintrag im Bestatterwebblog gestoßen bin, das grundsätzlich auch recht lesenswert ist. Nein, ich habe […]

TickleMeNot
12 Jahre zuvor

Herrlich! Und wenn man bedenkt, das die Dame beinahe allein mit dem Friedhofsmenschen gewesen wäre…




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