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Christiane II

Die Damen der Familie müssen alle früh Mutter geworden sein, Christiane ist erst 26 Jahre alt und sowohl Mutter als auch Oma sind noch nicht besonders alt. Ich selbst bin ja ein Nachkömmling, habe einen Bruder der fast mein Vater sein könnte und hatte somit auch schon ziemlich ‚alte‘ Eltern. Von meinen Großeltern habe ich nur die Mutter meines Vaters gekannt, die starb aber auch als ich noch ganz klein war. Ich finde, sie war eine schöne Frau.

Meine Oma wurde 1880 geboren, der Opa mütterlicherseits gar 1870. Das sind andere Dimensionen in den Generationen, als bei den Lauinger/Stieglers.

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Meine Güte, ich kann nicht mit jedem der da kommt Mitleid haben, das würde kein Mensch auf Dauer im Kopf aushalten, aber wenn das so junge Menschen sind, dann habe ich doch immer einen Kloß im Hals. Das Gespräch kommt in Gang, ich vermeide es, mit den Leuten jetzt schon über Sarg und Wäsche zu sprechen, frage stattdessen, ob es schnell gegangen ist.
Eine ziemlich blöde Frage, so für sich genommen, aber ich bin fast immer der Erste, dem die Menschen ihre Geschichte erzählen können, vor dem sie ihren Kummer ausbreiten können. Im Laufe der Jahre entwickelt man als Bestatter ein Gespür dafür, welche Leute man besser nicht auf die näheren Umstände anspricht und bei welchen das genau richtig ist.

Bei den Lauingers ist es richtig. Wie ein Wasserfall sprudeln aus Vater und Mutter die Sätze nur so hervor. Nein, es sei nicht schnell gegangen, Christiane sei langsam, ganz langsam an Krebs zugrunde gegangen, Bauchspeicheldrüse und Magen, schmerzhaft, langwierig und ja, der Tod sei eine Erlösung gewesen.
Naja, dann hat es halt so sein müssen und abgesehen vom jungen Alter der Verstorbenen wäre jetzt alles seinen Gang gegangen, doch dann sagt Oma Stiegler: „Besonders schlimm ist das ja für die Kinder.“

„Kinder?“ frage ich vorsichtig und Frau Stiegler sagt: „Ja, die waren die letzte Zeit bei mir, jetzt kümmert sich gerade Jochen, mein Mann um die Kleinen, Tobias, der Mann von Christiane ist sowas von fertig, der konnte nicht mitkommen.“

„Ach, Du Scheiße!“ entfährt es mir unwillkürlich und aus Verlegenheit huste ich ein bißchen.

„Da haben Sie aber Recht!“ freut sich Herr Lauinger ganz aufrichtig und bekräftigt: „Scheiße, Scheiße, Scheiße! Mal endlich jemand der es beim Namen nennt.“

„Wie alt sind denn…“

„Drei und fünf. Lisa ist drei und Benny ist fünf, der kommt nächstes Jahr in die Schule, also jetzt im Sommer, nächstes Schuljahr meine ich“, sagt Frau Lauinger.

Schon als ich hörte, daß Christiane nur 26 Jahre alt geworden ist, hatte ich ein schlechtes Gefühl, aber jetzt sehe ich vor meinem geistigen Auge die Kinder mit ihrem Vater in der ersten Reihe sitzen und hoffe insgeheim, daß die Trauerfeier auf einem Friedhof stattfindet und nicht bei uns. Ich bin selbst Vater und meine Frau und ich können das, wenn ich mal ganz ehrlich bin, nicht gut sehen. Man zieht ja doch immer Parallelen und Vergleiche.

Ich schreibe alles auf und dann kommt doch der Moment, in dem ich die Särge zeigen muß. Es ist jetzt fast so etwas wie eine willkommene Abwechslung. Vor Jahren hat Herr Lauinger beruflich mal was mit Holz zu tun gehabt, er kennt die verschiedenen Holzsorten und achtet besonders auf die Maserung. So entscheidet er sich für einen mittelhellen Ahornsarg, der besonders schön poliert ist und trotz seiner schlichten Form etwas hermacht. Die Auswahl der Decke will die Familie mir überlassen und bei meiner Frage nach eigener Kleidung schütteln alle den Kopf: „Sie hat jetzt so lange Nachthemden getragen… außerdem würde ihr ja sowieso nichts passen.“
Also ein Talar, auch den soll ich aussuchen.

Ob es eine Erd- oder Feuerbestattung werden soll? Ja darüber hat man sich noch gar keine Gedanken gemacht und ist verblüfft über das eigene Unvorbereitetsein. Also berate ich die Familie, erkläre die verschiedenen Möglichkeiten und Wege und als ich in einem Nebensatz das Wort Bestattungswald fallen lasse wird Herr Lauinger hellhörig: „Das wäre was. Informieren Sie mich da doch mal genauer.“

Ich erkläre es ihm und die Idee findet allgemeinen Anklang. „Wir können uns also einen Baum im Wald aussuchen und dort wird dann die Asche ausgestreut?“

„Nicht ganz“, sage ich, „die Urne wird dort beigesetzt, eine Urne die sich dann zersetzt.“

„Also, dann machen wir das so. Feuerbestattung und einen Baum im Wald.“

Ich weise die Familie darauf hin, daß der Sarg eigentlich etwas zu schade fürs Feuer ist, aber Herr Lauinger ist fast ein bißchen beleidigt: „Mir sind 200 oder 300 Euro egal, die bringen mir meine Tochter auch nicht wieder zurück. Nein, das soll alles schön sein, ich finde der Sarg passt zu Christiane, findet ihr nicht auch?“

Die beiden Frauen nicken und somit ist alles entschieden. Die Trauerfeier soll doch bei uns stattfinden, das spart Geld, denn so brauchen wir keinen Cent für die städtischen Einrichtungen ausgeben.
Ich telefoniere mit dem Trauerredner. Das soll Herr Kämpkes machen, ein älterer Herr mit beeindruckendem weißen Bart. Er hat eine ruhige und sehr gemütliche Art, das wird der Sache einen würdigen Rahmen geben.

Als die Familie gegangen ist, gebe ich an Manni unseren Fahrdienstleiter das Kommando, daß Christiane noch vom Krankenhaus abgeholt wird.

Es sind drei Stunden vergangen, Christiane befindet sich in unserem Kühlraum, da kommt Frau Büser in mein Büro: „Draußen steht der Mann von der jungen Frau.“

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