Menschen

Zurück aus Amerika

Herrn Avenroid heißt eigentlich Avenarius. Aber eigentlich müßte ich schreiben, daß er eigentlich so hieß, denn einerseits ist Herr A. tot und andererseits hat er seinen Namen vor über vierzig Jahren ändern lassen.

In seinen Taschen trug er Papiere auf den Namen Avenroid und zu Hause in der Kommode lagen immer Papiere mit dem Namen Avenarius.
Nebenbei bemerkt finde ich ja lateinische oder lateinisierte Namen sehr schön. Irgendwie haben die für mich einen ganz besonderes Klang. Aber Herr A. fand seinen eigentlichen Namen unpassend und entschied sich für einen ähnlichen Namen, der besser auszusprechen ist. Er lebte in USA und Kanada, da geht so was.

Werbung

Als er noch Avenarius hieß, ist er mit seiner Frau und einem kleinen Sohn nach Amerika ausgewandert. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wollte er sein Glück und sein Geld machen und hatte von einer Karriere geträumt, die ihn vom Tellerwäscher bis zum Millionär hätte führen sollen.

Warum er letztlich nicht Millionär geworden ist, mag an vielen Dingen gelegen haben, vielleicht aber in erster Linie daran, daß er nicht als Tellerwäscher, sondern als Zimmermann angefangen hatte.
Das war vor über 40 Jahren und in all diesen Jahren hatten er und seine Familie es nicht zum erhofften Wohlstand gebracht. Wenn überhaupt, dann lebten die Avenroids in bescheidenem Luxus, denn aus unserer deutschen Sicht wird so manches als Luxus angesehen, was in Amerika und für Amerikaner selbstverständlich ist.

Kommt so ein Ami zu uns und erzählt uns, daß er ein Haus, einen Swimming-Pool, ein Boot am See und drei dicke Autos hat, dann klingt das für uns wie Luxus, bedeutet aber nicht viel. Das Haus besteht aus Gipskarton und Holzlatten, sämtliche Installationen würden bei uns so nicht mal von einem ungelernten Schwarzarbeiter gemacht und vom als Luxus empfundenen Boot aus muß der Ami zweimal die Woche Fisch fangen, weil der Familie der Supermarkt zu teuer ist. Nicht nur das, sondern vieles ist in Amerika eben anders.

Wenn man ein paar Amis kennt, schon mal dort war oder sich vernünftig informiert, dann vergeht einem recht schnell der Wunsch nach spontanem Auswandern, wie ihn offensichtlich besonders viele Leute ohne Ausbildung und englische Sprachkenntnisse hegen.

Grundsätzlich ist Amerika ein phantastisches Land, es ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und es ist, was das Umfeld anbetrifft, viel schöner, als uns immer vorgegaukelt wird. Wir haben uns jahrelang Gedanken und Sorgen über George Dabbeljuh gemacht, während Millionen Amerikaner nur eine ungefähre Vorstellung davon hatten, wer das überhaupt ist.
Nirgendwo kann man so günstig an Land kommen, sich so problemlos eine Karriere aufbauen und auch mit der blödesten Idee noch Erfolg haben.
Wer die amerikanische Lebensweise begriffen hat und dreimal so fleißig ist wie ein deutscher Gewerkschaftsarbeiter, wer mit 14 Tagen Urlaub im Jahr hinkommt und nicht 18 mal im Jahr zum Arzt rennt und wer bereit ist härter zu arbeiten, als er es sich vorstellen kann, notfalls in drei verschiedenen Jobs, der hat die Chance auf den Jackpot.

Wer aber hier nichts taugte, der wird auch drüben nichts taugen und tauscht den Plattenbau nur gegen eine amerikanische Mietskaserne oder ein Billighäuschen ein.

Nur: Hier hast Du das Backup durch Krankenkasse, Hartz-IV, Kirchen und Verbände, Tafeln, Suppenküchen und Kleiderkammer. In Amerika scheißen sie Dir was, denn Goodies gibt es nur für Cash und die Familie, die einem vielleicht sonst geholfen hätte, die sitzt tausende von Kilometern weit weg in Deutschland und ist neidisch und vielleicht sogar voller Häme, gerade weil es Dir schlecht geht.

Nee, nee, in Amerika muß man ran, da zählt Leistung und Tatkraft, dann kann’s klappen.

Ob Herr Avenroid fleissig war, das kann ich nicht beurteilen. Zumindest mal haben seine zwei Söhne es halbwegs zu was gebracht. Der eine ist Manager in einem großen Elektronik-Laden und der andere hat eine kleine, eigene Autowerkstatt.
Frau Avenroid ist schon vor Jahren gestorben und liegt auf einem Friedhof der „Southern Oaks Memorial Central“ heißt. Das ‚Central‘ hatte man hinzugefügt, als der alte, eigentliche „Südliche Eichen Gedenk“-Friedhof wegen einer Umgehungsstraße nicht mehr erweitert und weiter belegt werden konnte. Seitdem gibt es eben den alten Friedhof ohne ‚Central‘ und den großen, neuen mit diesem Zusatz.
18.000 Dollar hatte seinerzeit die Beerdigung von Frau Avenroid gekostet und das, obwohl man auf jeglichen außergewöhnlichen Pomp verzichtet hatte.
Aber in Amerika kann ein recht einfacher Truhensarg auch schon mal 3.999 Dollar kosten und so ein Grab auf alle Zeit an einer schönen Stelle, ja auch das kostet schnell mal eben 4.000 bis 5.000 Dollar. Da sind die 10.000 Dollar für den übrigen amerikanischen Beerdigungspomp gar nicht mal viel. Wer nicht auf den Dollar gucken muß, der legt auch leicht das Drei- oder Vierfache hin, das geht problemlos!

Jetzt sitzt Dietmar P. Avenroid vor mir und hat ein Problem.
Auch wieder nebenbei bemerkt: Ich verstehe es nicht, warum viele deutschstämmige Amerikaner ihren vermeintlich unamerikanisch klingenden und schwer auszusprechenden Nachnamen ändern, dann aber ihre noch viel komplizierteren Vornamen behalten und ihren Kindern wiederum solche geben.
Jörg, Jürgen und alles andere mit Umlauten und vor allem Namen mit ‚ie‘ und ‚ei‘ machen den Amerikanern viel mehr Schwierigkeiten.
Dieser Herr Avenroid beispielsweise erzählte mir, daß er sich seit einiger Zeit „Dan“ nennen läßt, weil alle seinen Vornamen immer wie „Dei-et-mähr“ ausgesprochen haben.

Aber das ist natürlich nicht das Problem, mit dem sich Herr Avenroid an uns gewandt hat. Er ist vor allem deshalb nach Deutschland gekommen, um die letzten Angelegenheiten seines Vaters in Ordnung zu bringen. Da gibt es noch eine Sechszehntel-Eigentümerschaft an einem Häuschen in Oberursel und vor allem den Wunsch seines Vaters, in Heimaterde beerdigt zu werden.

Und das, ja das ist gar kein so seltener Wunsch, wie man vielleicht glauben mag. Sehr viele Auslandsdeutsche, auch wenn sie inzwischen längst US-Bürger, Kanadier, Paraguyaner oder Australier geworden sind, besinnen sich in hohem Alter auf ihre Wurzeln und haben dann den Wunsch bei ihren Eltern oder Geschwistern irgendwo in Deutschland beerdigt zu werden. Oft scheitert dieser Wunsch an finanziellen Dingen, denn wir wissen ja schon, daß viele irgendwo auf dem Weg vom Tellerwäscher zum Millionär stecken bleiben und das zumeist eher in der Nähe des Tellerwäschers.

Nun haben die amerikanischen Avenroids genug Geld, sie sind nicht reich, aber sie können sich ein Grab hier leisten und ganz erheblich vereinfacht wird die Sache dadurch, daß Herr Avenroid sen. nicht nur eingeäschert worden ist, sondern daß ‚Deietmähr‘ seine sterblichen Überreste in einer plastikbunten Urne in Technicolor praktischerweise einfach gleich im Gepäck mitgebracht hat.
Ein Zettel mit County-Stempel, ein Aufkleber mit „HUMAN REMAINS“ auf der Urne und ein paar amerikanische Sterbepapiere, das hat ausgereicht, daß er die Urne einfach so hat mitnehmen dürfen. Pfff, und wir müssen unser Haarshampoo ausschütten, wenn wir mehr als 100 ml davon mit ins Flugzeug nehmen wollen…

Was kommt jetzt alles?
Das ganze amerikanische Zeug muß übersetzt werden, die Friedhofsverwaltung muß verständigt werden, ein Grab muß gekauft werden…

„Und whas, when isch die Ürn mit die Äsches so einfach örgendwo…?“
Herr Avenroid macht eine Handbewegung, als würde er einen vereisten Gehweg mit Salz bestreuen und zieht fragend die Augenbrauen hoch.

Ihm schwebe da so eine Stelle vor, die er zwar erst noch finden müsse, von der seine Eltern aber immer mal wieder gesprochen hatten, irgendwo an einem Weiher, wo drei Bäume stehen, unter denen sich die Avenroids, als sie noch ganz junge Leute waren, immer getroffen hatten. An einem der Bäume müsse sogar ein Herz mit ihren Anfangsbuchstaben eingeritzt sein. Er bezweifle zwar, daß er genau diese Bäume finden würde, aber immerhin, er könne es doch mal versuchen, oder?

Tja, warum nicht? Offiziell weiß keine Behörde von der Anwesenheit des Herrn Avenroid sen. in unseren Gefilden und selbst wenn eines Tages herauskäme, daß irgendwo am Ufer eines Weihers die Asche des Heimgekehrten verbuddelt oder verstreut worden ist, wer und wie wollte einen in Amerika lebenden Nachkommen deswegen belangen?

Was er mir schuldig sei, will der Amerikaner wissen, ich heben nur hilflos die Achseln und schüttele den Kopf. Nix, denn nur für ein einstündiges Beratungsgespräch, das dann darauf hinausläuft, daß wir nichts tun müssen und können, kann ich nichts berechnen.

Er legt mir ein paar Dollarnoten auf den Tisch, ich kann nicht erkennen, wieviel das ist, denn die Ami-Währung hat die Eigenschaft in jeder Ausprägung grün und vor allem gleich groß zu sein. Später sehen wir, daß es dreißig Dollar sind, ich gebe sie in die Kaffeekasse der Damen und Sandy „kauft“ sie den anderen gleich ab, denn sie kennt da jemanden, der in den Läden der amerikanischen Soldaten einkaufen kann und von dem lässt sie (Achtung, erotische Lese-Stolperfalle!) sich manchmal was von dort besorgen und er nimmt gerne Dollar-Bargeld dafür.

So packt Herr Avenroid jun. die grellbunte Urne mit der Asche seines Vaters wieder in den Samsonite-Kosmetikkoffer und schüttelt mir die Hand.

„Halten Sie mich auf dem Laufenden!“ gebe ich ihm mitsamt einer Visitenkarte von uns auf den Weg und er verspricht, daß er sich melden wird.

Da geht er also mit der Asche im Gepäck und sucht irgendwo bei Oberursel einen Weiher dessen Namen er zwar kennt, von dem er aber nicht weiß, ob es ihn nach über 40 Jahren noch gibt.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Lesezeit ca.: 11 Minuten | Tippfehler melden | Revision:


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)