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Christiane III

Ich gehe Christianes Mann mit ausgestreckter Hand entgegen, doch der beachtet sie gar nicht, starrt auf seine Fußspitzen und sagt nur tonlos: „Ich will das so nicht.“

„Was wollen Sie so nicht?“

„Das mit der Asche.“

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Auch ihn führe ich in das Beratungszimmer wo ich zuvor mit seinen Schwiegereltern und Oma Stiegler gesessen habe: „Nehmen Sie bitte Platz!“

„Das ist typisch meine Schwiegermutter, alles gleich regeln. Die meint’s ja gut, aber die meint auch es fällt der Himmel runter, wenn nicht samstags morgens um Acht die Treppe geputzt ist.“

Ich frage ihn, was denn genau am besprochenen Ablauf nicht seinen Vorstellungen entspricht und ich merke schnell, daß er sich über die Einzelheiten gar nicht aufregt, sondern es nur um einen Punkt geht, den er offensichtlich in der Trauer und der Aufregung falsch verstanden hat. Es geht um die Beisetzung der Asche im Ruhewald. Das hat er nicht verstanden und glaubt, die Asche würde nun irgendwo in einem x-beliebigen Wald quasi heimlich während eines Spaziergangs einfach verstreut.

Ich kann Tobias, so heißt der junge Mann, beruhigen und erkläre ihm den Ablauf noch einmal ganz ausführlich.

Die Verstorbene wird im Krematorium ganz normal eingeäschert und die Asche kommt in eine Aschenkapsel. Unser Krematorium hier weicht da keinen Millimeter von den eigenen Regelungen ab. Es gibt nämlich weder ein Gesetz, daß die Versiegelung der Kapsel vorschreibt, noch eines, daß die Öffnung der Aschenkapsel verbietet. Und dennoch glauben die Krematoriums- und Friedhofsleute, die da einer internen Anweisung folgen, daß sei so etwas wie ein gottgegebenes Gesetz.
In anderen Krematorien sieht man das lockerer und befüllt auch direkt zersetzbare Urnen, etwa wenn eine See- oder Waldbestattung gewünscht wird. Dadurch ersparen sie uns bzw. den Bestattungsreedereien und den Ruhewaldmitarbeitern das Umfüllen der Asche.

Hier bekommen wir also die Aschenkapsel und bringen sie dann zur Forststelle, die für diesen Bestattungswald zuständig ist. Das ist ein extra für diesen Zweck ausgewiesenes Waldstück, das auch als solches gekennzeichnet ist. Außer den Hinweistafeln und kleinen Namensmarken an einigen Bäumen weist nichts auf den Friedhofscharakter dieses Waldes hin. Manchmal sieht man kleine Blumensträuße am Fuße eines Baumes liegen, hin und wieder hat jemand ein buntes Band um einen Baustamm geschlungen.
Man kann auswählen, ob man eher anonym mit mehreren anderen Urnen beigesetzt werden möchte, oder ob man einen eigenen Baum nur für sich oder einen Familienbaum haben möchte.

Wenn der Wunsch dazu besteht, kann man an der Beisetzungszeremonie teilnehmen, diese im Rahmen der Möglichkeiten, die ein Wald bietet, ausgestalten und selbstverständlich auch einen Pfarrer oder Redner mitbringen. Es ist auch durchaus möglich, daß Angehörige beim Einsetzen der vergänglichen Urne in das Erdloch helfen.
Da sich manche Geistliche weigern, Ruhewaldbestattungen durchzuführen, fällt es aber oft dem Forstmitarbeiter oder dem Bestatter zu, hier ein paar Abschiedsworte zu sprechen.

Für viele Pfarrer ist die Beisetzung in einem Bestattungswald nicht eine moderne, naturnahe Bestattungsmöglichkeit, sondern sie sehen darin die Abkehr vom christlichen Ritus und eine Zuwendung zu nichtchristlichem Gedankengut von Naturreligionen. Ein Pfarrer sagte mir einmal: „Es ist falsch daran zu glauben, daß Menschen in einem Baum weiterleben, das ist Heidenglaube, der Mensch wird zu Staub und seine Seele lebt bei Gott weiter.“

Ich persönlich glaube, daß kein einziger der vielen Angehörigen, die ich schon in den Wald begleitet habe, daran glaubt, sein Angehöriger würde nun tatsächlich in einem Baum weiterleben. Wir haben es doch mit intelligenten und erwachsenen Menschen zu tun, die genau wissen, daß wir uns nur um die sterblichen Überreste kümmern und das Tun auf dem Friedhof oder im Ruhewald sich nur mit der würdigen Unterbringung von Asche oder Körper handelt. Mit dem (bis dato ungeklärten) Verbleib der Seele hat das doch überhaupt nichts zu tun.

Die Menschen verbinden aber mit den verschiedenen Beisetzungsformen auch gewisse Vorstellungen. Im Feuer verbrennt man, in der Erde wird man von Würmern gefressen und die Asche liegt hundert Jahre im stabilen Metall und vergeht nicht. Da ist es den Menschen oft ein ganz angenehmer Gedanke, sich vorzustellen, daß die Asche langsam vom Waldboden aufgenommen und in Form von mineralischen Nährstoffen an einen Baum abgegeben wird. Ohne auch nur im Geringsten ihren christlichen Glauben und ihre Vorstellung von der Seele und deren Verbleib in Frage zu stellen, ist es selbst für streng katholische Familien ein schöner Gedanke, sich vorzustellen der Papa oder die Mama seinen irgendwie jetzt ein Stück Natur.
Man hat ja auch auf der anderen Seite nicht die Vorstellung, die Würmer würden die Seele mitfressen, wenn ein Mensch erdbestattet wurde.

Wenn die Kirchen nun Feuerbestattungen akzeptieren, dann müssen sie sich auch den verschiedenen Beisetzungsformen für Totenaschen gegenüber etwas liberaler zeigen. Sollte es tatsächlich Leute geben, die eine völlig andere Gedankenwelt mit dem Jenseitigen verbinden und eher dem Animismus anhängen, ja die haben doch sowieso mit Kirche und Pfarrern nichts am Hut und rufen zur Aschenbeisetzung sowieso einen freien Trauerredner, eine Kräuterhexe oder einen Schamanen.

Tobias hört mir aufmerksam zu und am Ende lächelt er sogar ein bißchen. Er hatte sich hauptsächlich daran gestört, daß es keine Beisetzungszeremonie geben solle, so hatte er das fälschlicherweise verstanden, was vor allem daran lag, daß sein Schwiegervater gesagt hatte: „Die Urne kommt dann irgendwo in den Wald.“

Dann vergräbt der junge Mann sein Gesicht in seinen Händen und ist minutenlang nicht ansprechbar. Ich höre nicht, daß er weint, aber ich sehe, daß es ihn schüttelt und bin einfach eine Weile ruhig.
Meine Frau hat es vor Jahren eingeführt, daß in den Beratungszimmern immer Boxen mit Kosmetikpapiertüchern stehen, den Namen Kleenex will ich jetzt nicht schreiben, sonst wird mir wieder Schleichwerbung unterstellt, dabei sind Tesa, Spüli, Uhu, Tempo und Kleenex mittlerweile Gattungsbegriffe geworden, die man selbst dann anwendet, wenn die Produkte von ganz anderen Herstellern stammen.

Manche Kunden kommen und werfen einen etwas erstaunten Blick auf die auf einem Tischchen bereitstehenden Papiertücher. Was soll das denn, werden sie denken, sowas brauchen wir doch nicht, und dann sind sie später froh, wenn sie diese Tücher nehmen können. In jedem Beratungsgespräch kommt der eine ganz besonders emotionale Moment, an dem die Tränen in die Augen schießen.
Nebenbei bemerkt ist es übrigens in den meisten Fällen der Moment, in dem die Leute ihren eigenen Abschied formulieren sollen, also beispielsweise beim Schleifentext für den Kranz oder beim letzten Gruß in der Zeitungsanzeige.

Tobias ist der ganze „Zinnober“, wie er das nennt egal. Ihn interessiert der Ablauf nicht weiter, die Details haben seine Schwiegereltern festgelegt und das ist für ihn schon deshalb gut, weil der Schwiegervater auch die Kosten übernimmt. Jedoch ist die Idee mit dem Ruhewald bei Tobias immer noch nicht angekommen.
„So ganz gefällt mir das mit dem Wald nicht. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, das mit dem Wald gefällt mir tausendmal besser als so eine Steinplatte irgendwo auf einem Friedhof, aber es ist nicht das was ich mir vorstelle… und wenn ich ehrlich bin, kann ich mir im Moment gar nichts vorstellen, mein Kopf ist einfach leer.“

Damit beschreibt er einen Zustand, den jeder Trauernde sehr gut kennen wird. Ein Bestatter, der sich nicht viel Mühe gibt, will die Sache schnell und gut erledigt wissen, wird dann die Standardformen vorschlagen und weil der Kunde eben im Moment seinen Kopf nicht richtig benutzen kann, wird er zustimmen und dann findet eine Bestattung statt, die der Kunde vielleicht hinterher bereut.
Man muß eine Atmosphäre schaffen, in der der Kunde sich wenigstens für einen Moment entspannen kann, damit man Zugang findet und dann versuchen kann herauszufinden, was denn für diesen Menschen genau das Richtige sein könnte.

Ich unterhalte mich mit Tobias, wir sprechen über unsere Kinder, ich erfahre, daß die Kinder gar nicht so betroffen sind, für sie ist die Mama eigentlich schon gestorben, als sie schwer krank wurde und nur noch zwischen Pflegebett zu Hause und Krankenhaus pendelte. Hier hatte das reguläre Familienleben geendet und so ist der Tod der Mutter jetzt kein großer Schock. „Mir scheint, als ob es denen wichtiger ist, daß ich noch da bin“, sagt Tobias.

Endlich kommen wir im Gespräch, fast schon zufällig, an einen Punkt, der mir mehr Aufschluß gibt. Tobias und Christiane hatten sich vor ein paar Monaten ein Grundstück angeschaut. „Das war nur so ein blöder Traum. Wir haben da eine Bank oberhalb von Grünenfels, da waren wir früher immer zum…“, er zögert kurz verlegen, „…zum Knutschen, Sie verstehen schon. Da sind wir immer wieder mal hingefahren und haben das immer so gemacht, daß uns diese Bank und das Fleckchen Erde da heilig sind. Wenn wir mal Krach hatten, sind wir da hingefahren und haben uns da hingesetzt, über die Ebene geschaut, die gute Waldluft genossen und dann haben wir immer gespürt, wie der Streit langsam aus unseren Knochen wich. Mann, wie oft sind wir da mit verzerrten Gesichtern und voller Aggression hingestiefelt, haben kein Wort gesprochen und dann auf der Bank gesessen, mehr so die Rücken zugekehrt. Sie können es glauben oder nicht, aber nach nur einer Viertelstunde hielten wir uns dann an den Händen und immer wenn wir aus dem Wald wieder herauskamen, waren wir glücklich, ja da waren wir wieder versöhnt.“

Genau unterhalb dieser Bank gibt es einen freien Platz über den ein kleiner Bach fließt und genau da, so hatten Tobias und Christiane immer geträumt, würden sie eines Tages ein Haus bauen.
„Natürlich darf man da nicht bauen, man könnte es auch kaum, alles schräg, aber wir haben das einfach so geträumt. Schade, daß da kein Ruhewald ist.“

Na, da haben wir es doch. Nun weiß ich wo Christiane ihre letzte Ruhestätte finden wird.

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Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#christiane

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(©si)